Westerland. In der Einrichtung sollen Kinder mit mehr Freiräumen und ohne Klausuren lernen. So plant Initiatorin Johanna Erken den Schulalltag.
Mathe, Deutsch und Englisch lernen – dabei auf dem Boden in der Klasse liegen und sich über die Noten keine Gedanken machen. Für viele Schulkinder mag das unvorstellbar sein. Für die Inselkinder von Sylt dagegen könnte das bald Realität werden.
Die Sylterin Johanna Erken möchte genau so ein System auf der Nordeseeinsel etablieren. Mit einem kleinen Team will sie eine eigene Schule gründen. In der "Freien Schule Sylt" sollen junge Menschen in den Klassen eins bis zehn von einem alternativen Schulsystem profitieren.
Das Konzept: Mehr praktische Arbeit, mehr Freiräume und mehr individuelle Begleitung. Aktuell liegt der Antrag für die Gründung der sogenannten "Anerkannten Ersatzsschule" beim schleswig-holsteinischen Bildungsministerium. Wenn alles glatt läuft, könnte die Schule noch im August 2023 auf der Nordseeinsel eröffnen.
Sylt: Kinder sollen lernen, worauf sie Lust haben
Anders, als in "normalen" deutschen Schulen sollen Kinder sich lediglich auf die Fächer fokussieren, auf die sie Lust haben. Lehrkräfte und andere Pädagogen würden den Prozess eng begleiten. Tests, Noten oder Klassenarbeiten gebe es dann nur auf Wunsch. Und trotzdem betont Johanna Erken: "In der Freien Schule soll natürlich kein Kind weniger lernen, als woanders." Auch hier würden die selben Fachanforderungen gelten, wie überall in Schleswig-Holstein.
Dennoch: Der Ansatz ist in "Freien Schulen" ein anderer. "Kinder kommen neugierig zur Welt. Sie wollen eigentlich jeden Tag etwas lernen. Das müssen wir bewahren", sagt die dreifache Mutter. Für Johanna Erken ist das der Grundgedanke hinter dem Konzept. Sozusagen: Wenn ein Kind in der Schule viel Freiraum und wenig Druck von außen habe, möchte es auch lernen. Und müsse nicht dazu gedrängt werden.
Zu dem "etwas anderen" Schulalltag gehören laut Plan auch Bewegungsfreiheit und viele praktische Übungen. "Die Kinder dürfen auf dem Boden sitzen oder liegen, sie dürfen sich draußen austoben, wenn sie es brauchen", sagt Erken.
Als praktische Übung selbst Gemüse anbauen
Außerdem seien Kooperationen mit verschiedenen Sylter Unternehmen geplant. Mit dem Bio-Bauernhof in Wenningstedt-Braderup, der im Sommer auch das große Erdbeerfeld "Erdbeerparadies" betreibt, gibt es schon eine Absprache. "Dort können die Kinder lernen, wie man selbst Pflanzen anbaut und woher unsere Nahrung kommt", so Erken. Aber auch andere, längere Praktika seien angedacht. "Damit man mal richtige Einblicke in verschiedene Jobs bekommt und nicht immer nur ein, oder zwei Wochen lang."
Nach der Eröffnung soll die Schule zunächst nur für Schülerinnen und Schüler der Klassen eins bis fünf verfügbar sein – und dann "mit den Kindern bis Klasse zehn wachsen". Jedes Jahr würde die "Freie Schule" dann einen neuen Jahrgang eröffnen – bis es nach fünf Jahren insgesamt zehn Jahrgänge gibt. Trotz der unterschiedlichen Konzepte sollen auch Kinder von anderen Einrichtungen auf die neue Schule wechseln können – und andersherum.
Tagesablauf mit verschiedenen Phasen
Für einen engen Austausch seien kleine Lerngruppen angedacht. Nur mit 25 Kindern soll der Unterricht starten, nach einigen Jahren würden es dann voraussichtlich etwa 80. Anfangs bestehe das Team aus vier Lernbegleiterinnen, davon zwei studierte Lehrkräfte. Sich selbst sieht Johanna Erken womöglich als Geschäftsführerin an der Schule.
