Kiel. Christopher Vogt, der Fraktionschef der Freidemokraten im Kieler Landtag, ist besorgt: „Vertrauen in etablierte Parteien gesunken.“
Seine Partei ist das Gelb in der „Bundes-Ampel“. Mitunter leidet Christopher Vogt an der Regierungsverantwortung seiner FDP auf Bundesebene. Der 40-Jährige leitet die fünfköpfige FDP-Fraktion im Kieler Landtag, engagiert sich zudem im Bundesvorstand seiner Partei. „Das Regierungshandeln muss sehr schnell besser werden. Einige Entscheidungen – zum Beispiel die Kürzungen bei der Landwirtschaft – werden von der Mehrheit der Bevölkerung nicht nachvollzogen“, sagt Vogt im Abendblatt-Interview.
Hamburger Abendblatt: Herr Vogt, seit zwei Wochen demonstrieren Hunderttausende Menschen aus der Mitte der Gesellschaft gegen Rechtsextremismus. Was kann dieser Protest bewirken?
Die Berichte über das rechtsextreme Treffen in Potsdam, die dort formulierten Pläne und die Umfragewerte der AfD bereiten vielen Menschen Sorge und machen einigen – zum Beispiel mit Migrationshintergrund – auch Angst. Die Demonstrationen senden deshalb ein wichtiges Zeichen der Zivilcourage. Es tut gut zu erleben, dass sich die breite Mitte der Gesellschaft aktiv für unsere Demokratie und gegen Rechtsextremismus einsetzt.
Auch die Wirtschaft warnt sehr deutlich vor Rechtsextremismus und dem Zulauf zur AfD.
Die AfD ist alles andere als harmlos. Ich hoffe, der Protest bringt viele Menschen zum Nachdenken, die aus Protest gegen die etablierten Parteien der AfD ihre Stimme geben wollen. Das beste Rezept gegen das Erstarken von Populisten und Extremisten bleibt meines Erachtens, dass die demokratischen Parteien ihren Job besser machen und konstruktiv die Probleme lösen, die die meisten Menschen umtreiben. Das Beispiel Dänemark zeigt sehr eindrucksvoll, wie es gelingen kann, dass demokratische Parteien erfolgreich Vertrauen zurückgewinnen und rechtspopulistischen Parteien den Nährboden entziehen können.
Die Umfragewerte der Berliner Ampel-Koalition stürzen weiter ab. Vermutlich nie wurde eine Bundesregierung in den Umfragen schlechter bewertet als die von SPD, Grünen und Ihrer FDP. Sorgen Sie sich angesichts des Zustands der Ampel-Koalition um Neuwahlen?
Selbst für mich als großen Optimisten gibt es mit Blick auf die Bundespolitik Gründe, pessimistisch zu sein. Das Regierungshandeln muss sehr schnell besser werden. Einige Entscheidungen – zum Beispiel die Kürzungen bei der Landwirtschaft – werden von der Mehrheit der Bevölkerung nicht nachvollzogen. Auch in unserer Mitgliederbefragung zum Verbleib in der Ampel, die knapp ausgegangen ist, zeigt sich die Unzufriedenheit mit der Koalition. Nicht nur mit Blick auf die Europa- und drei Landtagswahlen in diesem Jahr müssen sich die Schwerpunktsetzung und die Kommunikation der Bundesregierung dringend ändern.
Was sehen Sie denn, was wir nicht sehen, was Ihnen Hoffnung macht, dass die Kommunikation der Bundesregierung besser wird?
Die Stimmung im Land ist bis in die Mitte der Gesellschaft angespannt. Auch in Berlin muss man deshalb einsehen, dass es wenig bringt, wenn sich die Koalitionspartner oft wechselseitig blockieren, und dass man jetzt zu mehr gemeinsamen vernünftigen Lösungen kommen muss: bei der Steuerung der Migration, bei der Haushaltskonsolidierung oder auch bei der Stärkung der Wirtschaft.
Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat zuletzt ermittelt, dass das fehlende Vertrauen in die Politik nicht nur der Ampel schadet und die AfD stark macht, sondern auch negativ auf andere Institutionen abfärbt. Wie viel Vertrauen in die demokratischen Kräfte ist in den vergangenen Monaten verloren gegangen?
In den letzten 20 Jahren ist nicht nur das Vertrauen in die etablierten Parteien, sondern in viele gesellschaftliche Institutionen gesunken. In den vergangenen Jahren haben diverse Krisen viele Gewissheiten der Menschen ins Wanken gebracht. Wie sicher ist meine Altersversorgung? Kann ich mir das Heizen noch leisten? Das Heizungsgesetz war der größte Fehler der Bundesregierung. Auch wenn dieses Gesetz von uns stark korrigiert werden konnte – allein die Debatte hat viele Menschen sehr verunsichert. Wir sehen jetzt die Auswirkungen. Es ist eine sehr ernste Lage für unser Land. Wir Demokraten müssen die Sorgen der breiten Mitte der Gesellschaft aufnehmen und uns konsequent ums Wesentliche kümmern.
