Ahrensburg. 1993 findet ein Hamburger seine Lebensgefährtin tot im Kleiderschrank. Journalisten zeichnen die Ermittlungen in einem Buch nach.

Es ist der 19. Juli 1993. Klaus G. kommt von einem Kurzurlaub zurück, den er über das Wochenende auf Rügen verbracht hat. Zu Hause angekommen, greift er zum Telefon, um seine Lebensgefährtin Ursula M. zu erreichen, doch am anderen Ende der Leitung nimmt niemand ab. Die 49-Jährige ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau, leitet ein Unternehmen für Oberflächentechnik in Barsbüttel.

Als weitere Versuche, seine Lebenspartnerin zu erreichen, erfolglos bleiben, beginnt Klaus G., sich Sorgen zu machen. Der Hamburger fährt nach Ahrensburg, wo Ursula M. mit ihrem 18 Jahre alten Sohn eine modern eingerichtete Doppelhaushälfte an der Straße Vierbergen, unweit zur Großhansdorfer Gemeindegrenze, bewohnt. Doch auch dort fehlt von ihr jede Spur. Ihr Sohn weilt zu diesem Zeitpunkt in einem Zeltlager an der Ostsee.

Polizei kann Täter nach Mord erst nach über 19 Jahren überführen

Als Klaus G. das Schlafzimmer betritt, wird er stutzig. Das zerwühlte Bett fällt ihm ins Auge. Für Klaus G. ist das vollkommen untypisch, denn er hat seine Lebensgefährtin als äußerst ordentlich kennengelernt. Im großen Kleiderschrank, der sich über eine gesamte Wand erstreckt, fällt dem Hamburger auf dem Boden eine rote Hose auf. Klaus G. möchte danach greifen – und ertastet einen leblosen Körper. Es ist seine Lebensgefährtin. Schnell ist klar: Ursula M. wurde erdrosselt.

Im Wohnzimmer fand die Polizei ein volles Sektglas und eine Bierflasche.
Im Wohnzimmer fand die Polizei ein volles Sektglas und eine Bierflasche. © Staatsanwaltschaft Lübeck | Staatsanwaltschaft Lübeck

Doch Einbruchspuren gibt es nicht, auch gestohlen wurde nichts. Die Polizei schließt: Ursula M. muss ihren Mörder selbst ins Haus gelassen haben. Ein Team aus 25 Ermittlern nimmt sich des Falles an. Rechtsmediziner können den Todeszeitpunkt auf die Nacht von Sonnabend auf Sonntag festlegen. Ermittelt wird im privaten und geschäftlichen Umfeld des Opfers, doch auch nach Monaten tappt die Polizei im Dunkeln.

Die Autoren drehen regelmäßig True-Crime-Dokus für das ZDF

Erst 19 Jahre später gelingt es, den Fall aufzuklären. Im Sommer 2012 beginnt vor dem Landgericht Lübeck der Prozess gegen den 47 Jahre alten Frank B., einen Vermögensberater aus Hamburg und Bekannten des Opfers, der schon 1993 von den Ermittlern vernommen worden war. Tatsächlich wird er für die Tat zu acht Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt.

Wie der Täter nach fast 20 Jahren überführt werden konnte, zeichnet jetzt ein Buch der Journalisten Sascha Lapp und David Sarno nach, das heute erscheint. In „Das Prinzip Mord – Wahren Verbrechen auf der Spur“, stellen die beiden, die seit fünf Jahren True-Crime-Dokumentationen für das ZDF drehen, auf 256 Seiten 15 Kriminalfälle aus ganz Deutschland vor, deren Aufklärung erst durch eine ebenso spektakuläre wie wendungsreiche Ermittlungsarbeit möglich wurde.

Für das Buch bekamen die Journalisten exklusive Einblicke in die Fallakten

Auch über den Ahrensburger Fall haben Lapp und Sarno 2020 bereits eine Dokumentation für das Fernsehen gedreht. „Als wir überlegt haben, welche Fälle in das Buch kommen, saßen wir zusammen, und haben nachgedacht, wo uns die Ermittlungsarbeit besonders beeindruckt hat“, sagt Lapp und fügt hinzu: „Als klassischer Cold Case ist uns der Fall Ursula M. besonders in Erinnerung geblieben.“

Nach fast 20 Jahren seien die Ermittler noch einmal zurückgegangen, hätten neue Ansätze in Betracht gezogen. „Das ist ein Musterbeispiel guter Polizeiarbeit“, sagt Lapp. Und so schaffte es der Ahrensburger Fall als „Die Tote im Schrank“ in das Buch, allerdings tragen die beteiligten Personen dort geänderte Namen. Für „Das Prinzip Mord“ hatten Sarno und Lapp exklusiven Einblick in die Fallakten. Fotos von Tatorten und Beweismitteln sind auch im Buch zu sehen. Die Autoren waren an den Tatorten und haben mit den Ermittlern von Polizei und Staatsanwaltschaft gesprochen. „Wir versuchen immer, ganz nah dran zu sein“, sagt Lapp.

