Sylt. Auf der Nordseeinsel soll es einen der weltweit schönsten FKK-Strände geben. Doch nicht nur deshalb badet man hier gerne textilfrei.

Lufttemperatur 22 Grad, die Nordsee hat 19 Grad und der Himmel über Sylt ist stark bewölkt. Kein typisches Badewetter, und so gehen die meisten Urlauber eher am Strand spazieren, als im Wasser zu planschen. Die meisten, aber nicht alle. Die, die an diesem typischen Nordsee-Sommertag in Wenningstedt ins Wasser gehen, sind oft nackt. Nicht nur Urlauber, auch die Sylter mögen es, ohne Badesachen ins Wasser zu gehen.

Der Urlauber aus Dresden hat seine Kleidung an den Dünen windgeschützt abgelegt und geht komplett unbekleidet hier zwischen Wenningstedt und Kampen die Strecke zur Wasserkante, während alle um ihn herum in Shorts und Pulli unterwegs sind. Ob das nicht unangenehm ist, so als einziger Nackter zwischen den Angezogenen? „Nein, wieso? Ich habe schon lange keine Hemmungen mehr“, sagt der Mann um die 60 und steigt ins Wasser.

Sylt: Auf der Nordseeinsel gibt es weltweit den schönsten FKK-Strand

Unkompliziert und natürlich ist das. Teenager und jüngere Menschen gehen lieber bekleidet ins Wasser. Nacktbaden, das ist eher eine Sache der Älteren. Und es ist vor allem auch eine Sache, die viele Sylter lieben. Kein Wunder, gibt es weltweit doch kaum Orte, wo man so schön nackt badet wie auf der Nordseeinsel. Der Strandabschnitt Buhne 16 in Kampen zählt angeblich zu den schönsten FKK-Stränden weltweit.

Auf Sylt gibt es acht ausgewiesene FKK-Strandabschnitte.
Auf Sylt gibt es acht ausgewiesene FKK-Strandabschnitte. © imago stock&people | imago stock&people

Insulanerinnen wie Christina Lohmann, die als Syltlotsin Urlaubern mit ihren Kolleginnen ihre Insel zeigt, geht regelmäßig unbekleidet ins Wasser. „Das hat natürlich mit dem Alter zu tun. Junge Menschen und Jugendliche tun das nicht. Ich habe das als junger Mensch auch nicht gemacht“, sagt sie.

Nordsee: Insulanerinnen gehen beim Picknicken nackt ins Wasser

Ihr 23 Jahre alter Sohn und seine Freunde gehen viel baden, zu jeder Jahreszeit. „Aber die würden niemals nackt gehen. Aber nach oben hin ist dem Alter keine Grenze gesetzt“, sagt sie und lacht.

Die Syltlotsinnen sind Gästeführer auf Sylt (v.l.): Sabine Hirschberger, Christina Lohmann und Alexandra Morell. Christina Lohmann geht lieber nackt baden als im Bikini oder Badeanzug.
Die Syltlotsinnen sind Gästeführer auf Sylt (v.l.): Sabine Hirschberger, Christina Lohmann und Alexandra Morell. Christina Lohmann geht lieber nackt baden als im Bikini oder Badeanzug. © Christina Lohmann

Im Freundeskreis hat Christina, auf Sylt duzt man sich, eine kleine Picknickgruppe. „Wir treffen uns, wenn das Wetter toll ist, bestimmt zweimal in der Woche abends in Rantum am Strand und picknicken da. Und selbstverständlich gehen wir vorher, hinterher und permanent alle zusammen nackt baden.“

Das macht die 56-Jährige auch zwischendurch beim Spazierengehen. „Ich laufe eine Stunde am Meer entlang und denke: Da muss ich jetzt rein. Und dann springe ich nackt rein und lasse mich vom Wind wieder trocknen.“ Ein Handtuch ist ebenso unnötig wie ein Bikini.

FKK-Strände: Nackt in der Nordsee – ein Gefühl von Freiheit

Klamotten runter und rein ins Wasser, herrlich sei das. Nach dem Joggen hat man auch nicht immer Badesachen dabei. „Das hat etwas von Spontanität und Freiheit, unkonventionell“, findet Christina. Und das sei auch das Tolle daran. „Man braucht dafür nichts, und die Nordsee lockt immer wieder.“

Das Gefühl dabei ist das von absoluter Freiheit und von völliger Natürlichkeit. Ohne Bikini, Badeanzug, Badeshorts in der Nordsee baden, das lässt die Elemente noch mehr spüren. Wenn es jeder machen würde, wäre die Hemmschwelle, allein nackt zur Wasserkante zu gehen, sicherlich bei den Unsicheren noch geringer.

