Kiel. Deutlicher Anstieg antisemitischer Straftaten. Kampf gegen Antisemitismus wird im Norden in Verfassung verankert.
Die schleswig-holsteinische Staatsanwaltschaft erfasst seit Jahren Zahlen zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit – und verzeichnet dabei einen deutlichen Anstieg antisemitischer Straftaten. Gab es 2015 noch 827 Verfahren wegen rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Straftaten, bei denen in sieben Fällen ein Antisemitismus-Bezug vorlag, stieg 2020 die Zahl der neuen Verfahren auf 1416.
Davon hatten 52 Fälle einen antisemitischen Zusammenhang. Diese Zahlen nannte Silke Füssinger, Oberstaatsanwältin und erste Antisemitismusbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft des Landes, dem Abendblatt.
Deutlicher Anstieg antisemitischer Straftaten in Schleswig-Holstein
Im Sommer 2021 hatte Schleswig-Holstein vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen den „Landesaktionsplan gegen Rassismus“ mit 31 konkreten Maßnahmen beschlossen. Dazu gehörte unter anderem die Einrichtung einer Beschwerdestelle und einer Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet.
„Die Landesregierung ist sich der historisch begründet besonderen Verantwortung gegenüber der jüdischen Bevölkerung bewusst. ... In Schleswig-Holstein gibt es keinen Platz für Antisemitismus und Rassismus.“ So steht es im Landesaktionsplan.
Der alte und neue Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) schreibt darin: „Rassismus ist Gift für das Zusammenleben und untergräbt den gesellschaftlichen Zusammenhalt ... Jede und jeder von uns ist gefragt, sich eindeutig gegen Rassismus zu stellen.“
Polizei verfolgt Null-Toleranz-Strategie
Deshalb verfolgt die Polizei in Schleswig-Holstein bei Rassismus und Antisemitismus eine Null-Toleranz-Strategie, wie es aus dem Kieler Innenministerium heißt. „Wenn es Verdachtsfälle von Fehlverhalten gibt, geht die Landespolizei diesen sofort und konsequent in straf-, beamten- und disziplinarrechtlicher Hinsicht nach.“ Mithilfe des Frühwarnsystems „Radar“ sollen landesweit „rassistische, rechtsextreme Tendenzen oder demokratiefeindliches Verhalten“ erkannt werden, um ihnen „bereits in einem frühen Stadium entgegenwirken zu können“.
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Im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen aus dem vergangenen Sommer heißt es unter anderem: „Wir bekämpfen Antisemitismus auf allen Ebenen und in allen Erscheinungsformen. Dafür werden wir den Kampf gegen Antisemitismus als Staatsziel in die Landesverfassung aufnehmen.“ Wann es so weit ist, dass dieser Kampf tatsächlich in der schleswig-holstetinischen Verfassung hinterlegt ist, ist noch offen.
Ein belastbarer Zeitplan fehlt auch für die nächste Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag: eine behördenübergreifende Arbeitsgruppe zum Thema einzusetzen. Fachleute aus den Ministerien für Inneres, Bildung und Justiz sollen nach dem Vorbild des Aktionsplans gegen Rassismus auch einen „Landesaktionsplan gegen Antisemitismus“ erarbeiten.
Zeitplan für ersten runden Tisch gegen Antisemitismus steht
Der Zeitplan für den ersten runden Tisch gegen Antisemitismus steht hingegen: Das neue Gremium unter Leitung von Landtagspräsidentin Kristina Herbst (CDU) soll von März 2023 an zweimal im Jahr tagen. Dabei sind der Antisemitismusbeauftragte Gerhard Ulrich und, unter anderem, die Vertreter der jüdischen Gemeinden. Bei den Treffen wird es auch darum gehen, Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Demnach sollen antisemitische Vorfälle landesweit dokumentiert werden.
Das Bildungsministerium hat zudem „Handreichungen zum Thema Judentum und Antisemitismus“ für alle weiterführenden Schulen entwickeln lassen. Die werden jetzt gedruckt und an die Schulen verteilt. Darin wird skizziert, wie die Themen Antisemitismus, Israel(-Feindlichkeit) und jüdisches Leben in der Gesellschaft beispielsweise im Geschichts- und im Deutschunterricht, aber auch in Musik oder Kunst altersgerecht aufgearbeitet werden können.
Das Ministerium startet im kommenden Februar auch die Fortbildungsreihe „Extremismusprävention für Lehrkräfte“ mit dem Ziel, „Kinder zu wachsamen demokratischen Bürgern“ zu erziehen. Dazu steht im schwarz-grünen Koalitionsvertrag: Man werde „politische und kulturelle Bildungsangebote zum jüdischen Leben ausbauen“.