Kiel. Laura Pooth sieht in Schleswig-Holsteins geplanter Energiewende große Chancen für neue Jobs. Hilfe für Firmen bein Transformation.

Der DGB-Bezirk Nord erwartet ein kämpferisches Tarifjahr 2023. Das sagte Gewerkschaftschefin Laura Pooth im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt. Angesichts einer Inflation von fast acht Prozent im vergangenen Jahr und deutlich gesunkener Reallöhne müssten die Tarifabschlüsse so hoch ausfallen, dass „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gut über die Runden kommen können“, forderte Pooth.

Zuvor hatten bereits Einzelgewerkschaften hohe Lohnforderungen gestellt. So verlangt Ver.di Hamburg 10,5 Prozent mehr Geld. „Wenn Unternehmen riesige Gewinne machen – und das haben einige – müssen auch die profitieren, die die Lasten dieser Krisen tragen. Ausreichende Löhne sind für die Menschen gerade jetzt von ganz großer Bedeutung“, sagte Pooth.

DGB-Chefin erwarteten kämpferisches Tarfifjahr 2023

Die Erwartungen des DGB und seiner Einzelgewerkschaften an die anstehenden Tarifrunden sind groß. „Wir wissen schon jetzt, dass es eine hohe Forderung sein wird“, sagte Tom Seiler von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft. „Wir bereiten unsere Mitglieder auf heftige Tarifauseinandersetzungen vor.“ Dabei werde es voraussichtlich auch zu Streiks kommen. Anne Widder von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) kündigte an, dass die Forderungen bei einem Einkommensplus von zehn Prozent oder mehr liegen werden. „Wir brauchen für die Beschäftigten gute und dauerhafte Lohnerhöhungen.“ Auch die NGG rechnet mit Streiks. Trotz der kämpferischen Töne stellt Laura Pooth die Gewerkschaften als „kompromissfähig“ dar.

Die DGB-Chefin kritisierte die Tarifflucht von Unternehmen im Norden. So sind in Schleswig-Holstein nur 25 Prozent der Betriebe überhaupt tarifgebunden, für 53 Prozent der Beschäftigten gilt ein Tarifvertrag. Vor dem Hintergrund lobte die Gewerkschaftschefin die seit Sommer 2022 regierende schwarz-grüne Koalition für deren Kurs: „Richtig gut ist, dass im Koalitionsvertrag verankert ist, die Tarifbindung zu stärken. Es ist bei der Regierung angekommen, dass es sich nachteilig auswirkt, dass deutlich weniger als die Hälfte der Unternehmen überhaupt noch Tarifverträge anbieten in Schleswig-Holstein.“ Es dürfe aber nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. „Tarifbindung und Mitbestimmung müssen zu Leitbildern der Wirtschaftspolitik werden“, hatte sie bei einem Treffen mit Ministerpräsident Daniel Günther gefordert.

Schleswig-Holstein will sich zum ersten klimaneutralen Bundesland entwickeln

Der CDU-Politiker hatte erst vor wenigen Wochen für ein belastbares Miteinander von Politik und Gewerkschaften geworben. „Erfolgreiche Klimapolitik, erfolgreiche Digitalisierung und erfolgreiche Fachkräftepolitik kann nur gemeinsam mit den Beschäftigten, mit ihren Vertreterinnen und Vertretern gelingen“, sagte der CDU-Politiker.

Schleswig-Holstein will sich bis 2040 zum ersten klimaneutralen Bundesland in Deutschland entwickeln. Die DGB-Vorsitzende erwartet vom Umbau der Industrie im Norden einen Arbeitsplatzzuwachs. „Wo, wenn nicht hier in Schleswig-Holstein, ist denn das Potenzial für die Energiewende? Die Ressourcen Wind und Wasser bieten Chancen zur Ansiedlung energieintensiver Unternehmen.“ Das Land müsse den Standortvorteil aber auch nutzen und Unternehmen helfen, die die Investitionen in eine klimaneutrale Produktion nicht aus eigener Kraft stemmen können. Als vorbildlich nannte Pooth hier das Saarland. Das ähnlich strukturschwache Bundesland hat – anders als Schleswig-Holstein – einen Transformationsfonds mit einem Volumen von drei Milliarden Euro aufgelegt.

Migranten, Arbeitslose und Jugendliche schnell in Eewerbstätigkeit bringen

Mit Blick auf den Fachkräftemangel, der den Norden komplett erreicht hat, sprach die DGB-Vorsitzende von einem „großen Potenzial an Arbeitskräften“, das man noch nicht nutze: „Wir müssen Menschen mit Migrationshintergrund, Langzeitarbeitslose und Jugendliche, die sich in Warteschleifen befinden, noch viel schneller in die Erwerbstätigkeit bringen.“ Es gebe viele Schülerinnen und Schüler mit großem Potenzial, aber aufgrund von Vorurteilen mit schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Untersuchungen zeigten aber, dass sich diese Jugendlichen, sobald sie im Unternehmen seien, gefördert würden und endlich Anerkennung erführen, sehr gut integrierten. „Wir können nicht alle Ausbildungsplätze besetzen und haben andererseits im Moment 10.000 Jugendliche in Warteschleifen, also berufsvorbereitenden Programmen. Da müssen wir ran“, sagte Pooth.

Zugleich müssten die nach Deutschland geflüchteten Menschen besser und schneller in den Arbeitsmarkt integriert werden, forderte die Gewerkschafterin. „Mir fehlen Unterstützung, Förderung, ein Willkommen mit offenen Armen für geflüchtete Menschen. Stattdessen hangeln sich viele von Duldung zu Duldung und dürfen nicht arbeiten“, kritisierte die 44-Jährige.