Siek. Ein Jahr Krieg: Die Ukrainern Maryna und ihr Sohn Ivan sind aus Mariupol nach Norddeutschland geflüchtet. Wie es ihnen heute geht.
Wenn Maryna von ihrem neuen Job am Universitätsklinikum Kiel erzählt, dann leuchten ihre Augen. „Es ist alles so modern, alles läuft hier digitalisiert ab“, sagt die Ukrainerin. „Das ist ganz anders als in Mariupol.“ Fast hätte die studierte Biologin einen schlecht bezahlten Job in der Automobilindustrie angenommen, für den sie maßlos überqualifiziert gewesen wäre. Doch nun macht sie auch in Deutschland wieder genau das, was ihr am meisten Spaß macht, nimmt im Labor Blutuntersuchungen vor. „Es ist mein Traumjob“, sagt sie.
Im März flüchtete Maryna mit ihrem Sohn Ivan aus Mariupo,, nachdem in ihrem Heimatland Krieg ausgebrochen war. Damian Ahrens und seine Frau Anja Tiemann aus Siek nahmen die kleine Familie damals auf. Am Freitag, 24. Februar, jährt sich der russische Überfall auf die Ukraine. Zahlreiche Kirchen und Kommunen laden an diesem Tag zu Friedensgebeten, Solidaritätsbekundungen und Mahnwachen ein.
In Bargteheide gibt es ab 19.30 Uhr eine Mahnwache vor dem Rathaus (Rathausstraße 24–26) ein. In Glinde findet ab 15 Uhr eine Kundgebung des Parteienbündnisses aus CDU, SPD, Grünen und FDP auf dem Marktplatz statt. Am traurigen Jahrestag ist auch Zeit zu fragen: Wie geht es Maryna und Ivan heute?
Nach zwei Wochen Zusammenleben war das Eis gebrochen
„Dass Maryna den Job bekommen hat, war ein Glücksgriff“, sagt Damian Ahrens, der den Ukrainern damals ein Dach über dem Kopf geliehen hat. Das ist aber nicht die einzige gute Nachricht, die es zu verkünden gibt. Doch von vorn. „Als Maryna und Ivan vor fast einem Jahr nach einer ewig langen Autofahrt völlig erschöpft bei uns angekommen sind, haben sie sich erst einmal im Gästezimmer zurückgezogen“, so Ahrens. Die schlimmen Erlebnisse mussten verdaut werden.
„Nach etwa zwei Wochen war das Eis gebrochen, wir haben zusammen gelacht, gegessen und hatten eine gute Zeit“, sagt Damian Ahrens. Durch ein gemeinsames Hobby fanden er und Ivan schnell einen Draht zueinander: „Wir sind beide begeisterte Angler.“ Verständigt hat sich die Familie mit dem Google-Übersetzer. Anfangs gab es viel Bürokratisches zu regeln: „Der Hund musste gechippt werden, Impftermine mussten gemacht, Sim-Karten für die Handys besorgt und Formulare ausgefüllt werden“, sagt der Sieker.
Nach drei Monaten sehnten beide Familien sich nach Privatsphäre
Langeweile sei während des gemeinsamen Zusammenlebens nicht aufgekommen. Damit Maryna und Ivan nicht zu viel über den Krieg nachdachten, unternahm das Ehepaar viel mit seinen Gästen – Ausflüge an den Timmendorfer Strand und nach Hamburg oder Spieleabende mit Freunden. Die Familien teilten sich den Haushalt, kochten typisch deutsche oder typisch ukrainische Gerichte.
Doch nach knapp drei Monaten des gemeinsamen Zusammenlebens seien alle Beteiligten schon so langsam auf dem Zahnfleisch gegangen, sagt Damian Ahrens: „Maryna und Ivan haben sich ein kleines Gästezimmer geteilt, hatten quasi keine Privatsphäre. Dazu kam, dass alles in der Schwebe war.“ Ivan ging zwar schnell wieder zur Schule, wurde am Gymnasium Großhansdorf mit offenen Armen und großer Gastfreundschaft empfangen.
Der Job am Universitätsklinikum Kiel war ein Glücksgriff
Aber für Maryna war die Situation schwer. „Ich hatte kein eigenes Zuhause und konnte nicht arbeiten“, sagt sie. Auch Damian Ahrens und seine Frau merkten, dass sie langsam Zeit zum Durchatmen brauchten. Das Paar hat einen kleinen Sohn. Beide sind durch ihre Tätigkeiten in der IT-Branche und als Kriminalbeamtin beruflich stark eingebunden. Trotz allem: „Wir sind so froh, dass wir helfen konnten“, sagt Damian Ahrens.
