Kiel. Thomas Losse-Müller will künftig eine „andere Bühne“ als den Landtag nutzen. Was hinter dem Abgang des Fraktionschefs steckt. Eine Analyse.

Er war der Spitzenkandidat der schleswig-holsteinischen SPD bei der Landtagswahl, den die Landesvorsitzende Serpil Midyatli für viele in der Partei „aus dem Hut gezaubert“ hatte. Angesichts seiner stagnierenden Bekanntheitswerte und der gleichzeitigen Beliebtheitskurve von Amtsinhaber Daniel Günther war denn in den Wochen nach der Verkündung die Rede von „Losse-Wer?“, wenn es um Thomas Losse-Müller ging.

Als Spitzendkandidat, der erst zwei Jahre zuvor von den Grünen zur SPD gewechselt war, ist Thomas Losse-Müller krachend gescheitert. Die Partei landete im Mai 2022 hinter den Grünen nur auf Platz drei, und die SPD verharrte in der Opposition. Aber als neuer Chef hat Losse-Müller die reichlich geschmälerte Fraktion der SPD gut strukturiert und schlagkräftig aufgestellt. „Was wir inhaltlich bewegt haben, bleibt richtig“, sagt Losse-Müller.

SPD-Fraktionschef in Schleswig-Holstein Thomas Losse-Müller tritt zurück

Nur hat er selbst mit seiner Rolle in der „Abteilung Attacke“ immer ein wenig gefremdelt. Laut und polternd aufzutreten, was zur Rollenbeschreibung eines Oppositionsführers gehört, passte nicht zum Naturell des klugen Strategen. „Oppositionsführer zu sein ist nicht meine größte Stärke“, sagte Losse-Müller am Mittwoch dem Abendblatt.

Jetzt hat er einen Schlussstrich gezogen: Losse-Müller gibt nicht nur den Fraktionsvorsitz in der kommenden Woche auf, sondern legt auch zum 1. April sein Abgeordnetenmandat nieder. Was er einzig bleiben wird, ist SPD-Ortsvereinsvorsitzender in Bistensee in den Hüttener Bergen. Einem Dörfchen im Kreis Rendsburg-Eckernförde. Aber unter die Landespolitik setzt der Mann mit den vielen Parallelen zu Daniel Günther einen Schlussstrich.

Losse-Müller: „Oppositionsführer zu sein ist nicht meine größte Stärke“

Wie Günther ist Losse-Müller 50 Jahre alt, Vater zweier Mädchen, verheiratet und zu Hause in der Nähe von Eckernförde. Günther wie Losse-Müller sind kluge und gute Redner. Soweit die Parallelen. Aber während Günther mehr wie der „Typ Kumpel“ daherkommt, der auf ein großes, über viele Jahre gewachsenes Netzwerk von (Partei-)Freunden und Weggefährten zurückgreifen kann – der Sockel seines politischen Erfolges –, ist Losse-Müller mehr der „Typ Intellektueller“ ohne Verankerung in der Partei.

„Von Köln in die weite Welt“ überschreibt der ehemalige Weltbanker ein Kapitel auf seiner Homepage. „Von einer deutschen Bank zu einer Bank für die Welt“ heißt ein anderes über seinen Werdegang, der Losse-Müller schließlich nach Schleswig-Holstein führte – in ein Land, in dem es manchmal ein bisschen derber zugeht als anderswo in Deutschland.

Erreicht er den klassischen SPD-Wähler?

Losse-Müller aber sagt und schreibt Sätze wie „Ich bin fest davon überzeugt, dass unser Land sozialer, wirtschaftlich erfolgreicher und ökologischer regiert werden kann – und muss“. Oder „Die SPD ist für mich die Partei, die gesellschaftlichen Zusammenhalt organisiert. Sie ist wie keine andere Partei noch in allen Teilen der Gesellschaft verankert. Sie vereint urbane, akademische Szene und Industriearbeit.“ Losse-Müller hat sicher recht mit solchen Sätzen. Nur: Erreichen sie auch den Sozialdemokraten in Dithmarschen oder den potenziellen Wähler im Kieler Problemstadtteil?

