Hamburg. Zwei WM-Titel in Olympiaklassen, Meisterschale, Pokalsieg und Champions-League-Triumph: Über die Sternstunden eines Erfolgsvereins.

2023 wird der Norddeutsche Regatta Verein (NRV) 155 Jahre alt. Geschenke dafür gab es bereits in diesem Jahr. Die eindrucksvollsten kamen von den Besten im NRV Olympic Team und dem NRV-Bundesliga-Kader. Mit zwei WM-Titeln in Olympia-Klassen, der sechsten Vereinsmeisterschaft seit Bundesliga-Gründung 2013, Pokalsieg und dem ersten Champions-League-Triumph sorgten die NRV-Top-Segler für Sternstunden. Ihren Club machten sie mit doppeltem WM-Gold, dem Liga-Triple und weiteren Glanztaten zum erfolgreichsten deutschen Sportverein des Jahres.

Anders als der deutsche Fußball oder auch die Skisportler segelten die NRV-Crews 2022 auf goldener Erfolgswelle: iQFoil-As Sebastian Kördel brachte die Segel-Nationalmannschaft in der ab 2024 neuen olympischen Windsurfdisziplin in Pole Position, als er die Weltmeisterschaft Ende Oktober vor Brest dominierte.

Dem 32 Jahre alten Radolfzeller waren nach dem packenden Finale im Ziel Tränen der Freude und Erleichterung übers Gesicht gelaufen, als er sagte: „Der Druck war unfassbar groß. Dieser Titel steht dafür, dass ich siegen kann.“ Die wertvolle Erkenntnis nimmt der 1,91 Meter große Windsurf-Riese mit auf Kurs Olympia 2024. Und er teilt sie mit Luise Wanser, der Schwester seiner Lebensgefährtin Helena Wanser.

Wie erfolgreich der NRV 2022 war

Luise Wanser (25), NRV-Eigengewächs und Olympia-Sechste 2021 mit ihrer damaligen Vorschoterin Anastasiya Winkel, sagte sich nach Kördels WM-Sieg: „Wenn der Freund meiner Schwester das kann, schaffen wir das auch.“ 28 Jahre nach dem letzten deutschen WM-Gold in der 470er-Jolle, erkämpfte sich Luise nur eine Woche nach Kördels Sensations-Erfolg mit ihrem bayerischen Vorschoter Philipp Autenrieth (32) die WM-Krone.

Windsurf-Weltmeister Sebastian Kördel (32) stammt aus Radolfzell am Bodensee, startet aber für den Norddeutschen Regatta Verein.
Windsurf-Weltmeister Sebastian Kördel (32) stammt aus Radolfzell am Bodensee, startet aber für den Norddeutschen Regatta Verein. © DSV Felix Diemer

In der neuen olympischen Mixed-Disziplin zelebrierte das Duo Wanser/Autenrieth Ende Oktober vor Sdot Yam in Israel eine herausragende Serie, hatte den WM-Sieg schon ein Rennen vor Schluss sicher. „Wir haben das in unserer ersten gemeinsamen Saison eineinhalb Jahre vor der olympischen Regatta in Marseille geschafft, wo wir Gold gewinnen wollen“, freute sich Luise Wanser bei der NRV-Weihnachtsfeier mitreißend.

Sie hat den Segelsport im Optimisten beim NRV 15 Jahre vor dem WM-Coup kennen- und liebengelernt. „Wenn ich heute auf die Alster rausblicke, ist das mein Zuhause. Ich wollte Weltmeisterin werden, seit mein erster Trainer mir das mit den Windbändchen und dem ‚Ruder ran, Ruder weg‘ erklärt hat. Ich habe immer alles mit riesiger Unterstützung des NRV und des Olympic Teams erreichen können.“

NRV in Hamburg gilt als Vorbild

Das NRV Olympic Team gilt in der deutschen Vereinswelt als Vorbild für die Förderung von Spitzensport. Mit 2100 Mitgliedern zählt der 1868 gegründete NRV zu den ältesten und größten Segelsportvereinen der Republik. Was ihn von anderen unterscheidet, ist dem Vereinsnamen zu entnehmen: Der Regattasport steht beim Norddeutschen Regatta Verein hoch im Kurs.

Es ist zudem kein Geheimnis, dass der Verein nicht nur segelbegeisterte, sondern auch finanziell potente Mitglieder aus der Hamburger Wirtschaft hat. Sowie ehemals olympisch erfolgreiche Segler, die der nächsten Generation als Vorbild dienen und sich heute für die jungen Medaillenjäger engagieren. Etwa Achim Griese (70), der 1984 mit Michael Marcour vor Los Angeles Olympia-Silber im Starboot gewann.

