Der Innenminister von Schleswig-Holstein Schlie erklärt welche Hoffnungen er in die Studie eines kriminologischen Instituts setzt.

Hamburg. Hamburger Abendblatt: Herr Schlie, die Zahl der Angriffe gegen Polizeibeamte steigt. Wie beurteilen Sie die Situation in Schleswig-Holstein?

Klaus Schlie: Wir hören laufend davon, dass Polizisten Opfer von Gewalt werden. Seit drei Jahren werden Zahlen erhoben, aber die sind nicht sehr präzise. Deshalb beteiligen wir uns nun an der Studie des Kriminologischen Instituts von Professor Pfeiffer in Hannover. Wir machen das, um gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zu bekommen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Qualität der Übergriffe zunimmt. Das Aggressionspotenzial ist größer geworden, die Gewalttaten selber schwerer. Die Hemmschwelle, Polizisten anzugreifen, ist stark gesunken.

Abendblatt: Sprechen wir von Reaktionen auf Amtshandlungen oder von Angriffen ohne erkennbaren Anlass?

Schlie: Von beidem. Zum einen wird die Autorität, die ein Polizeibeamter verkörpert, infrage gestellt. Auf der anderen Seite gibt es immer mehr unmotivierte Übergriffe.

Abendblatt: Haben Sie Erkenntnisse, woran das liegen kann?

Schlie: Wissenschaftlich nachvollziehbare Erkenntnisse haben wir noch nicht. Es hängt offensichtlich mit einem gesellschaftlichen Problem zusammen. Die Autorität von Polizisten wird nicht mehr anerkannt, zumindest nicht in dem Maße wie früher.

Abendblatt: Wie steuern Sie gegen?

Schlie: Die Polizeibeamten werden in ihrer Aus- und Fortbildung intensiv geschult. Ihnen werden rhetorische, aber auch psychologische Fähigkeiten vermittelt. Sie lernen Deeskalationsstrategien. Gerade jüngere Kollegen haben auch die Chance, Zugang zu Jugendlichen zu bekommen, indem sie dieselbe Sprache sprechen.

Abendblatt: Polizisten üben manchmal hinter vorgehaltener Hand Kritik an der Justiz, sagen: Wir fangen Ganoven, dann werden sie vor Gericht gestellt und schnell wieder auf freien Fuß gesetzt oder zu milde bestraft. Ist das ein Grund für Autoritätsverlust?

Schlie: Ich maße mir nicht an, über Richter zu urteilen. Aber ich kann bestätigen, dass Polizisten das so empfinden.

Abendblatt: Haben Sie konkrete Zahlen zu Gewalt gegen Polizisten?

Schlie: 2006 hatten wir 484 Delikte erfasst. 2008 waren es 757, im vergangenen Jahr bis Oktober schon 576. Von diesen 576 Taten entfallen auf den Bereich der Polizeidirektion Ratzeburg 58.

Abendblatt: Gibt's auch krasse Fälle?

Schlie: Leider ja. Das geht mit Fußtritten los, setzt sich mit Faustschlägen fort und geht mit Kopfstößen weiter. Auch Hieb- und Stichwaffen werden immer öfter gegen Polizisten gerichtet.

Abendblatt: Was wissen Sie über die Täter?

Schlie: Das ist statistisch nicht erfasst. Wir müssen uns deshalb auf das verlassen, was die Kollegen sagen: Es geht quer durch die Gesellschaft.

Abendblatt: Soll das Täterprofil statistisch besser erfasst werden?

Schlie: Ja. Das ist gerade erst in Auftrag gegeben worden. Ich denke, dass uns die Studie des Instituts von Professor Pfeiffer Aufschluss geben wird über die Ursachen von Gewalt gegen Polizisten und über die Frage, mit welchen spezifischen Gruppen wir es zu tun haben.

Abendblatt: Gibt das Land für die Studie Geld aus?

Schlie: Ja. 5000 Euro.

Abendblatt: Was halten Sie von härteren Strafen für die Täter?

Schlie: Ich habe mich sehr deutlich für eine Strafverschärfung bei Übergriffen auf Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte ausgesprochen. Die Polizei verkörpert das Gewaltmonopol des Staates. Und sie benötigt dafür die entsprechende Autorität. Das findet meiner Meinung nach auch darin Ausdruck, dass auf Übergriffe entsprechend harte Strafen folgen. Das ist für mich eine gesellschaftspolitische Werteentscheidung.

Abendblatt: Früher gab's bei Verfehlungen auch schon zu Hause eine entsprechende Ansage...

Schlie: Sicherlich spielt das Thema Erziehung eine wesentliche Rolle. In den vergangenen Jahrzehnten ist das Thema Autorität immer weiter zurückgedrängt worden. Autorität war etwas Negatives. Ich spreche nicht von autoritär. Für mich ist Autorität etwas Positives. Autorität hat man anzuerkennen. Das fängt bei den Eltern an.

Abendblatt: Sind die Polizisten gut genug ausgestattet, um sich vor Angriffen schützen zu können?

Schlie: Wir haben die Ausrüstung kontinuierlich verbessert. Da geht es vor allem um den Schutz des Körpers durch Schilde und Helme, durch Arm- und Beinschutz. Das ist vor allem für unsere Einsatzhundertschaften von Bedeutung. Für die Polizisten auf der Straße ist es wichtig, Schutzwesten zu haben.

