Ahrensburg. Er veranstaltete Feiern, Umzüge und Wettbewerbe: Warum der 1879 gegründete Chor die Bühne endgültig verlassen hat.

Am 31. Dezember endet nicht nur dieses Jahr, an diesem Tag endet auch eine Ära. Mit dem Auslaufen des Mietvertrages für den Probenraum Am Haidschlag löst sich mit der Ahrensburger Liedertafel von 1879 ein traditionsreiches Ensemble auf, das mehr als 100 Jahre das kulturelle Leben in Stormarn mitgeprägt hat. „Nicht einmal die Fusion mit dem Shantychor der Marinekameradschaft Ahrensburg konnte den Chor retten, das ist wirklich bitter“, sagt der musikalische Leiter Heinz Jung. Damit setze sich der Aderlass in der Chorszene des Kreises fort.

Das gemeinschaftliche Singen gehörte in den beiden zurückliegenden Jahren zu den größten Verlierern in der grassierenden Corona-Pandemie. Wegen der Übertragung des Virus’ über Aerosole in der Atemluft galt Chorgesang als besonders risikobehaftet. In manchen Medien mutierte er sogar zum „gefährlichsten Hobby der Welt“. Durch die einschneidenden Infektionsschutzauflagen fielen nicht nur die Konzerte aus, sondern auch unzählige Proben. Dadurch verloren die Chöre letztlich viele Mitglieder.

Nur noch zwölf Chöre beim Sängerbund gelistet

Wie viele es genau sind, darüber gibt es bislang noch keine gesicherten Zahlen. Dass die Chorlandschaft Stormarns ärmer geworden ist, daran besteht indes kein Zweifel. Der Sängerbund Schleswig-Holstein verzeichnet außerhalb von Schulen und Kirchen aktuell nur noch ein Dutzend Chöre aus dem Kreisgebiet.

Die Ahrensburger Liedertafel von 1879 und der Shantychor gehören fortan nicht mehr dazu. Zu groß war zuletzt der Mitgliederschwund. Bei den letzten Auftritten im Ahrensburger Rosenhof und auf dem Ahrensburger Weihnachtsmarkt bestand das Ensemble nur noch aus neun Sängern. „So wird kraftvoller, mehrstimmiger Chorgesang natürlich schwierig“, weiß der erfahrene Chorleiter Heinz Jung. Zumal seine Schützlinge ausnahmslos 75 Jahre und älter sind.

Zu viele Konkurrenzangebote für die Jugend

Dabei hatte der Minichor zum Finale noch einmal ein großes und dankbares Publikum. Im Rosenhof lauschten mehr als 100 Zuhörer den Liedern der Tafel und spendeten hernach lautstarken Applaus. Auf dem feuchtkalten Weihnachtsmarkt am Rondeel schwang dann auch viel Wehmut mit. Weil es so, wie es war, nie wieder sein wird.

„Die Chöre haben es heutzutage einfach schwer, weil ihnen der Nachwuchs abhandengekommen ist. Die Konkurrenz ist einfach zu groß: Theater, Kino, Fernsehen, digitale Geräte vom Handy bis zur Spielekonsole, das Internet – dagegen kommt der gemeinschaftliche Gesang nicht mehr an“, sagt Volker Rennert (78), der seit Mitte der 90er-Jahre im Shantychor der Marinekameradschaft singt.

Verein richtete Umzüge und Wettbewerbe aus

Als 1874 der Bürgerverein Ahrensburg gegründet wird, zieht es das aufstrebende Bürgertum abends noch in die Gasthäuser der Stadt. Dort wird diskutiert und getrunken und zu vorgerückter Stunde auch gern gesungen. In den Liedern geht es um Heimat, Ehre, Vaterland und die Natur – und natürlich um die Liebe.

Daran finden Geschäftsleute und Handwerksmeister aus Kreisen der gehobenen Mittelschicht zunehmend Gefallen. Bis schließlich 1879 ein Männergesangsverein gegründet wird, um diesem geselligen Zeitvertreib fortan regelmäßig und organisiert frönen zu können. Die Liedertafel veranstaltet Feiern mit Tanz und Gesang, Umzüge durch Ahrensburg und Sänger-Wettbewerbe.