Nacktbaden – früher hat es die Menschen aufgeregt, heute sind sie toleranter

Rita Szugs ist jahrelang jeden Tag bei jedem Wetter – egal ob im Winter oder Sommer – morgens um sieben Uhr zum Strand gegangen und ohne Bikini, ohne Badeanzug in der Nordsee geschwommen. „Mein Arzt sagte mir, mein Blutdruck sei zu niedrig. Ich wollte keine Medikamente nehmen und bin lieber in die Nordsee gegangen“, sagt sie. Nackt. Denn Klamotten beim Baden stören nur. „Irgendwas zwickt und zwackt doch immer“, sagt die 80-Jährige.

Seitdem sie nicht mehr fußläufig am Strand wohnt, geht Rita nicht mehr jeden Tag in die Nordsee. Aber wenn sie schwimmen geht, dann nur nackt, und nicht nur an ausgewiesenen FKK-Stränden. Denn es geht ihr nicht darum, nackt herumzuflanieren, sondern es geht nur ums Nacktbaden.

Sylt: Jeder zweite Gast geht zumindest einmal nackt ins Wasser

Textilfrei baden ist üblich, aber kein Massenphänomen und auch nicht überall und nicht zu jeder Zeit möglich. „An den Textilstränden und an den Hauptstränden etwa in Westerland würde man das nicht tun“, sagt Christina. „Die meisten gehen morgens vor dem Frühstück, da ist es noch ganz ruhig und hat fast etwas Meditatives, aber gleichzeitig auch etwas Weckendes, Erfrischendes.“

Laut dem Sylt Tourismus Service ist Nacktbaden auf Sylt längst zur Selbstverständlichkeit geworden. „Am liebsten ohne – diesem Anspruch kommt immerhin jeder zweite Gast zumindest einmal während des Sylt-Urlaubs nach“, heißt es offiziell.

Nordsee: FKK hat auf Sylt eine lange Tradition – 1904 fing alles an

Sylt kann auf eine lange FKK-Tradition blicken: 1903 ließ sich Ferdinand Avenarius auf dem Dach seines Kampener Hauses Uhlenkamp eine Wanne für das ungestörte nackte sogenannte Lichtbaden konstruieren. 1904 wurde in Westerland das erste Luft- und Sonnenbad in einem Holzgebäude mit Innenhof errichtet.

1919 gründete Knud Ahlborn das Freideutsche Jugendlager Klappholttal. Dort gehörte ein morgendliches Bad ohne Bekleidung mit anschließendem Frottieren zum täglichen Ritual.

1927 erhielt Klappholttal eine landespolizeiliche Ausnahmegenehmigung zum Nacktbaden und war damit Sylts erster legaler FKK-Strand. 1954 wurde dann in Westerland der erste für jeden frei zugängliche FKK-Strand an der deutschen Küste ausgewiesen.

Heute gibt es reichlich Gelegenheit für die Freikörper-Badekultur auf der Nordseeinsel: Etwa jeder dritte Strandabschnitt entlang der 40 Kilometer langen Sylter Westküste ist heute FKK-Bereich.

Sylt: Auch außerhalb der offiziellen FKK-Strände ist das Nacktbaden geduldet

Es gibt acht ausgewiesene FKK-Strandabschnitte: Kap-Horn in Hörnum, Samoa in Rantum, Oase und Nordseeklinik in Westerland, Dünenwall und Campingplatz in Wenningstedt, Buhne 16 in Kampen und der Weststrand in List.

Auch außerhalb der offiziellen FKK-Strände ist das Nacktbaden zwar offiziell nicht unbedingt erlaubt, aber eben auch nicht verboten. Es wird geduldet. Die Trennung zwischen textilem Bereich und Nacktzone verschwimmt immer mehr.

Die Sylterin Rita Szugs mag diese Gelassenheit. Die Menschen seien im Laufe der Jahre immer toleranter geworden. „Jeder kann es so machen, wie er will. Früher haben sich die Leute darüber aufgeregt. Das ist vorbei.“