Tremsbüttel. Im einstigen Hotel werden bald psychisch Erkrankte behandelt. Warum die Vorbehalte aus der Bevölkerung zunächst groß waren.
Es sind Vorurteile, die mit der Realität kaum etwas zu tun haben: Wer an einer psychischen Erkrankung leidet, der hat oft auch mit Stigmata zu kämpfen. „So waren auch die Vorbehalte aus der Tremsbütteler Bevölkerung zunächst hoch, als bekannt wurde, dass im Schloss eine Privatklinik für psychisch Erkrankte eröffnet wird“, sagt Bürgermeister Stefan Schacht. Sogar das Gerücht, dass in der Klinik Straftäter behandelt würden, sei aufgekommen. Das sei nicht der Fall. Genauso wenig gehe von den Patienten eine Gefahr aus. Sie stecken – anders, als in so manchem Hollywoodfilm präsentiert – weder in Zwangsjacken, noch haben sie Schaum vor dem Mund.
„Solche Assoziationen decken sich nicht mit der Wirklichkeit“, sagt Klinikdirektorin und Chefärztin Dr. Anne Karow beim offiziellen Rundgang. Nach Ostern nimmt die Privatklinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Sportpsychiatrie ihren Betrieb auf. Um Vorurteilen entgegenzuwirken, hat das verantwortliche Leitungsteam vor der offiziellen Eröffnung eine mit 150 Teilnehmenden gut besuchte Einwohnerversammlung einberufen, um Ängste, die oft aus Unwissenheit entstünden, abzubauen.
30 Prozent aller Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens psychisch
Denn: „Eine psychische Erkrankung kann jeden treffen“, sagt Karow. 30 Prozent aller Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens psychisch, viele an Depressionen. „Es sind zum Beispiel Frauen in der sogenannten Rush Hour des Lebens“, so die Klinikdirektorin. „Sie sind oft beruflich erfolgreich, haben Kinder, pflegen ihre alternden Eltern.“ Körperliche Beschwerden oder belastende Lebensereignisse sorgten dafür, dass das Stresslevel immer weiter ansteige und das Fass schließlich überlaufe.
Für solche und andere psychisch angeschlagene Menschen leistet die Libermenta Klinik im Tremsbütteler Schloss künftig Hilfe. Sie verfügt über 84 Betten für eine stationäre und 20 Plätze für eine tagesklinische Behandlung. Die Wohninvest Holding GmbH mit Sitz im baden-württembergischen Fellbach hat das Schloss vor etwa zwei Jahren gekauft. Die Bühler Health Care AG, die ihren Sitz ebenfalls in Fellbach hat, wird die Klinik betreiben.
Bis 2020 wurde das Tremsbütteler Schloss als Hotel genutzt
Für Erwerb, Renovierung und Umbau hat die Wohninvest Holding einen zweistelligen Millionenbetrag in die Hand genommen. Bis 2020 wurde das Schloss als Hotel genutzt. Sogar die Beatles haben einst in dem luxuriösen Anwesen übernachtet. Doch die Corona-Pandemie war zu viel: Die ehemaligen Besitzer, die Hamburger Familie Strathmann, verkaufte die Immobilie.
„Architektonisch passt das Schloss exakt in unser Konzept“, sagt Silke Reichmann, Geschäftsführerin der Libermenta Kliniken und Vorstandsmitglied bei Bühler Health Care. Matthias Bühler, der bis zuletzt Vorstandsvorsitzender war, gab seinen Posten aus gesundheitlichen Gründen auf. Tremsbüttel ist bereits der dritte Klinikstandort der Libermenta Gruppe unter dem Dach der Bühler Health Care AG. „Zwei weitere Kliniken, ebenfalls in Schlössern, befinden sich bei Köln und Stuttgart“, so Reichmann.