„Ich bin seit Stunde Null Unterstützer des NRV Olympic Teams, weil ich einst selbst Hilfe von Gunter Persiehl hatte“, sagt Griese heute und nutzte die Gelegenheit bei der Weihnachtsfeier des Erfolgsteams zum Appell: „Ich würde mich freuen, wenn sich in Zukunft auch noch weitere Vereinsmitglieder für das NRV Olympic Team einsetzen, denn von nichts kommt nichts.“

NRV-Bundesliga-Team mit Tobias Schadewaldt (l.) gewann 2022 die Meisterschale, den Pokal und auch die Champions League.
NRV-Bundesliga-Team mit Tobias Schadewaldt (l.) gewann 2022 die Meisterschale, den Pokal und auch die Champions League. © Julius Osner/DSBL

„Es ist kein Selbstgänger, im NRV Olympic Team Mitglied zu werden. Wenn man es aber als Anwärter geschafft hat, dann stehen wir wie eine Eins zueinander“, sagte Gunter Persiehl (84). Der NRV-Kommodore hatte das NRV Olympic Team als starkes Fördermodell nach den Olympischen Spielen 2000 in Sydney noch auf dem Heimflug nach Hamburg ersonnen und unter NRV-Flagge gegründet. Persiehl weiß aus Erfahrung: „Man muss auch mit Niederlagen leben können, doch das NRV Olympic Team ist erfolgreich, weil sich die Seglergenerationen unter diesem Dach auch gegenseitig beflügeln.“

Was den NRV so erfolgreich macht

Das NRV Olympic Team unterstützt seine Besten über die Förderung im German Sailing Team hinaus mit Booten, Coaches, Reisekostenzuschüssen, mentaler Unterstützung und als Fels in der Brandung in schwierigen Situationen. Dass der Verband und der selbstbewusst auftretende Verein dabei hin und wieder in Clinch über den richtigen Kurs geraten, liegt in der Natur der Dinge: Ein Verein und seine Mitglieder können intuitiver, flexibler reagieren als ein Dachverband im Rahmen vorgegebener Förderstrukturen. Wo aber die Bündelung der Kräfte ohne Eitelkeiten und Besserwisserei gelingt, stärkt sie vor allem die Athletinnen und Athleten.

Als Luise Wanser und Anastasiya Winkel vor den letzten Olympischen Spielen ihre gemeinsame Last-Minute-Olympiakampagne starteten, hatten sie noch kein Anrecht auf einen Platz im DSV-Kader. Die fehlende Sportförderung tat weh. Der NRV sprang ein, beflügelte das Duo mit einer 470er-Jolle, der Übernahme der Kosten für den Coach und Logistik. Der Verein glaubte an die Chance der jungen Crew, die sich später in der nationalen Ausscheidung tatsächlich knapp durchsetzen konnte.

Sebastian Kördel (.) mit Luise Wanser und Philipp Autenrieth.
Sebastian Kördel (.) mit Luise Wanser und Philipp Autenrieth. © Sina Wolf/NRV

Im Alter von 24 Jahren steuerte Luise Wanser ihre 470er-Jolle mit Anastasiya Winkel im japanischen Olympiarevier vor Enoshima auf Platz sechs. Ohne eine umstrittene Doppel-Disqualifikation aufgrund einer 200 Gramm zu schweren Trapezweste der Vorschoterin wäre sogar eine Olympiamedaille drin gewesen. Diese Großleistung hat der NRV mit Weitsicht ermöglicht. Sie wurde auf der Zielgeraden aber auch vom DSV mit Übernahme des Wunschtrainers und weiteren Maßnahmen aktiv unterstützt.

Mehrere Crews kämpfen um Olympia-Teilnahme

Im neuen Olympiazyklus wird die 470er-Jolle nun von Mixed-Crews – jeweils einem Mann und einer Frau – gesegelt. Die attraktive Disziplin feiert 2024 vor Marseille olympische Premiere. Mit den amtierenden Weltmeistern Wanser/Autenrieth sowie den verheirateten WM-Sechsten Malte und Anastasiya Winkel sind gleich zwei vom NRV Olympic Team unterstützte Crews sowie weitere Teams im Rennen um nur einen deutschen Startplatz. Das Motto „Konkurrenz belebt das Geschäft“ greift im German Sailing Team wie auch im NRV Olympic Team.

NRV-Geschäftsführer und Sportdirektor Klaus Lahme, selbst ein ehemaliger Spitzensegler, sorgt mit Empathie und Expertise dafür, dass der Leistungssport im NRV rund läuft. Das gilt für den Bundesliga-Betrieb ebenso wie für das NRV Olympic Team. Als Regelkenner weiß Lahme auch in schwierigen Situationen Rat. Als Mentor steht er den Aktiven in schwerer See zur Seite. Als Förderer scheut er keine Anrufe bei NRV-Mitgliedern, wenn eine Crew akut Unterstützung braucht.

Viele weitere engagierte Förderer haben das ohne Vereinsgelder funktionierende Modell NRV Olympic Team zum Erfolg geführt, der hin und wieder auch Neider auf den Plan ruft. „Ja, die haben ja auch vermögende Mitglieder und die Mittel“, heißt es dann. „Das ist so, muss aber dennoch immer wieder hart erarbeitet werden“, weiß Lahme.