Sylt. Des Deutschen liebstes Urlaubsmöbel? Ein Sylter Familienbetrieb und Experten am Wenningstedter Strand liefern Antworten.

Was macht den Sylt-Urlaub aus? Für manchen wohl der Hummer (häufiger Krustentier, seltener Fahrzeug), für einige der Aperol, weitere die Dünenlandschaft, für etliche der Autozug und wieder andere der Aufkleber in Inselform am Heck.

Doch es gibt da auch ein Sitzmöbel, das nicht nur bei allen Sylt-Urlaubern einfach dazugehört, sämtliche Nordsee- und sogar Ostsee-Touristen haben es zu schätzen gelernt. Es handelt sich, klar, um den Strandkorb. Am liebsten blau-weiß-gestreift und in die gewünschte Richtung gedreht.

Er ist der Inbegriff des innerdeutschen Küstentourismus. Auf Sylt stehen allein rund 30.000 der Dinger – dabei hat Sylt nur rund 15.000 Einwohner.

"Sylt-Strandkörbe" stellt seit 75 Jahren die Sandmöbel her

So weit, so gut. Seltsam ist: Der Strandkorb ist ein rein deutsches Phänomen. Es gibt nicht eine einzige Übersetzung für das Wort. Warum bloß können wir uns so sehr für den Sand-Sitz begeistern?

Vielleicht verhilft ein Besuch der einzigen Strandkorb-Manufaktur auf Sylt die Faszination, besser zu verstehen. Der Familienbetrieb "Sylt-Strandkörbe" stellt seit mehr als 70 Jahren Unmengen der Sitze her.

Angefangen hat das Business mit Korbmacher Paul Schardt, der 1947 die ersten Modelle fertigte. 1975 dann übernahm sein Sohn Willy Trautmann die Manufaktur, mittlerweile arbeiten dessen Tochter Svenja Trautmann und ihr Mann André Möller in dritter Generation für Sylt-Strandkörbe. Nächstes Jahr soll der Betrieb die 50.000-Körbe-Marke knacken, erzählt Möller.

Der Chef nimmt jeden Strandkorb persönlich ab

Das Besondere: "An jeden Strandkorb, der die Firma verlässt, hat ein Familienmitglied Hand angelegt", so der leitende Angestellte. Zudem erfolge die Endkontrolle stets durch Willy Trautmann höchstpersönlich. "Die Manufaktur ist schließlich sein Leben", sagt Möller.

Insgesamt sägen, nageln, flechten, schneidern, polstern, verkaufen und liefern 15 Mitarbeiter in dem Betrieb. Drei bis fünf Strandkörbe stellen sie jeden Tag fertig. Aus 150 Einzelteilen bestehe das Urlaubsmöbel, 350 Meter Flechtband aus PVC oder PET müssen dafür in Handarbeit gewoben werden.

In der Manufaktur Sylt-Strandkörbe flechten die Mitarbeiter von Hand.
In der Manufaktur Sylt-Strandkörbe flechten die Mitarbeiter von Hand. © Anika Würz

Preislich geht es ab 2200 Euro los. Dennoch würde Möller immer vom billigeren Baumarktmodell abraten: "Unsere Philosophie ist, dass die Körbe lange halten sollen. 25 Jahre ungefähr, ich habe auch schon 35 Jahre alte Körbe gesehen." Traditionelle Handwerkskunst und lange Lebensdauer – darum gehe es in der Manufaktur, die nicht nur Körbe verkauft, sondern sie in der Saison auch an Restaurants, Hotels und Ferienhäuser auf Sylt vermietet.

Sylt-Strandkörbe: "Nordisch – schlicht, aber elegant"

Zur serienmäßigen Ausstattung gehören zwei Klapptische, zwei Armlehnen sowie zwei ausziehbare und höhenverstellbare Fußstützen, die Rückholunterstützung und eine Markise. Die Firma Sylt-Strandkörbe in Rantum fertigt übrigens ausschließlich die Nordsee-Variante, die etwas kantiger wirkt: "Die ist eben nordisch – schlicht, aber elegant", beschreibt Möller. "Die Ostseekörbe sind verspielter." Sie zeichnen sich durch eine eher rundliche Form aus.