„Es hat eine Weile gedauert, bis ich alle Unterlagen zusammen hatte und auf Jobsuche gehen konnte“, sagt Maryna. Doch als es so weit war, gab sie Vollgas. „Wir haben zusammen in Hamburg und Umgebung nach Stellen gesucht und Bewerbungen geschrieben“, so Ahrens. Unter anderem nahm Maryna Kontakt zum Universitätsklinikum Kiel auf. „Damals war keine Stelle frei“, sagt sie. Doch kurz bevor sie besagten Job in der Automobilindustrie als Notlösung annehmen wollte, kam im die erfreuliche Nachricht: „Eine Stelle wurde frei, ich bekam ein Stipendium und konnte den Vertrag unterschreiben“, sagt die Ukrainerin.
Nach der Jobsuche ging die kleine Familie auf Wohnungssuche
An den Moment der Zusage können sich alle noch gut erinnern. „Wir haben total mitgefiebert“, sagt Ahrens. Schon als sie zum Probearbeiten ist Kiel gewesen ist, sei sie mit strahlenden Augen zurückgekommen. Es wäre der Jackpot, wenn sie diesen Job bekäme, hat sie damals gesagt. „Als klar war, dass es mit der Stelle klappt, haben wir direkt die Sektflasche aufgemacht. Die Freude war riesengroß.“
Zuerst ist Maryna jeden Tag von Siek über Hamburg nach Kiel gependelt. „Die lange Fahrt hat mich erschöpft“, sagt sie. Schnell war klar: Eine Wohnung in Arbeitsplatznähe muss her. Mit Unterstützung der Uni Kiel und des Sieker Paares fand sich eine neue Bleibe. Seit dem 1. Juni leben Maryna und Ivan dort.
Maryna und Ivan möchten in Deutschland bleiben
„Wir sind sehr dankbar, dass alles so gekommen ist und möchten auch in Deutschland bleiben“, sagen die beiden. Ihr Haus in Mariupol existiert nicht mehr, es wurde während des Krieges von Bomben getroffen. Von Ivans Vater lebt Maryna getrennt. Ihre Schwester und Eltern sind noch in der Ukraine. Ivan besucht mittlerweile eine Schule in Kiel, möchte nach seinem Abschluss vielleicht in der Schifffahrt arbeiten. Denn für Maritimes aller Art kann sich der Junge begeistern, liegt doch auch Mariupol am Wasser – genau wie seine neue Heimat Kiel. „Meine Mitschüler in Großhansdorf haben eine Abschiedsparty für mich organisiert“, sagt er. „Ich wurde dort und auch in Kiel sehr herzlich aufgenommen.“
Doch bevor das so weit war, musste Ivan noch einige Wochen im Sommer ohne Schule überbrücken. Untätig war er nicht – im Gegenteil. „Ich habe meinen Angelschein gemacht“, sagt er. Obwohl Deutsch nicht seine Muttersprache ist, hat er gelernt ohne Ende, alle 330 Fragen auswendig gelernt und mit Bravour bestanden.
Darüber staunt Damian Ahrens heute noch ungläubig. „Ich habe selten so einen ehrgeizigen Menschen erlebt“, sagt er. Nach Lüneburg ist er mit Ivan zur Prüfung gefahren. „Er hat das Ding bestanden, und die Leute dort haben uns ganz verwirrt angeguckt, als wir in Jubel ausgebrochen sind. Da habe ich ihnen erklärt, dass er eigentlich gar kein Deutsch spricht.“
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Seitdem bekommt Ahrens per Whatsapp fast jeden Tag Fotos von der Kieler Förde geschickt. So ziemlich alles, was man dort angeln kann, hat Ivan schon gefangen: Hering, Dorsch, Köhler, Knurrhahn, Meerforelle, Wittling. Nach wie vor halten die Familien engen Kontakt. Vor allem Damian Ahrens und Ivan schreiben fast jeden Tag miteinander, auf Ivans Wunsch hin nur noch auf Deutsch. Mittlerweile sei der Weg zwar zu weit, um sich nach Feierabend spontan am Wasser zu treffen. Doch, so Damian Ahrens: „Nächstes Wochenende ziehen wir wieder zusammen mit der Angel los.“