Kiel/Kappeln. Tourismusexperten an der Schlei sorgen sich um die Zukunft. Naturschützer loben die Pläne der Landesregierung für die Ostsee.

Die Pläne der Landesregierung für drei neue Naturschutzgebiete entlang der Ostseeküste hinterlassen einen Tag nach der Verkündung bei den Betroffenen vor Ort in Angeln erst einmal Ratlosigkeit. „Ich muss sagen, dass wir ziemlich kalt erwischt wurden“, sagt Heinrich Nissen. Er betreibt den Wittkielhof in der Nähe von Kappeln und ist Vorsitzender des Touristikvereins Ferienland Ostsee. Nissen hatte sich vehement gegen die ursprünglichen Pläne für einen Nationalpark Ostsee ausgesprochen. „Ich kann jetzt erst einmal schwer sagen, ob diese neue Regelung nun besser oder schlechter ist“, sagt er.

Zum Hintergrund: Die Landesregierung, allen voran die Grünen, hatten lange die Idee des Nationalparks Ostsee mit strengen Naturschutzregeln entlang der Küste befürwortet. Doch Touristiker, Wassersportler, Landwirte und Fischer waren dagegen und machten Stimmung.

Ostsee: Naturschutzgebiete – Lob und Kritik für Pläne der Landesregierung

Es folgte ein sogenanntes Konsultationsverfahren, in dem vor Ort die Möglichkeiten diskutiert wurden. Das Ergebnis hat die Landesregierung gestern vorgestellt. Schleswig-Holstein weist nun drei neue maritime Naturschutzgebiete aus. Eines erstreckt sich von Gelting bis zur Schlei; das zweite liegt in der südlichen Hohwachter Bucht, das dritte westlich von Fehmarn. Als zweite Maßnahme verschärft das Land Regeln und Verbote in drei bereits ausgewiesenen Natura-2000-Gebieten. Insgesamt werden so 39.000 Hektar der schleswig-holsteinischen Ostsee besser geschützt, so Ministerpräsident Daniel Günther am Dienstag bei der Vorstellung der Pläne.

Ich mache mir Sorgen um den Tourismus hier oben an der Schlei
Heinrich Nissen - Gastronom aus Kappeln

„Was diese drei Naturschutzgebiete nun genau bedeuten, kann ich im Moment schwer sagen“, so Nissen, der im Konsultationsausschuss und im Verzahnungsausschuss an dem gesamten Prozess für mehr Umweltschutz in der Region beteiligt war. Die genaue Ausgestaltung sei ihm noch nicht bekannt, so Nissen. Dafür müsse er sich erst tief in die Unterlagen einarbeiten.

Tourismusexperte fragt sich, wie lange Baden noch erlaubt sein wird

Klar sei aber, „ich mache mir Sorgen um den Tourismus hier oben an der Schlei.“ Die Strände seien weithin bekannt, noch sei nicht klar, wie sie nun künftig genutzt werden können. „Bisher wurde uns gesagt, dass das klassische Baden weiter erlaubt sein wird. Aber was ist, wenn irgendwann die Regeln noch mal verschärft werden“, so Nissen. Schließlich ginge die aktuelle Regel den Umweltschützern noch nicht weit genug. Der Experte bezweifelt außerdem die Argumente der Naturschützer. „Ich glaube nicht, dass ein Naturschutzgebiet mehr Touristen anlockt“, so Nissen weiter.

Noch bringen die Binnenfischer auf der Schlei vor Maasholm ihre Netze aus.
Noch bringen die Binnenfischer auf der Schlei vor Maasholm ihre Netze aus. © picture alliance / Markus Scholz | Markus Scholz

Er sorge sich zudem um die Zukunft der Fischerei vor Ort. „Mir haben die Fischer gestern gesagt, dass das das Aus für sie ist“, so Nissen. Damit würde einem wichtigen Wirtschaftszweig die Lebensgrundlage entzogen werden.

Sebastian Matz bezeichnet die Entscheidung als Schnellschuss

Entscheidend seien nun die Details der Verordnungen. Da müssten Fragen geklärt sein, wie der Wassersport künftig ausgeübt werden kann. Ob noch die touristischen Angelboote fahren dürfen oder wie die Regelungen für Segelregatten ausfielen. „Es gibt noch so viel zu klären.“ Deshalb möchte Nissen erst einmal nicht mehr zu den Plänen sagen. „Wir prüfen alles genau und werden dann entscheiden, wie wir reagieren.“

Anders Sebastian Matz. Der Vorsitzende des Wasser- und Bodenverbands Oehe/Maasholm und Eigentümer des Guts Oehe kritisiert die Entscheidung. „Die Beschlussfassung finde ich zu voreilig. Ich habe das Gefühl, dass hier eine Entscheidung getroffen wurde, ohne sie in letzter Konsequenz vernünftig abzuwägen“, sagt er.