Heilende Architektur ist ein wesentlicher Bestandteil des Konzepts
Die architektonische Umgebung sei ein elementarer Bestandteil des Konzepts, so die stellvertretende Klinikdirektorin Dr. Aglaja Stirn: „Eine gute Umgebung ist ein Heilfaktor.“ Der Blick ins Grüne, helle Räume und gutes Licht begünstigten die Genesungschancen. Auch Hunde dürfen mitgebracht werden. „Einerseits wissen viele nicht, wo sie ihren Vierbeiner lassen sollen, andererseits tut die Anwesenheit des Hundes den Patienten meist sehr gut“, so Dr. Anne Karow.
Das Raumkonzept ist aber nicht alles, was die Privatklinik ihren Gästen bieten möchte. „Wir legen viel Wert auf Ganzheitlichkeit“, sagt der ärztliche Direktor Dr. Matthias Lemke. So werden neben der Psychotherapie auch Kunst- oder Musiktherapie angeboten und Faktoren wie Ernährung und Bewegung mitgedacht.
Auch Faktoren wie Ernährung und Bewegung werden mitgedacht
„Wir haben ein eigenes Küchenteam, das für eine gesunde, antidepressiv wirkende Ernährung sorgen wird“, so Karow. Denn Menschen mit Depressionen neigen dazu, ihre Selbstfürsorge zu vernachlässigen, sich unvorteilhaft zu ernähren. Dabei können bestimmte Lebensmittel oder Gewürze wie natürliche Antidepressiva wirken. In einer speziell hergerichteten Küche können die Patienten auch selbst kochen. Ein besonderer Schwerpunkt der Klinik liegt im Bereich Sport und Bewegung. „Wir werden zum Beispiel Yoga anbieten“, so Karow.
Behandelt werden Patienten ab 18 Jahren im gesamten Spektrum psychischer Erkrankungen: Depression, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Essstörungen und mehr. Wenn Patienten infolge psychischer Krankheiten unter einer Sucht leiden, werden sie ebenfalls behandelt. Aber: „Wir sind keine Suchtklinik und führen keine Entzüge durch“, so Karow. Auch eine Notaufnahme oder eine geschlossene Abteilung, wo etwa Suizidgefährdete untergebracht werden, wird es in Tremsbüttel nicht geben.
Schloss und Park werden nur noch für besondere Anlässe zugänglich sein
Die Klinik ist für Privatpatienten, Beihilfeberechtigte wie verbeamtete Lehrer oder Polizisten, gesetzlich Versicherte mit privater Zusatzversicherung und Selbstzahler offen. „Die Selbstzahler sind erfahrungsgemäß die kleinste Gruppe“, sagt Karow. Die Aufnahme soll auch akut und kurzfristig möglich sein. Interessenten habe die Klinik bereits zahlreiche. „Die meisten kommen aus dem Norden“, so Karow. Grundsätzlich stehe das Haus aber Menschen aus ganz Deutschland zur Verfügung.
Zum Start wird der Klinikbetrieb hauptsächlich im Hauptschloss, im Elb- und Friesenhaus sowie in den Außenanlagen stattfinden. Weitere Gebäude mit Patienten- und Therapiezimmern, darunter auch ein eingeschossiger Neubau, sollen bis Herbst dieses Jahres fertiggestellt werden. Ursprünglich sollte die Klinik im Sommer 2022 eröffnet werden, die Pandemie und Lieferverzögerungen kamen dazwischen. „Das haben wir natürlich auch zu spüren bekommen“, sagt Sabine Schneider von der Wohninvest Holding GmbH.
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Obwohl das Tremsbütteler Schloss samt Park für die Öffentlichkeit künftig nur noch zu besonderen Anlässen wie Gottesdiensten oder Tagen der offenen Tür zugänglich sein wird – Bürgermeister Stefan Schacht zeigt sich erfreut über die neue Klinik in seiner etwa 1900 Einwohner starken Gemeinde. „Ich bin froh, dass das Schloss in guten Händen ist“, so Schacht. Ein Zugewinn sei die Klinik auch, weil sie als Arbeitgeber fungiere. Derzeit besteht das Team aus 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – rund 30 davon konnten aus der Gemeinde und der unmittelbaren Umgebung gewonnen werden.