Sylt. „Die Mauer muss weg“, sagt die Inhaberin des Reformhauses Schulze, deren Durchgang eine provisorische Betonwand versperrt.
Katrin Eicker betreibt ihr Reformhaus Schulze in Westerland seit 1990. Seit vergangener Woche müssen ihre Kunden aber einen deutlichen Umweg machen, um ihr Geschäft zu erreichen. Denn der Zugang von der Wilhelmstraße ist mit einer hohen Mauer aus Betonblocks versperrt. „Die Mauer muss weg. Man fühlt sich regelrecht eingesperrt“, sagt die Sylter Geschäftsinhaberin.
Am Mittwoch hatte der Hauptausschuss getagt und mehrere Maßnahmen beschlossen, nachdem besonders etliche Geschäftsleute in der Einwohnerfragestunde ihrem Ärger über die Zustände in der Innenstadt Luft gemacht hatten.
Sylt: Betonwand sperrt Durchgang zum Reformhaus
Konkret wurde beschlossen, einen Sicherheitsdienst zu beauftragen, der an den neuralgischen Punkten in Westerland täglich von 13 Uhr bis 1 Uhr nachts Präsenz zeigt – die bislang tätigen Stadtlotsen konnten sich bislang nicht genug Respekt verschaffen. Außerdem sollen mobile Toiletten aufgestellt werden, weil die öffentlichen WCs nachts geschlossen werden. Und für die Zeit vom 1. Juli bis 31. August, also für den Zeitraum, in dem das 9-Euro-Ticket noch gilt, wird ein Streetworker gesucht, der mit den 9-Euro-Ticket-Gästen ins Gespräch kommt.
Die 9-Euro-Gäste, die sich seit Anfang Juni 2022, also seit der Einführung des günstigen Nahverkehrstickets in der Sylter Inselhauptstadt aufhalten, vor allem rund um die Wilhelmine, den Brunnen in der Fußgängerzone, sorgen seit Wochen für heftigen Unmut bei den Anliegern, vor allem bei Gastronomen und Geschäftsleuten. Die Gemeinde hatte in der vergangenen Woche den Brunnen mit einem Bauzaun abgesperrt, ihn aber Anfang dieser Woche wieder abgebaut. Die ebenfalls in der vergangenen Woche errichtete Wand aus Betonblöcken, die den Durchgang zum Reformhaus absperrt, lässt man aber weiter stehen.
Eicker möchte, dass die Wand im Durchgang schnell wieder entfernt wird, und ist sich darin mit den Gastronomen am Brunnen einig. Die Stammkunden hielten ihr noch die Treue, sagt die Ladeninhaberin, aber Laufkundschaft findet den Weg zu ihr nicht mehr. Ein Reformhaus habe heutzutage keine Exklusivität mehr, sagt Eicker: „Dann gehen die Kunden in den normalen Supermarkt.“
Reformhausbetreiberin sieht Alkoholkonsum der Punks als Problem
Sani, die sich selbst als „Reisende und Rumtreiberin bezeichnet“ und seit ein paar Wochen mit ihrer Hündin Lola in Westerland auf der Straße lebt, ist regelmäßige Kundin in Eickers Reformhaus und kauft an diesem Tag vegane Grillwürstchen. Die 51-Jährige aus Kassel würde der Geschäftsinhaberin gern helfen. „Die Mauer finde ich nicht in Ordnung“, sagt Sani, sie würde sogar beim Bürgermeister vorstellig werden in dieser Sache. „Aber wahrscheinlich gibt er mir keinen Termin.“
Mit freundlichen Zeitgenossen wie Sani, die sich immer etwas abseits von den Leuten am Brunnen hält, denn sie mache einfach nur Urlaub, sagt die gelernte Floristin, die stundenweise als Bühnenarbeiterin arbeitet, hat auch Katrin Eicker kein Problem. Sie schenkt der Frau mit den bunten Haaren und dem Lederhalsband, in dem Munitionshülsen stecken, übrig gebliebene Brötchen vom Tag. Und weil Sani Veganerin ist und sichergehen will, dass die unterschiedlichen Brötchen keine tierischen Bestandteile enthalten, prüft die Inhaberin das auch noch nach. Sogar die Walnussbrötchen sind vergan und Sani steckt beruhigt alle sechs Brötchen ein und verabschiedet sich dankbar.
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Punks habe es auf Sylt auch früher schon gegeben, aber dieses Mal sei der übermäßige Alkoholkonsum ein Riesenproblem, sagt Eicker. Damals sei auch die Bettelei nicht so schlimm gewesen. „Diese Leute, die wohl eher Alkoholiker sind als Punks, haben Hunde und Einkaufswagen für ihre Sachen.“ Die ganze Sache sei aus dem Ruder gelaufen, „jetzt ist es zu spät“, glaubt Eicker. Sie meint auch, wenn es ein Alkoholverbot im öffentlichen Raum gäbe, „dann wäre Sylt für die nicht mehr interessant“.
Nur ein Gutes habe die Mauer: Der Durchgang vom Brunnen zu ihrem Geschäft werde nicht mehr als Toilette missbraucht, „es stinkt bei meinem Laden nicht mehr.“ Dass einige der 9-Euro-Gäste den Dachüberstand vor ihrem Geschäft als Schlafplatz nutzen, störe sie nicht, auch wenn sie sie morgens wecken müsse. Weil sie dort schlafen, würden sie die Fläche auch nicht als Klo missbrauchen. Dafür hätten sie aber die Sparkasse in der Nähe entdeckt.
Inzwischen darf die Geschäftsfrau an der Wilhelmine in der Nähe der Betonwand Schilder aufstellen, die auf den Umweg zu ihrem Reformhaus in der Stephanstraße weisen. Leider würden die auch immer wieder verschoben und verlören so ihren Sinn, sagt Eicker. Um die Leute vom Wilhelminenbrunnen fern zu halten, hat sie einen konkreten Vorschlag: „Einfach alle zwei Stunden sauber machen, einfach den Boden nass machen, dann setzt sich da keiner hin.“ Und die Gastronomen hätten ja trockene Sitzgelegenheiten für ihre Gäste.„Ich muss einfach durchhalten“, sagt die 56-Jährige, damit es ihren Laden auch 2023 noch gibt.
Nikolas Häckel, Bürgermeister der Gemeinde Sylt, sagte dem Abendblatt nach dem erneuten Runden Tisch am Mittwochabend: „Wir haben uns heute wieder über die aktuelle Lage ausgetauscht und über die gestern gefassten Beschlüsse informiert.“ Die Dixi-Klos seien bestellt, „der Sicherheitsdienst wird ausgeweitet und erkennbarer gemacht, und wir arbeiten an einer internen/externen Lösung zu meinem Streetworker-Vorschlag“. Häckel sagte weiter: „In der heutigen Runde wurden weitere Ideen für Maßnahmen angesprochen – hierzu wird kommende Woche ein interner Workshop mit den insularen Touristikdirektoren stattfinden.“