Kiel. Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister will den Mangel an Arbeitskräften bekämpfen. Mit welchen Mitteln dieses Ziel erreicht werden soll.
Es ist überall dieselbe, fast schon flehentliche Bitte: Bitte melde dich! In Schaufenstern von Supermärkten, auf Türen zu Restaurants, Flyern in Arztpraxen oder Aufklebern auf Lastwagen – der Mangel an Arbeitskräften ist vielerorts sichtbar.
Für drei Menschen, die in die Rente gehen, kommt nur ein Junger aus dem eigenen Bestand nach, klagt der Präsident des Unternehmensverbandes UV Nord, Philipp Murmann. Die Folge: Unternehmen werben sich Mitarbeiter gegenseitig ab, reduzieren Öffnungszeiten, führen zusätzliche Ruhetage ein – oder schließen komplett.
Schleswig-Holstein: Claus Ruhe Madsen will schneller gegen Arbeitskräftemangel vorgehen
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nennt den Fachkräftemangel eine „Bedrohung für die deutsche Volkswirtschaft“. Allein in Schleswig-Holstein fehlen nach einer Prognos-Studie bis zum Jahr 2030 auch ohne Wirtschaftswachstum schon 120.000 Arbeitskräfte. „Wir werden, wenn nichts passiert, in sechs Jahren 13 bis 15 Prozent der heutigen Leistungen nicht mehr erbringen können, weil Personal fehlt“, warnt Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen.
Nur was folgt daraus? Wie steuert die schwarz-grüne Landesregierung in Kiel gegen? Madsen hat die mehr als 80.000 Arbeitslosen in Schleswig-Holstein im Blick. „Wenn jemand arbeiten kann, dann sollte der auch möglichst schnell in Arbeit kommen. Zeigt dieser Mensch keine Initiative, muss man ihn in Arbeit bringen und dafür gegebenenfalls qualifizieren. Oder man muss ihn – wie geplant – sanktionieren“, lobt Madsen, die beschlossene Sperrzeit beim Bürgergeld für Menschen, die arbeiten können, aber nicht wollen.
Schleswig-Holstein: Alarmierende Zahlen! 120.000 Arbeitskräfte fehlen bis 2030
Man müsse mutiger werden und ehrlich aussprechen, was geht und was nicht geht. „Wir leben in einer Zeit, in der man nahezu überall einen guten Job bekommen kann, wenn man bereit ist, sich ein bisschen zu bewegen.“
Madsen, der viele Jahre als Unternehmer gearbeitet hat, spricht von dem Gefühl vieler Menschen, dass es „ungerecht zugeht in Deutschland. Wir wollen helfen, wenn jemand Not leidet. Dafür gibt es zum Beispiel das Bürgergeld. Aber wir wollen auch, dass der Empfänger wieder arbeiten geht, sobald er es kann. Fehlt die Wertschätzung für Menschen, die arbeiten, ist das sehr gefährlich für eine Gesellschaft. Dann verbreitet sich ein Ungerechtigkeitsgefühl“, warnt CDU-Politiker Madsen.
Habeck warnt: Fachkräftemangel „beutelt“ die Wirtschaft
Der Fachkräftemangel werde die deutsche Volkswirtschaft in den nächsten Jahren „stark herausfordern und beuteln“, sagt der Grüne Habeck. Er geht von deutlich mehr freien Stellen auf dem deutschen Arbeitsmarkt aus als bisher bekannt. Viele Unternehmen würden freie Stellen gar nicht melden, sondern „stillschweigend akzeptieren“.
Habeck spricht sich für eine schnellere und effektivere Eingliederung von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt aus. Deutschland hinke bei der Integration geflüchteter Ukrainer hinterher, sagt auch Madsen. „Wir müssen über Standards reden. Warum muss ein Busfahrer schon zu Beginn fließend Deutsch können? Oder ein Hotelangestellter an der Rezeption? Oder ein Verkäufer in einem trendigen Sportgeschäft? Ein Programmierer? In Deutschland sind etwa 23 Prozent der Ukrainer in Arbeit gekommen, in den Niederlanden mit anderen Regeln sind es mehr als 60 Prozent“, wirbt Madsen für eine deutlich schnellere Integration in den Arbeitsmarkt.