Was die Körbe beider Küsten für gewöhnlich gemeinsam haben, sind Polster mit klassischen Blockstreifen, gern blau-weiß. Egal ob Ein-, Zwei, Dreisitzer oder Komfortkorb (mit Breiten zwischen 94 und unglaublichen 174 Zentimetern!) – Blockstreifen bevorzugen auch viele private Käufer in der Sylt-Strandkörbe-Manufaktur. "Das ist eben das Bild, das wir sofort im Kopf haben", begründet Möller.

André Möller von Sylt-Strandkörbe zeigt das typische Polstermuster: blau-weiße Blockstreifen.
André Möller von Sylt-Strandkörbe zeigt das typische Polstermuster: blau-weiße Blockstreifen. © Anika Würz

Von Sylt aus kam "The Strandkorb" nach Großbritannien

Wer sich die derzeit fünf Wochen Wartezeit auf den Sand-Sitz nimmt, hat ihm zufolge anschließend jahrzehntelang Urlaubsflair im eigenen Garten. Auch die Pflege ist laut Möller unerheblich: "Den kann man einfach mit dem Schlauch reinigen, hin und wieder muss man ihn imprägnieren."

Das klingt ja alles fantastisch – aber wieso setzt sich der Korb denn bloß nicht international durch? Möller berichtet, beinahe weltweit auszuliefern. Die Manufaktur habe vor einigen Jahren sogar "The Strandkorb" exklusiv für das britische Edelkaufhaus Harrods verkauft.

Aber klar, das Gros der Körbe schicke er nach Deutschland, viele weitere zumindest in die sogenannte DACH-Region. Warum fast ausschließlich die Deutschen so auf Strandkörbe abfahren, kann nicht einmal er sich erklären.

André Möller, Vinz Keno Möller und Svenja Möller-Trautmann (v.l.) posieren in einem Ausstellungs-Strandkorb in der Manufaktur ihrer Familie in Rantum auf Sylt.
André Möller, Vinz Keno Möller und Svenja Möller-Trautmann (v.l.) posieren in einem Ausstellungs-Strandkorb in der Manufaktur ihrer Familie in Rantum auf Sylt. © Anika Würz

Strandkorb im Garten: Urlaubsflair fürs Eigenheim

Womöglich lässt sich bei einem Abstecher zum Wenningstedter Strand der Grund der deutschen Urlaubsmöbel-Liebe erforschen. Mit etwas Glück liegt die Antwort ja im Strandkorb selbst – etwa in Form von Anja und Mike. Sie mutmaßen: "Früher ging es beim Strandkorb bestimmt um die Intimsphäre." Sehen, aber nicht gesehen werden, wollten frühere Strandgänger hierzulande, meinen die beiden.

Wenn Anja und Mike auf Sylt im Korb sitzen, holen sie sich damit ihre Heimat auf die Nordseeinsel. Denn zu Hause, in Gladbeck, haben sie einen Strandkorb im Garten stehen – "für das Urlaubsflair", wie sie berichten. "Wegen der Muckeligkeit haben wir uns den geholt. Manchmal stellen wir noch einen Feuerkorb davor."

Ein windgeschützter, quasi privater Strandabschnitt

Ähnlich Harriet und Matthias: Auch in ihrem Garten steht ein Strandkorb, ein Hochzeitsgeschenk. Im Sylt-Urlaub können die beiden ebenfalls nicht von dem Sitzmöbel lassen. "Das ist doch praktisch, man spürt den Wind nicht", begründen sie. Die Frankfurter denken, der Schutz gegen die raue Witterung an den deutschen Küsten ist das größte Plus des Strandkorbs.

Annika und Nikolai wiederum – selbstverständlich ebenfalls im Strandkorb sitzend, allerdings in Westerland – vermuten, dass den Deutschen die Sitznische so gefällt, "weil man da seinen Platz hat." Ein privater Strandabschnitt quasi mit Wind- und Sichtschutz, Getränkehalter und Fußablage. "Für den Sonnenuntergang ist das doch perfekt", meint das Paar.

