Sylt. Nicolas Rathge hat bei zahlreichen Sterneköchen gelernt. Trotzdem setzt er auf Heimatküche – zu Ehren seiner Großmutter.
Oma Wilma. Dieser Name steht in großen Buchstaben über dem Eingang zu einem der ältesten Friesenhäuser in Keitum auf der Insel Sylt. Hinter den weiß getünchten Mauern unter Reet hier an der Straße Gurtstig, in deren Umgebung zahlreiche edle Modeläden zu finden sind, verbirgt sich das Restaurant von Nicolas Rathge.
Bereits 2017 hatte der damals 27-Jährige das Objekt angeboten bekommen. „Ich war bislang noch nicht selbstständig gewesen, und da überlegt man erst mal einen Moment. Aber dann war mir klar: Diese Chance bekommt man nur einmal.“
Sylt: Das Restaurant in Keitum hat Nicolas Rathge nach seiner Oma Wilma benannt
Der Insulaner sagte zu. Die Immobilie, in der zuvor die Alte Friesenwirtschaft zu finden war, wurde komplett renoviert. Als modern-friesisch beschreibt der Hausherr das Ambiente. An den Wänden hängen Schwarz-Weiß-Fotografien. Die rustikalen Holztische sind mit Stoffservietten eingedeckt und die Sitzbänke mit bunten Stoffen bezogen. Dazu gibt es einen Garten mit altem Baumbestand.
Ende 2019 war die Eröffnung. „Für mich ist das ein Herzensprojekt“, sagt Rathge. Und natürlich stellt sich die Frage: Warum dieser Name? „Meine Oma Wilma hat meine Kindheit geprägt und mich dazu inspiriert, dass ich mich für eine Ausbildung zum Koch entscheide“, sagt der 33-Jährige im Gespräch mit dem Abendblatt.
Nicolas Rathge ist ein echter Insulaner – und lebt bis heute in Tinnum
Nicolas Rathge, der in Tinnum aufgewachsen ist und bis heute dort lebt, lächelt und erzählt. Zuerst habe er beim Kuchenbacken geholfen, dann den Kartoffelstampf gemacht. Nach und nach habe ihn seine Oma Wilma an die Hausmannskost herangeführt.
Spitzenkoch setzt auf Heimatküche
Auch die Königsberger Klopse, die in der kälteren Jahreszeit auf der Speisekarte zu finden sind, werden nach einem Rezept von ihr zubereitet. „Bei uns gibt es Sylter Heimatküche. Aber wir interpretieren die Gerichte ein wenig neu, bereiten alles etwas leichter zu. Also lassen auch mal ein bisschen Sahne weg und bringen frischen Wind in die gutbürgerliche Küche.“
Sylt: Sein Ausbilder war der Gourmetpapst Jörg Müller
Seine Ausbildung hat der Sylter bei Jörg Müller absolviert, und der ist sozusagen der Gourmetpapst der Insel. Mit seinem Restaurant Nösse in Morsum erhielt der heute 76-Jährige in den 80er-Jahren zwei der begehrten Michelinsterne und in seinem eigenen Hotel und Restaurant Jörg Müller in Westerland wurde er ebenfalls mit einem Michelinstern ausgezeichnet.
„Jörg Müller ist ein Großmeister. Das war eine harte Schule für mich. Ich habe mit 15 Jahren dort angefangen. Ich bin der Familie Müller heute noch dankbar für die Geduld, die sie mit mir hatten.“ Und für ihn sei es der beste Start für seine Kochkarriere gewesen.
Der Oma-Wilma-Chef hat in Berlin im Sternerestaurant Margaux gekocht
Nach der Ausbildung 2009 ging es nach Berlin. Die Metropole hatte schon damals mehr als drei Millionen Einwohner. Sylt hat weniger als 20.000. „Das war ein Kulturschock. Ich habe zum ersten Mal alleine gelebt und wohnte auch noch in Mitte, also mittendrin. Aber ich habe die Zeit genossen, bis heute gehört Berlin zu meinen Lieblingsstädten.“
Dort arbeitete Rathge im Margaux von Michael Hoffmann – das auch mit einem Michelinstern gekrönt ist. „Das Margaux war für seine Gemüseküche auf französischer Basis bekannt, und ich konnte mich dort dann tiefer mit dieser Materie befassen. Und auch im Oma Wilma legen wir großen Wert auf Gemüse, das wir aus den Hamburger Vierlanden beziehen.“
Mit der MS „Europa“ hat Nicolas Rathge eine Weltreise gemacht und an Bord gekocht
Nach einem halben Jahr in Berlin kehrte Rathge auf die Insel zurück. Dort war eine weitere Station der Söl’ring Hof in Rantum – bis heute mit zwei Michelinsternen ausgezeichnet.
Und es ging für das Nordlicht noch einmal ganz weit weg. Mit der MS „Europa“ begab sich Rathge mehr als ein halbes Jahr lang auf Weltreise: Einstieg in Venedig und Ausstieg auf den Fidschis im Südpazifik. Er arbeitete an Bord als Koch. „Wir waren in Asien. Ich habe meinen 21. Geburtstag in Sydney gefeiert, und auch Neuseeland hat mich sehr beeindruckt.“
Zurück auf Sylt folgten weitere Stationen unter anderen in den legendären Restaurants Gogärtchen und Rauchfang auf der berühmten Whiskymeile in Kampen.
Insel Sylt: Bei Oma Wilma wird Fisch aus der Nordsee serviert
Im Abendblatt-Gespräch mit dem Spitzenkoch wird schnell deutlich: Rathge brennt für seinen Beruf. „Kochen ist ein Handwerk für mich. Ich schaffe etwas mit meinen Händen und habe Respekt vor dem Lebensmittel.“ Es werde nie langweilig, man könne immer neue Sachen ausprobieren, und natürlich sei es jeden Tag eine neue Herausforderung.
Die Speisekarte im Oma Wilma wechselt viermal im Jahr. Im Sommer lege man den Fokus auf Fischgerichte. Der Fang stamme aus der Nordsee, gefischt vor der dänischen Küste. Die Gäste können zum Beispiel Pannfisch vom Kabeljau mit Kohlrabi, Senf und Zwiebeln ordern. Oder Wolfbarschfilets mit Bohnen, Zwiebeln und Brokkoli.
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Wer eher auf Fleisch steht, kann zum Beispiel ein Kalbsrückensteak mit Spitzkohl, Gewürzknusper und Backpflaume bestellen.
Sylt: Nicolas Rathge möchte in seinem Restaurant künftig Köche ausbilden
Und es gibt das Heimatküchen-Degustations-Menü – was bei den drei oder vier Gängen auf den Tisch kommt, ist eine Überraschung. Und es wird übrigens auch ein Mittagstisch angeboten.
Sonntags und montags hat das Oma Wilma geschlossen. Um sich zu entspannen geht Nicolas Rathge auf den Golfplatz. Ansonsten gehört seine Freizeit vor allem seinen beiden sechs und acht Jahre alten Söhnen. Die Jungs werden auch schon an die Materie herangeführt. Eier, Reis und Kartoffelstampf gehören zu ihren Lieblingsgerichten und, so der stolze Vater: „Die beiden helfen schon tatkräftig mit.“
Es ist kein Geheimnis, dass vor allem Köche rar sind in der Gastronomie. Deshalb möchte sich Rathge um den Nachwuchs kümmern und demnächst auch Lehrlinge einstellen. Dafür braucht man allerdings einen Ausbilderschein – den macht Nicolas Rathge im kommenden Jahr.