Hamburg. Von knapp 2000 Fällen entfiel mehr als ein Viertel auf ein Bezirksamt. Denn dort ist es in einer Abteilung besonders gefährlich.
Von der gestiegenen Zahl an Übergriffen auf Staatsdiener in Hamburg ist ein Bezirk besonders betroffen: Altona. Allein 548 der insgesamt 1986 gemeldeten Fälle im vergangenen Jahr – das sind gut 27 Prozent – entfielen auf den westlichsten der sieben Bezirke. Noch auffälliger: Von den 418 Fällen, in denen es sogar zu körperlicher Gewalt gegen Bedienstete der Stadt kam, entfielen 296 auf das Bezirksamt Altona, also gut 70 Prozent.
Die Daten gehen aus der detaillierten Auswertung der Übergriffsstatistik für 2022 hervor, die dem Abendblatt exklusiv vorliegt. Wie berichtet, war die Zahl an Beschimpfungen, Beleidigungen, sexueller Belästigung oder sogar Gewalt gegen städtische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vergleich zum Vorjahr von 1815 auf 1986 gestiegen.
Gewalt gegen Staatsdiener: Für Beamte in Altona ist es besonders gefährlich
Das wird in erster Linie darauf zurückgeführt, dass es nach Auslaufen der Corona-Pandemie wieder mehr persönliche Kontakte gab. Im letzten Vor-Corona-Jahr 2019 wurden 2026 Übergriffe erfasst. Nicht enthalten in dieser Statistik des Personalamtes sind Übergriffe auf Polizisten und Lehrkräfte an staatlichen Schulen – diese werden gesondert erfasst.
Für die hohe Zahl an Übergriffen auf Mitarbeiter des Bezirksamts Altona gibt es eine einfache Erklärung: Im dortigen Gesundheitsamt ist der „Zentrale Zuführdienst“ der Stadt angedockt, der für die zwangsweise Unterbringung psychisch erkrankter Personen zuständig ist. Wie das Bezirksamt auf Abendblatt-Anfrage erklärte, seien allein 476 der 548 Fälle darauf zurückzuführen. Bei 4629 durchgeführten Unterbringungen kam es also in jedem zehnten Fall zu Übergriffen.
Zwei Mitarbeiter des Zuführdienstes mit Spiritus übergossen – einer starb
Die Zahl sei auch deswegen so hoch, weil seit 2019 jede Art der „Gegenwehr“, ob körperlich oder verbal, registriert werde, so Bezirksamtssprecher Mike Schlink. Das sei eine Reaktion auf den schweren Übergriff im Jahr 2018. Damals hatte ein 28-Jähriger, der aus seiner Wohnung im Harburger Stadtteil Eißendorf geholt werden sollte, zwei Mitarbeiter des Zuführdienstes mit brennendem Spiritus übergossen – ein 50 Jahre alter Familienvater starb, sein 59 Jahre alter Kollege erlitt lebensgefährliche Verletzungen.
Zum Schutz der 14 Mitarbeitenden sowie sechs Fahrer wurden seitdem mehrere Maßnahmen ergriffen: So sind sie mit ballistischen Sicherheitswesten und stichfesten Handschuhen im Polizeistandard sowie stich- und brandhemmender Dienstkleidung und Sicherheitsschuhen der höchsten Sicherheitsstufe ausgestattet und verpflichtet, diese bei jedem Einsatz zu tragen, so das Bezirksamt. Zur Ausstattung gehören außerdem Handfesseln und Spuckhauben.
Psychisch auffällig Personen beißen mitunter sogar durch Schutzhandschuhe
Die Mitarbeitenden des Zuführdienstes werden zudem alle zwei Monate verpflichtend vier Stunden lang durch Polizeikräfte im Einsatz trainiert, dort wird der Umgang mit renitenten Personen geübt, auch die „Kopffixierung bei angelegten Handfesseln“, wie es heißt. Was martialisch klingt, hat einen traurigen Hintergrund: Dass psychisch auffällig Personen zu beißen versuchen, ist keine Seltenheit. Im August 2022 biss jemand einem Mitarbeiter des Zuführdienstes eine Fingerkuppe ab – trotz Schutzhandschuh.
