Ahrensburg. Zwei Fahrzeuge gehen als Geschenk mit gespendeter Ausrüstung ins Kriegsgebiet. Bürgermeister von Sokyrjany holt sie persönlich ab.
Die Geschenke sind so groß und wertvoll, dass die Beschenkten sie persönlich in Ahrensburg abholen kommen. Als die Männer ankommen, haben sie den mehr als 1600 Kilometer weiten Weg vom Südwesten der Ukraine nahe der Grenze zu Moldawien bis nach Stormarn hinter sich gebracht.
Ein paar Stunden nach der Ankunft steht der Bürgermeister der Stadtgemeinde Sokyrjany mit drei Landsleuten auf dem Gelände der Wache der Ahrensburger Feuerwehr und nimmt die beiden auf dem Hof geparkten Fahrzeuge in Augenschein. Den Lkw, einen sogenannten Gerätewagen aus dem Jahr 1993, haben die Feuerwehrleute tags zuvor mit teilweise brandneuen Ausrüstungsgegenständen wie Stromaggregaten, Schläuchen, Leitern, Krankentragen, Motorkettensägen und Feuerwehrkleidung beladen. Sie stammen aus dem eigenen Bestand oder wurden von Ahrensburger Firmen gespendet. Der Mannschaftstransportwagen stammt von 1998.
Erste Aktion war Lieferung humanitärer Hilfsgüter
Beide sind mit Ausfuhrkennzeichen versehen und haben neue TÜV-Plaketten. Die beiden Fahrzeuge sind ein Geschenk der Stadt an Sokyrjany. Die stellvertretende Bürgermeisterin Carola Behr (CDU) ist bei der Übergabe ebenso dabei wie Ortswehrführer Jan Haarländer und der stellvertretende Gemeindewehrführer Florian Stephani. Dank Übersetzer Rafik Shadoian, der in Kiew studiert hat, klappt die Verständigung mit den Ukrainern mühelos.
Shadoian ist ein Arbeitskollege von Feuerwehrmann Tobias Becker. Der junge Mann hatte die Aktion überhaupt erst ins Rollen gebracht. Als er die ersten Bilder vom Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Fernsehen gesehen habe, habe er gedacht: „Da muss man doch etwas tun.“ Also schrieb Becker eine E-Mail an den Kreis der Feuerwehrkameraden und bat um Spenden. Es kamen so viele Hilfsgüter zusammen, dass er sie Mitte März mit einem Lkw an die polnische Grenze brachte und dort einer Hilfsorganisation übergab. Kurz darauf begannen die Planungen für die nächste Aktion. Laut Haarländer werden außer Dienst gestellte Fahrzeuge wie diese normalerweise in einer Zollauktion versteigert.
Bevölkerung der ukrainischen Stadt lebt in Angst
Während die Gruppe ins Gespräch vertieft ist, geht plötzlich ein Alarm los. Es stellt sich heraus, dass es ein Luftalarm in ihrer Heimatregion ist, der den Ukrainern aufs Handy geschickt wird. Vasyl Kozak berichtet, dass die Stadtgemeinde mit ihren mehr als 40.000 Einwohnern bislang noch nicht direkt angegriffen worden ist. „Aber die Bevölkerung hat Angst“, sagt der Bürgermeister. „Wir haben Raketen vom Typ Kalibr gesehen, die direkt über uns in etwa zehn Meter Höhe geflogen sind – vermutlich Richtung Lwiw.“
In den vergangenen vier Tagen sei es im gesamten Land zu Luftalarm gekommen. In so einem Fall würden Kinder zuerst in die Luftschutzräume gebracht, Erwachsene könnten selbst entscheiden, wo sie sich in Sicherheit bringen. „Hauptsache, sie halten sich nicht neben den zwei Orten auf, die zur kritischen Infrastruktur zählen.“ Als Rentner wird der 63-Jährige nicht zur Armee eingezogen und auch nicht sein Sohn, der als Politiker freigestellt sei.
Hahn aus Keramik ist Zeichen des Widerstandes
seinen Informationen nach in den vergangenen zwei Wochen in die umkämpfte Westukraine aufgebrochen. Zu Anfang des Krieges hätten viele Ukrainer versucht, über die Grenze nach Moldawien zu gelangen, täglich seien es etwa 17.000 Autos gewesen. Dass die Stadtgemeinde 10.000 Geflüchtete aufgenommen hat, von denen sich zurzeit noch etwa 2500 dort befinden, ist einer der Gründe, warum Rafik Shadoian sie ausgesucht hat. Er sagt: „Auch weil sie selbst ganz viel an andere Regionen gespendet hat.“ Unter anderem Baufahrzeuge und Schulbusse.
Shadoian hat die Organisation des Projektes auf ukrainischer und Becker auf Ahrensburger Seite übernommen. Bevor die Ukrainer mit den beiden Fahrzeugen aufbrechen, überreicht der Bürgermeister Tobias Becker eine Replik jenes Keramikkruges in Hahnenform, der zum Symbol des ukrainischen Widerstands geworden ist, weil er das Einzige war, was den Angriff auf ein Wohnhaus heil überstanden hatte.
Ukrainischer Feuerwehr fehlt es an Ausrüstung
Carola Behr erhält ein Buch mit Fotos aus der Heimatregion Kozaks. Er sagt: „Ich möchte mich herzlich bedanken und würde mich über eine künftige Partnerschaft freuen.“ Er lade alle nach dem Krieg zum Besuch von Sokyrjany ein. Ein Angebot, was Jan Haarländer so kommentiert: „Ich würde mir die Arbeit der Feuerwehr dort gern persönlich ansehen.“ Kozaks trockene Antwort: „Die ist ähnlich wie bei Ihnen, nur die Ausrüstung nicht.“
Über die Arbeit der ukrainischen Feuerwehrleute unter den aktuellen Umständen meint Florian Stephani: „Das kann man sich hier gar nicht vorstellen.“ Haarländer: „Dafür zollen wir unseren größten Respekt.“ Behr glaubt, dass man immer noch mehr tun könne. Kurz bevor die Ukrainer mit den Feuerwehrwagen losfahren, sagt Tobias Becker: „Das war nicht die erste und nicht die letzte Aktion.“