Annika und Nikolai genießen den Sommer auf Sylt - selbstverständlich im Strandkorb.
Annika und Nikolai genießen den Sommer auf Sylt - selbstverständlich im Strandkorb. © Anika Würz

Sylt: Morgens muss der Strandkorb gen Osten gucken

Nicht nur Strandkorb-Manufakturen und Strandkorb-Sitzer gibt es, sondern auch Strandkorb-Dreher. In Wenningstedt macht unter anderem Helge den Job. Aber warum überhaupt? "Morgens müssen die Strandkörbe in Richtung Osten gedreht sein", erklärt er, "weil sie dann im Sonnenaufgang schnell trocknen." Ansonsten drehe er die Körbe jeweils in die Richtung, von der die Urlauber das meiste haben. Sprich: so, dass es im Korb windstill ist.

Der beim Tourismusservice in Wenningstedt Angestellte dreht die Körbe aber nicht nur, er transportiert sie auch: "Wir stellen sie zusammen oder bringen sie zu älteren Leuten, die nicht mehr gut laufen können."

Helge fährt in seinem Buggy über den Strand in Wenningstedt, um Körbe zu transportieren.
Helge fährt in seinem Buggy über den Strand in Wenningstedt, um Körbe zu transportieren. © Anika Würz

Für umfangreichere Auskünfte hat Helge keine Zeit – er muss weiter. Der Herr verabschiedet sich, springt eilig in seinen Strandbuggy und beginnt, damit unter den interessierten Blicken einiger Sonnenanbeter Körbe von A nach B zu bringen.

Gebrechliche Adelsdame Schuld an unzähligen Urlaubsfotos

Neu ist der Strandkorb übrigens nicht. Ähnliche Modelle lassen sich bis ins 16. Jahrhundert nachweisen. Einen mit den heutigen vergleichbaren Korb hat angeblich eine gebrechliche Adelsdame Ende des 19. Jahrhundert erfunden – zumindest mittelbar. Dass sie damit unzählige Urlaubsfotos auf gestreiftem Polster verursachen und den deutschen Strandurlaub für immer verändern würde, hat sie damals wahrscheinlich nicht kommen sehen.

Berichten zufolge hieß jene Frau Elfriede von Maltzahn, litt an Rheuma und wünschte sich einen geschützten Platz am Strand. So ließ sich ihr Hofkorbmacher Wilhelm Bartelmann den Sitz einfallen. In den folgenden Jahren verbreitete sich die Idee entlang der deutschen Küsten – und überlebte die bewegte Geschichte unseres Landes. Schließlich galt der Strandkorb selbst zu Zeiten der innerdeutschen Teilung in Ost und West gleichermaßen als Sommerurlaubssymbol schlechthin – darauf können sich eben alle einigen.

Nicht nur auf Sylt: Der Strandkorb ist für alle da

Das mag auch die Antwort auf die Frage sein, warum wir so auf den Strandkorb abfahren. Das Sitzmöbel ist nicht nur erstens praktisch, zweitens formschön und drittens unendlich gemütlich. Der Sand-Sitz bietet außerdem jedem Urlaubstypen gleichermaßen Komfort.

Nicht nur Mensch, auch Tier tummelt sich gern bei den Strandkörben - hier etwa am Strand in Wenningstedt auf Sylt.
Nicht nur Mensch, auch Tier tummelt sich gern bei den Strandkörben - hier etwa am Strand in Wenningstedt auf Sylt. © Anika Würz

Schüchterne können sich im Strandkorb ein wenig verstecken, Sensiblen bietet er einen windgeschützten Platz an Nord- und Ostsee und Sonnenbrand-Anfälligen ausreichend Schatten. Nostalgiker trägt der Korb zurück in die längst vergangenen Zeiten der Wann-wird’s-mal-wieder-richtig-Sommer-Ferien, Einzelgänger genießen darin ihren ganz persönlichen Strandabschnitt, Verliebten gibt der Strandkorb Raum, um endlich mal wieder ausgiebig zu knutschen – und Journalisten begrüßen, dass sie dank des Sitzmöbels sogar am Strand arbeiten können.