Claus Ruhe Madsen: Ukrainer schneller in Arbeit bringen
Zwar seien Spracherwerb und Qualifizierung wichtig, aber es gebe auch Fälle, in denen „man sofort loslegen und die Sprache dann während der Tätigkeit gelernt werden kann“, so Madsen. Darauf zahle auch der neue „Job-Turbo“ der Bundesagentur für Arbeit ein. „Ukrainer, die schneller in Arbeit kommen, werden automatisch schneller integriert. Das würde zu mehr Zufriedenheit führen – sowohl bei den Ukrainern als auch bei allen Menschen im Umfeld“, glaubt Madsen.
In keinem Land seien die Menschen in der Flüchtlingskrise mit „den offenen Armen empfangen worden wie in Deutschland“, lobt Madsen die deutsche Willkommenskultur. „Was aber die meisten Bürger, die von außerhalb hierherkommen, nicht kannten, ist die Bürokratie. Daran müssen wir arbeiten, sie macht uns unattraktiv.“ Schleswig-Holstein hat deshalb in der vergangenen Woche auch eine Initiative zur Entbürokratisierung in den Bundesrat eingebracht.
Sie sieht die Einführung einer „one-in-two-out-Regelung“ vor. Das heißt übersetzt: Für eine neue Vorschrift, die erlassen wird, müssen erst einmal zwei bestehende gestrichen werden. Die Kieler Landesregierung will so die „Wirtschaft effektiv von bürokratischen Lasten“ entlasten. Auch fordert Schwarz-Grün vom Bundesrat größere Freiheiten für Unternehmer, die Arbeitszeiten mit den Beschäftigten individuell zu regeln. Ziel ist, dass die Beschäftigten durch flexiblere Arbeitszeitmodelle Beruf und Familie besser vereinbaren können. „An die Bedürfnisse von Arbeitnehmenden angepasste Arbeitszeitregelungen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung der Arbeitsmotivation und Arbeitszufriedenheit“, argumentiert Schleswig-Holstein.
Opposition kritisiert Welcome Center als halbherzig
Madsen wirbt zudem für eine zielgerichtete Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland. Um innerhalb Deutschlands im Wettbewerb mit den anderen Bundesländern überzeugen zu können, habe Schleswig-Holstein das Welcome Center in Kiel geschaffen. Hier arbeiten zehn Mitarbeiter diverser Behörden zusammen. Das hält die Opposition im Kieler Landtag für völlig unzureichend. „Es handelt sich um ein schickes Klingelschild und ermöglicht der Landesregierung, Tatkraft zu simulieren“, kritisiert beispielsweise SPD-Chefin Serpil Midyatli.
Für Madsen aber sind die zehn Stellen ein Anfang. „Hier arbeiten Fachleute aus verschiedenen Behörden zusammen, die genau wissen, was hiesige Arbeitgeber und Menschen aus dem Ausland, die hier arbeiten wollen, an Unterlagen und Nachweisen besorgen müssen.“ Das vereinfache die Abläufe.
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Großes Potenzial hat für Madsen auch das „graue Gold“: Man müsse versuchen, Menschen länger im Arbeitsmarkt zu halten. „Ich will jetzt nicht vor jedes Pflegeheim fahren und die Leute rauszerren, sondern Menschen mit Expertise überzeugen, noch zu bleiben oder in einem ganz anderen Beruf noch ein paar Jahre mitzuarbeiten“, sagt der deutsch-dänische Wirtschaftsminister. Das sieht auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck so. „Es braucht mehr Flexibilität und bessere Anreize für Ältere und Zweitverdienende“, sagte der Politiker der Grünen bei einer Fragerunde im Bundestag.