Dank neuer Methoden der DNA-Analyse konnte der Täter überführt werden

Daran, dass der Mörder von Ursula M. doch noch überführt werden konnte, haben Kriminalhauptkommissar Frank Hansen und sein Team von der Mordkommission Lübeck einen wesentlichen Anteil. Mehr als zehn Jahre nach der Tat nahmen sie sich den Fall noch einmal vor. „Die technischen Möglichkeiten entwickeln sich laufend weiter, deshalb sehen wir uns alte Fälle wieder an“, sagt er. Mittels neuer Methoden der DNA-Analyse lassen Hansen und seine Kollegen die Kleidung von Ursula M. noch einmal untersuchen.

Der Journalist Sascha Lapp hat den Ahrensburger Fall und 14 weitere Verbrechen für das Buch „Das Prinzip Mord“, das er gemeinsam mit seinem Kollegen David Sarno geschrieben hat, aufbereitet.
Der Journalist Sascha Lapp hat den Ahrensburger Fall und 14 weitere Verbrechen für das Buch „Das Prinzip Mord“, das er gemeinsam mit seinem Kollegen David Sarno geschrieben hat, aufbereitet. © Claudia Bornemann | Claudia Bornemann

„An einem Body, an einer Stelle, an die normalerweise niemand gelangen dürfte, wurde Genmaterial von Frank B. gefunden“, erzählt Hansen. Über sein genetisches Profil verfügt die Polizei, weil der Vermögensberater zwei Jahre zuvor seine Ex-Freundin angegriffen und mit einem Elektrokabel gedrosselt haben soll. Daraufhin wird auch die Bettwäsche noch einmal untersucht. Und tatsächlich: Die Ermittler können auch hier die DNA von Frank B. nachweisen. Noch viel interessanter für Hansen und sein Team ist aber der Gesichtsabdruck, den sie auf dem Kopfkissenbezug entdecken.

Herumstehende Einkäufe lassen Ermittler am Todeszeitpunkt zweifeln

Lippenstift und Wimperntusche zeichnen sich dort ab, als hätte jemand Ursula M. das Kissen auf das Gesicht gedrückt. „Das passte dazu, dass wir ja wussten, dass das Opfer erstickt worden ist“, sagt Hansen. Der Verdacht gegen Frank B. erhärtet sich, erst Recht, nachdem Zeugen aussagen, der Vermögensberater habe mehr als nur ein geschäftliches Interesse an Ursula M. gehabt. Doch Frank B. hat für die Todesnacht ein wasserdichtes Alibi.

Hansen und sein Team lassen dennoch nicht locker. Erstmals stellen sie den von der Rechtsmedizin seinerzeit ermittelten Todeszeitpunkt infrage. Spuren am Tatort bekräftigen die Ermittler in ihrer Theorie. „Wir wissen, dass das Opfer am Freitagnachmittag in Hamburg einkaufen war“, sagt Hansen. Die eingekauften Waren hätten bei Eintreffen der Polizei 1993 noch unverpackt auf einem Tisch gestanden.

Vor ihrem Tod hatte Ursula M. noch mit ihrem Mörder zusammengesessen

„Da Ursula M. als sehr ordnungsliebend beschrieben wurde, hätte sie die Einkäufe weggeräumt“, sagt Hansen. Auch andere Spuren am Tatort stützen die Theorie, dass die Ahrensburgerin schon am Freitagabend ermordet worden sein könnte. So liegen etwa am Waschbecken im Bad noch Fingernägel, die ihr Sohn sich am Freitag vor seiner Abreise ins Zeltlager geschnitten hatte. „Auch da hätte Frau M. sauber gemacht“, ist sich Frank Hansen sicher. Ein volles Sektglas und eine Bierflasche auf dem Tisch im Wohnzimmer deuten darauf hin, dass sich Ursula M. vor ihrem Tod mit jemandem getroffen hat.

Frank Hansen und sein Team sind sicher: Die Geschäftsfrau starb bereits einen Tag früher. Schließlich kommen auch Rechtsmediziner zu diesem Schluss: Weil die Leiche in dem geschlossenen Schrank lag, könnte dort eine andere Temperatur als im übrigen Schlafzimmer geherrscht haben, der Todeszeitpunkt deshalb falsch berechnet worden sein.

Erdrückende Indizien führen letztlich zur späten Verurteilung des Täters

Für Freitagabend hat Frank B. kein Alibi. Die Ermittler konfrontieren ihn mit den neuen Erkenntnissen, doch der mutmaßliche Täter schweigt. Letztlich sind die Indizien aber so erdrückend, dass er in einem aufwendigen Verfahren verurteilt wird. Gericht und Ermittler gehen davon aus, dass Frank B. sein Opfer am Freitagabend zu Hause aufsuchte, die beiden gemeinsam Alkohol tranken.

Als Ursula M. hinauf ins Schlafzimmer ging, sei B. ihr gefolgt, möglicherweise in der Hoffnung, intim mit der Geschäftsfrau werden zu können. Die Ahrensburgerin habe seine Avancen jedoch zurückgewiesen. Im Streit habe B. sie schließlich erstickt. Frank Hansen ist froh, dass er zur späten Aufklärung des Falls beitragen konnte. Ein Triumphgefühl empfinde er aber nicht. „Für die Angehörigen ist es gut, dass sie Gewissheit haben“, sagt er.

Das Prinzip Mord Emons-Verlag, ISBN 9783740815912, 25 Euro