Anwohner klagen: Umweltschutz geht vor Küstenschutz

Dazu gehöre unter anderem die Einbindung der Nachbarstaaten in eine Naturschutz-Idee. „Denn was bringt es, wenn wir hier große Gebiete ausweisen, aber die anderen Länder an der Ostsee machen nichts. Damit verbessern wir doch nicht die Qualität der Ostsee, sondern schaden nur der Wirtschaft und Touristik hier vor Ort.“ Eine derartige Regelung mache nur Sinn, wenn sich die anderen Staaten in gleichem Maß zur gleichen Zeit beteiligen würden.

Matz, vor dessen Gut die Deiche bei der schweren Sturmflut im Herbst ebenfalls stark beschädigt wurden, klagt außerdem an: „Hier geht gefühlt Naturschutz vor Küstenschutz.“ Bislang sei nicht genug passiert, zum Schutz der zerstörten Küstenabschnitte. „Statt sich mit den Naturschutzgebieten zu beschäftigen, sollten wir lieber dringend die Deiche endlich reparieren und ertüchtigen. Hier hinter leben Menschen, deren Eigentum im Moment nur unzureichend geschützt ist.“

Nabu lobt grundsätzlich die Pläne der Landesregierung

Auch die Argumentation, ein Naturschutzgebiet locke Touristen an, will Matz so nicht stehen lassen. „Wir Touristiker hier oben in Angeln betreiben hier seit vielen Jahrzehnten freiwillig aktiven Naturschutz, da wir von der Schönheit der Natur in der Region leben.“ Zudem sei die Aufteilung ungerecht. „Warum trifft es uns hier oben an der Schlei so stark? Und warum die restlichen Ostseeküsten nicht, wie zum Beispiel die Lübecker Bucht?“

Beim Nabu sieht man die Entscheidung anders. „Man merkt der Auswahl der Gebiete und dem geplanten Schutz vor Lärm und Fischerei an, dass sich die Regierung wirklich Gedanken gemacht hat“, sagt Dagmar Struß, stellvertretende Landesvorsitzende des Nabu Schleswig-Holstein und Leiterin der Nabu-Landesstelle Ostseeschutz. Allerdings ginge es an einigen Stellen nicht weit genug. „Der Gewässerschutz wurde nicht umfangreich genug sichergestellt. Und der geplante landseitige Ausbau des Schutzes – zum Beispiel für die Brutvögel am Strand – ist völlig weggefallen“, sagt sie.

Nabu klagt an, die Ostsee sei bereits leer gefischt

Zum Gewässerschutz gehören laut Dagmar Struß klarere Vorgaben für die Bauern, was das Ausfahren der Gülle angehe. „Es hätte zumindest einen verbindlichen, zehn Meter breiten Schutzstreifen zu fließenden Gewässern geben müssen. Freiwillige Vereinbarungen mit den Bauern in diese Richtung haben schon in der Vergangenheit nicht funktioniert“, so die Expertin.

Das Argument, die Fischerei stünde vor dem Aus, will die Nabu-Frau so nicht stehen lassen. „Wenn wir ehrlich sind, ist die Fischerei seit Jahren am Ende“, sagt sie. Das liege daran, dass über lange Zeit viel zu viel Fisch aus den Meeren gezogen worden sei. „Die Ostsee ist leer, da sind Ruhezonen für die Tiere vielleicht langfristig gesehen sogar eine Chance für die Fischerei.“

Es ist höchste Zeit, die Ostsee zu schützen, so der Nabu

Bedauerlich sei es, so Dagmar Struß, dass der Nationalpark nun nicht an der Ostsee eingerichtet würde. „Ein Nationalpark wäre wesentlich effektiver gewesen. Es hätte eine klare Struktur gegeben, eine Parkverwaltung. Das hätte vieles einfacher gemacht.“ Nun müsse alles extra aufgesetzt und geplant werden. „Das ist aufwendig.“ Allerdings sei nach den Protesten ein Nationalpark nicht mehr durchsetzbar gewesen. „Das ist extrem schade, weil vieles reine Angstmacherei war. Viele Argumente der Gegner waren schlicht falsch.“

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Dagmar Struß hofft, dass die neuen Regelungen den Naturschutz an der Ostsee unterstützen. „Es ist höchste Zeit“, sagt sie. Und widerspricht Matz: „Die anderen Länder haben insgesamt 23 Ostsee-Nationalparks und sind somit einen Schritt weiter als wir.“ Nun sei es wichtig, dass auch endlich in Deutschland der Schutz der Ostsee mehr Priorität erhalte. „Es bleibt uns nicht mehr viel Zeit.“