Bis zu 420 Gäste bei Marine-Festveranstaltungen

Eine Tradition, die nach dem zweiten Weltkrieg wieder aufgegriffen wird. Mitte der 1990er-Jahre bekommt die Liedertafel „Konkurrenz“ durch einen Shanty-Chor. Seit 1966 treffen sich ehemalige Marine-Angehörige regelmäßig in der Gaststätte Zur Post. Im April 1967 wird dann im Hotel Lindenhof die Marinekameradschaft gegründet.

„Getanzt und gefeiert wurde anfangs im Restaurant Am Sportplatz, dann im Parkhotel Manhagen, später im Festsaal der Alfred-Rust-Schule und danach immer im Restaurant Strehl“, berichtet Rennert. Bis zu 420 Gäste hätten die Veranstaltungen der Marinekameradschaft angezogen.

Eigenes Domizil im Bauernhaus Am Haidschlag

So wächst mit deren Bekanntheitsgrad auch der Wunsch nach einem eigenen Domizil. Das finden sie schließlich durch Hermann Eigebrecht. Der Architekt vermittelt den Ex-Marinern nicht nur den alten Heuboden im Bauernhaus Am Haidschlag 1. Er erweist sich zudem als passionierter Sänger und gründet 1994 den Shanty-Chor, dem spontan 25 Marinekameraden beitreten.

Als Chorleiter verpflichtet er Heinz Jung. Der dirigiert zu dieser Zeit nicht nur die Ahrensburger Liedertafel. sondern weitere Chöre in Trittau, Hoisdorf und Großhansdorf. Und seit 1983 zudem die Chorgemeinschaft Stormarnsche Schweiz. Die zu besten Zeiten bei Stadtfesten und anderen Auftritten bis zu 80 Sänger auf die Bühne bringt.

2014 wurde die Marinekameradschaft aufgelöst

Doch in der zweiten Dekade des neuen Jahrtausends ist der schleichende Niedergang nicht mehr aufzuhalten. Ende Juni 2014 wird die Ahrensburger Marinekameradschaft aufgelöst. Der Shantychor bleibt aber bestehen, da hier inzwischen auch Nichtmariner singen. Dennoch müssen immer wieder Sänger der Liedertafel ausgeliehen werden, um überhaupt noch auftreten zu können.

Mit diesem Problem hat die Liedertafel unterdessen selbst zu kämpfen. Bis Heinz Jung 2016 vorschlägt, beide Chöre zu fusionieren. So firmierte das Ensemble zuletzt unter dem Namen Männerchor Ahrensburger Liedertafel von 1879 und Shantychor. „Sangen wir vor allem Shantys, traten wir in blauen Jacken auf, bestand das Programm vorwiegend aus Volksliedern, trugen wir grüne Jacken“, erzählt Volker Rennert.

Doch auch das ist nun Geschichte. Bei der Fusion zählte der Chor immerhin noch 17 Sänger. Beim letzten Auftritt auf dem Rondeel waren es nur noch neun. Von denen zwei weitere ihren Rückzug bereits avisiert hatten.

Heinz Jung wird sich fortan ganz auf den gemischten Chor des Peter-Rantzau-Hauses in Ahrensburg und den Hamfelder Männerchor konzentrieren. „Der Chor im Rantzau-Haus ist in diesem Jahr um acht Frauen angewachsen, das stimmt mich optimistisch“, sagt der 78-Jährige. Zwar seien von den 40 Mitgliedern nur sieben männlich. Aber zum Glück hätten sich zwei Frauen bereiterklärt, als Tenöre einzuspringen, die so dringend gebraucht würden.

„Singen entspannt, ist gesund, fördert eine gesunde Atmung und bringt in einer Gemeinschaft umso mehr Spaß“, wirbt Jung eindringlich für den Chorgesang. Wer es einmal selbst versuchen möchte, sei jeden Mittwoch ab 14 Uhr im Rantzau-Haus (Manfred-Samusch-Straße 9) herzlich willkommen.