Aber wie könnte ein Tag in der "Freien Schule" aussehen? Auch dafür gibt es schon genaue Vorstellungen – zumindest für die Kinder im Grundschulalter. Von 7.30 bis 8.30 Uhr können die Kinder ihre Zeit selbst gestalten. Der restliche Tag sei von zwei längeren Arbeitsphasen und einem gemeinsamen Mittagessen geprägt. Von 13 bis 15 Uhr steht eine Nachmittagsbetreuung zur Verfügung.
Dass das Team das "freie Konzept" ganz ohne Probleme umsetzen kann, glaubt Johanna Erken selbst nicht. "Das wäre unrealistisch", sagt sie. Trotzdem ist sie sich sicher, dass das Projekt ein Erfolg wird. Und, dass sich auch verhaltensauffällige Kinder einfügen können. "Wenn jemand zum Beispiel aggressiv ist, dann müssen wir eben gucken wie wir auf das Kind eingehen und woher dieses Verhalten kommt", so Erken.
Noch liegt keine Genehmigung für die Schule vor
Außerdem werde es trotz der großen Freiheit Regeln geben. "Die erarbeiten wir dann alle gemeinsam im Konsens." Dass an die Schule besonders viele Schülerinnen und Schüler kommen, die in anderen Einrichtungen Probleme haben, glaubt Johanna Erken nicht. Für sie ist sicher: Ihre Kinder würden in der neuen Institution sofort eingeschult.
- Diese Frauen erzählen Sylts Geschichte in einem Bilderbuch
- Auf nach Hörnum: Jugendfreizeit im Fünf-Städte-Heim
- Erster Warnstreik auf Sylt: 10,5 Prozent mehr Lohn gefordert
Bis zum Start ist aber noch einiges zu tun. Zwei grundlegende Schritte stehen noch aus: Damit die Schule wirklich im August eröffnen kann, müssen die Gründerinnen erst mal geeignete Räume finden.
"Freie Schule Sylt": Standort könnte in Hörnum sein
Johanna Erken hat vor allem das Gebäude der Hörnumer "Schule Auf der Düne" im Auge. Die Grundschule steht seit mehr als zehn Jahren leer, weil es in Hörnum nicht mehr genügend Grundschulkinder, um den Betrieb am Laufen zu halten. "Wir haben die Nutzung beantragt. Diese Woche diskutiert die Gemeinde darüber", sagt Erken hoffnungsvoll. Im nächsten Schritt müsse das Bildungsministerium die Gründung genehmigen. Auch dieser Antrag sei jedoch eingereicht. "Wir sind sehr optimistisch, dass es klappt", so Erken.
Um die "Freie Schule", die dann offiziell als "anerkannte Ersatzschule" laufen würde, zu finanzieren, hat das Gründungsteam einen sechsstelligen Betrag als Kredit beantragt. Nach den ersten zwei Jahren würde die Schule Förderung vom Bund erhalten. Eine Privatschule bleibt sie dann trotzdem. Das bedeutet: Jeden Monat wird für die Eltern ein Betrag von 170 Euro pro Kind fällig. "Wenn sich das jemand nicht leisten kann, finden wir aber auch dafür eine Lösung", sagt Erken. So gebe es zum Beispiel Fördermöglichkeiten über den Trägerverein „Freie Bildung Sylt“.
Mehr als 150 ähnliche Konzepte in Deutschland
Für Johanna Erken und ihr Team heißt es: Abwarten. "Wenn wir es nicht schaffen sollten, diesen Sommer zu eröffnen, dann peilen wir August 2024 an." Laut dem Bundesverband der Freien Alternativschulen gibt es in Deutschland mehr als 150 Freien Alternativschulen und Gründungsinitiativen, die ein ähnlich freies und selbstbestimmtes Lernen fördern.
Am Mittwoch, 15. Februar präsentiert das Team der "Freien Schule Sylt" um 19 Uhr noch einmal das gesamte Konzept im Keitumer Friesensaal. Anmeldung per E-Mail an info@freieschulesylt.de.