Nimmt eine Berliner Politik die Menschen auf dem Land und ihre Nöte überhaupt noch wahr? Stadtbewohner können sich meist mit kommunaler Fernwärme beliefern lassen und auf U- und S-Bahn ausweichen. Landbewohner müssen Zehntausende von Euro für eine Wärmepumpe und die Isolierung des Hauses bezahlen, und sie sind aufs Auto angewiesen. Politik wird aber – zumindest gefühlt – nur für die Stadtbewohner gemacht, und das Land wird immer weiter abgehängt. So ist oft die Wahrnehmung.
Ja, ich teile aber nicht die Einschätzung, dass das in den Parteien gleichermaßen der Fall ist. Als Nord-FDP können wir genau nachvollziehen, was auf dem Land, im Mittelstand oder bei den Menschen los ist, die jeden Tag zur Arbeit pendeln. Was sich ändern muss: Arbeit und Leistung müssen sich wieder stärker lohnen. Menschen, die sich einbringen und engagieren, müssen stärker profitieren. Überstunden müssen sich lohnen. Auch das Pendeln muss sich lohnen.
Die FDP hat die deutliche Erhöhung des Bürgergeldes mitgetragen, Sie sind Teil der Bundesregierung …
Die Bundesregierung musste dabei auch den Vorgaben des Verfassungsgerichts nachkommen. Das Lohnabstandsgebot muss mit Blick auf die Leistungsgerechtigkeit aber wieder gestärkt werden. Was zudem kommunikativ oft untergeht: Diese Bundesregierung entlastet die arbeitende Mitte und die Betriebe in diesem Land auch so stark wie seit Jahrzehnten nicht. Allein in diesem Jahr gibt es bei der Lohn- und Einkommenssteuer Entlastungen von 15 Milliarden Euro. Entlastungspakete dieser Bundesregierung hatten in den vergangenen Jahren zusammen ein Volumen von mehr als 100 Milliarden Euro. Sicherlich spüren die Bürger und die Unternehmen dies wegen der Inflation nicht so stark, wie sich das viele wünschten. So hohe Lebenshaltungskosten kannten wir in den letzten Jahrzehnten nicht. Die Inflation hat massiv zugeschlagen.
Blicken wir nach Schleswig-Holstein. Wo sehen Sie die großen Aufgaben der kommenden Monate?
Im Bildungsbereich haben wir in Schleswig-Holstein mehrere Großbaustellen. So muss der Ganztagsausbau endlich angepackt werden. Bessere Bildung – das interessiert jede Familie in Schleswig-Holstein. Auch hier gilt: Wenn die Menschen sehen, es wird angepackt und es passiert was, dann wird die Stimmung auch wieder optimistischer.
Sie sprechen die Bildungspolitik an, die Karin Prien als Ministerin verantwortet. Wenn Sie auf das Kabinett von Daniel Günther schauen, wen machen Sie als Schwachstelle aus?
Frau Prien führt eines der wichtigsten Ressorts. Doch an vielen Stellen passiert gar nichts. Ein Grund sind die Haushaltsprobleme, ein anderer Grund ist jedoch Priens Konzeptionslosigkeit. Der Ganztagsausbau ist dringlich. Anfang 2026 beginnt der Rechtsanspruch zu greifen, aber wir sind von einem flächendeckenden Angebot weit entfernt. Kommunen legen sogar Projekte auf Eis, weil das Land die Zuschüsse auf sehr niedrigem Niveau deckelt. Beim Thema Lehrkräftegewinnung haben wir Riesenprobleme. Das Thema Inklusion nervt die Familien am meisten, weil Schleswig-Holstein hier ein Sparmodell fährt. Die personellen Ressourcen fehlen. Das geht stark zulasten des Unterrichts, der Kinder und der Lehrkräfte. Auch die Integration muss erheblich verbessert werden.
Welchen Minister oder welche Ministerin sehen Sie noch im Kabinett, von dem oder der Sie sagen, die Herausforderungen und Aufgaben sind groß, aber die Leistung, die bislang erbracht wurde, ist bescheiden?
Neben Bildungsministerin Prien sehe ich da vor allem Sozialministerin Aminata Touré. Sie verfolgt im Bereich der Migration eine Politik, die weit entfernt davon ist, eine gesellschaftliche Mehrheit zu haben. Frau Touré steht nicht hinter den hart errungenen Kompromissen der Ampel-Koalition. Schwarz-Grün ist in der Migrationspolitik völlig uneins. Ich fürchte auch, dass die Ministerin die Kita-Reform an die Wand fährt. Dann ist da Wirtschafts- und Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen. Er ist sehr sympathisch, aber er setzt sehr wenig um und gibt keine neuen Impulse.
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Dann frage ich mal andersherum, gibt es denn einen Lichtblick im Kabinett aus Sicht der Opposition?
Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack macht einen sehr ordentlichen Job bei der Ausstattung der Landespolizei oder auch bei der Stärkung des Katastrophenschutzes. Sorgen mache ich mir allerdings um Finanzministerin Monika Heinold. Sie fährt das Thema Grundsteuerreform komplett an die Wand. Und Daniel Günther und sie verschleppen die notwendige Haushaltskonsolidierung.