Kommt es jetzt, nach Losse-Müllers Rückzug aus der schleswig-holsteinischen Landespolitik, zu einem Comeback einer Oppositionspolitik nach dem Vorbild des „Roten Rambo“? Eine Hau-drauf- und Attackeopposition, wie sie Ralf „Rambo“ Stegner abgeliefert hatte vor seinem Wechsel in den Bundestag? Viel spricht nicht nur für einen personellen, sondern auch für einen Mentalitätswechsel – weg von dem Mann mit den Visionen, hin zu einer Frau mit Angriffslust?

Übernimmt Midyatli erneut die Fraktion?

Wenn man sich in Kiel umhört, fällt immer wieder der Name der Frau, die den Job schon einmal innehatte, wenn auch nur für ein paar Monate: Parteichefin Serpil Midyatli. Die 48-Jährige leitete die Fraktion in der Phase nach Stegner und vor Losse-Müller. Sie ist nicht unumstritten: Bei der jüngsten Wiederwahl zur SPD-Landeschefin kam sie auf gerade mal 65 Prozent der Stimmen.

Am nächsten Dienstag will die Fraktion über Losse-Müllers Nachfolge entscheiden. Ein Selbstgänger wird die Wahl Midyatlis, sofern sie dann antritt, nicht. Ob es dann vielleicht sogar zu einer Kampfkandidatur kommen wird, ist unklar. Die kommenden Tage dürfte die Parteichefin nutzen, um ihre Position in der Gruppe der Landtagsabgeordneten auszuloten.

Konkurrenz lobt Losse-Müller

Neben Midyatli („Mit Thomas Losse-Müller hat die SPD im Landtag ein klares Profil in der Auseinandersetzung mit der Regierung und die Schwächen von Schwarz-Grün schonungslos aufgezeigt“) lobten auch Grüne und FDP den scheidenden Oppositionsführer. „Mir haben die inhaltlichen Debatten im Plenarsaal immer großen Spaß gemacht, da wird was fehlen“, sagte Grünen-Fraktionschef Lasse Petersdotter. „Wir haben trotz der inhaltlichen Unterschiede immer eine sehr kollegiale Zusammenarbeit in der Opposition gehabt, wofür ich mich bei ihm herzlich bedanken möchte“, sagte FDP-Fraktionschef Christopher Vogt.

Ralf Stegner, der Vor-Vorgänger, forderte am Mittwoch von der SPD-Fraktion, auf der einen Seite an die „intellektuelle und konzeptionelle Stärke, die Losse-Müller eingebracht habe“, anzuknüpfen, andererseits müsse es aber auch gelingen, „eine emotionale sozialdemokratische Orientierung im Neuanfang zu finden“. Losse-Müller jedenfalls will bis zu seinem Ausstieg im April „Vollgas geben und die Arbeit der schwarz-grünen Koalition kritisch begleiten“.

Mehr Politikthemen aus Kiel

Danach wird er als dritter Geschäftsführer der bundesweiten Stiftung Klimaneutralität den neu gegründeten Sozial-Klimarat und Projekte im Bereich Industriepolitik, Gesundheit und Sicherheitspolitik verantworten. „Die Stiftung entwickelt in enger Kooperation mit anderen Organisationen und Forschungsinstituten sektorübergreifende Strategien für ein klimagerechtes Deutschland. Ziel ist es, auf der Basis von guter Forschung Politik zu informieren, zu beraten und Debatten anzustoßen“, sagt Losse-Müller. Und er sagt, dass die Chance, jetzt in seinen Herzensthemen für eine bundespolitisch wichtige Stiftung zu arbeiten, sehr attraktiv sei.