Altonas Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg (Grüne) zeigte sich von den vielen Übergriffen betroffen: Ihre Mitarbeitenden seien „mit ganz viel Herzblut und Leidenschaft bei der Sache“, sagte sie dem Abendblatt. „Es ist deswegen das Mindeste, unseren Mitarbeitenden mit Respekt zu begegnen. Angriffe jeglicher Art, ob verbal oder gar körperlich, sind absolut inakzeptabel – und kommen doch leider immer wieder vor. Das finde ich bedauerlich, weil das nicht die Art und Weise sein sollte, wie wir in unserer Gesellschaft mit Konflikten umgehen.“
Bezirksamt Wandsbek registriert zweithöchste Zahl an Übergriffen
Umso mehr begrüße sie die gemeinsame Erklärung von Senat, DGB und dbb Hamburg als „wichtiges Zeichen“, so von Berg. Wie berichtet, hatten sich Senat und Gewerkschaften in einer gemeinsamen Grundsatzerklärung gegen jegliche Form von Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes gewandt und vereinbart, jeden einzelnen Fall anzuzeigen.
Die zweithöchste Zahl an Übergriffen hat 2022 das Bezirksamt Wandsbek registriert: 324 Fälle, immerhin ein Fünftel weniger als im Vorjahr (413). Dabei blieb es überwiegend bei Beschimpfungen und Beleidigungen (213 Fälle) sowie „Bedrohung mittels Worten oder Gesten“ (89). Es wurden aber auch 29 Fälle von Sachbeschädigung und einer von körperlicher Gewalt dokumentiert.
Im Strafvollzug gab es allein 40 Fälle von Gewalt gegen Mitarbeiter
Mit einem sprunghaften Anstieg von 30 auf 213 Übergriffe rangiert das Bezirksamt Hamburg-Mitte an dritter Stelle. Laut Personalamt wurden davon 146 Fälle im Fachamt Sozialraummanagement registriert, also vermutlich von Sozialarbeitern, die 2022 wieder mehr unterwegs waren als zu Corona-Zeiten. Auch im Bezirk Mitte blieb es ganz überwiegend bei Beleidigungen und verbalen Bedrohungen.
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Auf Platz vier folgt mit dem Strafvollzug das erste nicht bezirkliche Amt: 142 Übergriffe wurden 2022 hinter den Hamburger Gefängnismauern verzeichnet – 30 weniger als im Vorjahr. Außer 73 Beschimpfungen und Beleidigungen sowie 23 verbalen Bedrohungen gab es auch 40 Fälle von körperliche Gewalt gegen Bedienstete.
Gewalt gegen Staatsdiener: In 24 Fällen wurden Feuerwehrleute angegriffen
Eine hohe Zahl an Übergriffen – überwiegend Verbal-Delikte – meldeten zudem die Bezirksämter Eimsbüttel (115 Fälle), Harburg (105) und Bergedorf (85) sowie das Jobcenter Team.arbeit.hamburg (102). Beim Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB) war hingegen bei 24 der 41 Übergriffe körperliche Gewalt im Spiel. Auch Feuerwehrleute wurden in 24 Fällen tätlich angegriffen – bei 45 Fällen insgesamt.
Erfreulich: In der Senatskanzlei, die 2021 noch 55 Übergriffe verbaler Natur (vor allem am Telefon) im Zusammenhang mit den Corona-Schutzmaßnahmen registriert hatte, fiel die Zahl 2022 auf null. Das Ende der Pandemie sorgt also in Teilen der Verwaltung für mehr Übergriffe, in anderen für weniger.