Abendblatt: Von Stormarnern wird hin und wieder eine mangelnde Präsenz von Polizeibeamten kritisiert.

Schlie: Vom Gefühl her gibt es immer zu wenig Polizisten. Da können Sie eine noch so große Dichte haben. Wenn eine Straftat begangen worden ist, haben Opfer und Zeugen subjektiv das Gefühl, dass es zu lange dauert, bis die Polizei kommt. Das ist nachvollziehbar. Aber wir haben klare Einsatzzeiten und eine klare Einsatzdichte. Wir prüfen, wie wir den operativen Dienst noch verstärken können. Das bedeutet aber bei der finanziellen Lage des Landes, dass wir dann auf andere Aufgaben, die die Polizei auch noch wahrnimmt, verzichten müssen. Das gilt im Übrigen für die gesamte Landesverwaltung. Und es ist eine schwierige Entscheidung, weil es keine Aufgaben gibt, die die Polizei derzeit wahrnimmt, von denen man sagen könnte, sie wären völlig überflüssig. Also müssen wir Prioritäten setzen. Das werden wir sehr sachkundig tun. Es soll dazu führen, dass Polizisten noch präsenter sind.

Abendblatt: Welche Aufgaben wären am ehesten verzichtbar?

Schlie: Es gibt eine Reihe konkreter Vorschläge, die ich aber noch nicht öffentlich diskutiere.

Abendblatt: Oder müssen dann die Kreise und Kommunen die Aufgaben übernehmen, auf die das Land verzichtet?

Schlie: Nein. Wir können die Kreise und Kommunen nicht mit zusätzlichen Aufgaben belasten. Auch sie sind in einer finanziellen Situation, in der sie das nicht schaffen können.

Abendblatt: Zurück zur Polizei: Wie wird sich die Personalstärke entwickeln?

Schlie: Eines ist klar: Wir stehen als Landesregierung vor einer riesigen Herausforderung. Wir müssen den Haushalt konsolidieren. Wir haben beschlossen, dass im Land zehn Prozent der Stellen eingespart werden. Das sind rund 5600. Im Koalitionsvertrag ist aber ausdrücklich geregelt, dass der Bereich der Landespolizei davon zunächst ausgenommen ist. Wir versuchen, die Altersabgänge zu ersetzen.

Schlie: Polizisten müssen ordentlich bezahlt werden

Abendblatt: Ist der Polizistenberuf eigentlich noch attraktiv?

Schlie: Ja, sogar sehr. Wir haben im vergangenen Jahr 130 Anwärter eingestellt. Wir hatten mehr als 3000 Bewerbungen.

Abendblatt: Das erstaunt vor dem Hintergrund der eingangs geschilderten Problematik.

Schlie: Die Motivationslage ist allgemein hoch, nicht nur bei den jungen Leuten. Und das trotz schwierigster Bedingungen.

Abendblatt: Dann besteht wohl auch keine Notwendigkeit, den Mittleren Dienst abzuschaffen, um eine etwas attraktivere Einstiegsbesoldung zu bekommen.

Schlie: Das ist unter den derzeitigen finanziellen Rahmenbedingungen nicht möglich. Aber wir werden dafür sorgen, dass wir die Perspektiven für Polizeibeamte verbessern, befördert zu werden. Wer so eine hohe Motivation hat, wer so einen gefährlichen Beruf hat, muss auch die Chance haben, ordentlich bezahlt zu werden.

Abendblatt: Wir haben bei der Polizei eine ziemliche Zentralisierung erlebt. Wie geht es weiter?

Schlie: Organisationsveränderungen sind eine ständige Herausforderung. Die Landespolizei hat in den vergangenen zehn, 15 Jahren erhebliche Reformen durchgeführt. Es gibt zurzeit aber keinen Grund, eine neue große Reform zu starten.

Abendblatt: Was wird aus den Ein-Mann-Stationen?

Schlie: Das muss man von Einzelfall zu Einzelfall prüfen. Wer ganz allein eine Station führt, ist auch ganz allein damit belastet. Da muss man prüfen, ob es nicht andere Organisationsformen gibt, die mehr Sicherheit bedeuten und gleichzeitig eine Entlastung für den betroffenen Kollegen mit sich bringen.

Abendblatt: Und wann hat der letzte Dienstwagen Winterreifen?

Schlie: Ich kann ihnen sagen, wann der erste welche hat. Die Autos, die wir jetzt kaufen, sind schon damit ausgestattet. Ansonsten müssen wir europaweit ausschreiben. Und dann bekommt man Reifen nicht von heute auf morgen. Die Aktion wird zum nächsten Winter abgeschlossen sein.

Abendblatt: Welche Lehren hat die Polizei aus dem Amoklauf von Winnenden gezogen? Sind die örtlichen Beamten vorbereitet?

Schlie: Jede Lage ist anders, sodass man auch kein Regelwerk darüber legen kann. Aber es gibt - seit 2004 übrigens schon - ein Amoktraining. Jeder beamte muss damit rechnen und mental darauf eingestellt sein, in eine solche Situation zu kommen.

Abendblatt: Welche Erkenntnisse haben Sie über rechts- und linksextremistische Strukturen hier in der Region?

Schlie: Es gibt extremistische Strömungen, aber keine verfestigten Strukturen. 2008 gab es in Stormarn 22 Straftaten von Linksextremen, davon zwei Gewalttaten, und 57 von rechtsextremen Straftaten, auch davon zwei Gewaltdelikte.