Hamburg. Claus Ruhe Madsen war die meisten Jahre seines Berufslebens Unternehmer. Jetzt ist er Minister – in einer dramatischen Zeit.

Wirtschaftsminister – das sind meist Männer in gut sitzenden dunklen Anzügen, die Spaß haben, Bänder zu durchschneiden, weil es dann was zu eröffnen gibt. Sie schwingen Spaten bei Grundsteinlegungen, sprechen Grußworte oder halten Impulsvorträge, machen Stimmung bei Gewerkschaften und lieber noch bei Arbeitgebern – um die Jobbeschreibung etwas zuzuspitzen.

Etliche Kabinettskollegen haben es da unangenehmer. Finanzministern wollen alle ständig ans Geld, Gesundheitsminister müssen dramatische Entwicklungen in Kliniken lösen und die Pandemie bekämpfen, Justizminister wissen, dass aufkeimender Ärger in Gefängnissen sie schnell den Job kosten kann. Wirtschaftsminister durchschneiden Bänder. Ein schöner Job. Eigentlich.

Wirtschaftsminister Madsen seit 100 Tagen im Amt

Claus Ruhe Madsen ist Wirtschaftsminister. Seit gut 100 Tagen leitet der parteilose Däne das Ressort im zweiten Kabinett von Ministerpräsident Daniel Günther. Bänder hat er vermutlich noch keine durchschnitten. Dafür fehlt ihm die Zeit. Angesichts explodierender Energie- und Rohstoffpreise, einer Inflation auf Rekordniveau und eines dramatischen Fachkräftemangels ist Claus Ruhe Madsen vielmehr als Krisenmanager gefragt.

Aber wer ist dieser Claus Ruhe Madsen? Was treibt ihn an? Wie geht er mit den Menschen im Land um? Ortstermin in einer Großbäckerei in Boostedt. Der Däne mit dem markanten Vollbart ist auf Einladung des örtlichen CDU-Landtagsabgeordneten Hauke Hansen gekommen, um zu erfahren, was die Krise mit Unternehmen und Menschen macht. Ob er konkret helfen könne, fragt er. Oder ob er neue Impulse geben könne? Die Bäckerei heißt Tackmann, hat 28 Läden, 300 Mitarbeiter und Energiekosten, die durch die Decke gehen. Hans-Jürgen Tackmann hat das Unternehmen gegründet, in dem seine Tochter Janne eine führende Rolle übernommen hat. Sie hätte auch anders gekonnt, sich aber nach dem Abitur für eine Bäckerinnenlehre und ein Studium der Ernährungswissenschaften entschieden.

Preissteigerungen schon vor Energiekrise ein Problem

Schon vor der aktuellen Energiekrise, sagt Frau Tackmann, hätten die deutlichen Preissteigerungen für Weizenmehl, Fette, Körner oder auch Maschinenersatzteile voll durchgeschlagen. Die Energiekrise und die Erhöhung des Mindestlohns kamen dann „on top“. Madsen weiß, was Janne Tackmann meint. Der Minister spricht von einer „Lohntreppe“, also davon, dass nicht nur die Beschäftigten mit Mindestlohn jetzt mehr Geld bekommen, sondern auch die, die eh schon besser verdienten. Lohntreppe heißt, die Differenz zwischen neuem Mindestlohn und den anderen Gehältern muss weiter stimmen. Also steigt nicht nur der Mindestlohn ...

Die Energiekosten galoppierten davon, erzählen Vater und Tochter Tackmann beim Rundgang durch die gläserne Bäckerei mit ihrer großen Fensterfront. Die Sorge ist, dass sie im schlimmsten Fall auf fast zehn Prozent des Umsatzes steigen könnten. Madsen erkundigt sich nach Einsparmöglichkeiten. „Durch Innovationen können wir gestärkt aus der Krise kommen“, sagt er. Doch Wärmerückgewinnung praktizieren sie hier schon. Und Strom, ein Jahr gewonnen über eine Solaranlage, wäre beim Energiebedarf für Öfen und Kühlung nach 14 Tagen schon komplett verbraucht.

„Ich hätte klare Angaben aus Berlin erwartet“

Der Minister ist sauer an diesem Morgen. Am Abend zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eingestanden, dass er sich nicht mit den Ministerpräsidenten auf eine Finanzierung der Gaspreisbremse einigen konnte. Noch immer ist sein „Doppelwumms“ nicht mehr als eine Ankündigung. „Ich hätte klare Angaben aus Berlin erwartet“, sagt Madsen in der Bäckerei. Familie Tackmann nickt. So aber müssen Unternehmen wie das ihre angesichts der Preise weiter ihre Rücklagen anzapfen. „Aber Rücklagen sind eigentlich da für Investitionen in Maschinen, neues Interieur, den Fuhrpark. Aber nicht für Energiekosten“, ärgert sich der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister.

Was Madsen, Vater einer Tochter, umtreibt, ist die Verunsicherung der Unternehmen. Deshalb ärgert ihn der Ausgang des Krisengipfels von Ministerpräsidenten und Kanzler auch so sehr. „Unser allergrößtes Problem ist die Ungewissheit. Unsicherheit führt dazu, dass man nicht mehr einkauft oder investiert, sondern spart. Das ist Gift für die Wirtschaft. Wenn alle Zuversicht hätten, würden Unternehmen wie die Bäckerei Tackmann profitieren.“ Wenn Unternehmen im Norden angesichts steigender Energiekosten zunehmend auf ihre Rücklagen zurückgreifen müssen -- wie viel Zeit bleibt ihnen dann noch? Madsens Antwort überrascht zunächst: „Wir haben keine wahnsinnige Eile“, sagt er. Und ergänzt: „Sofern wir den Unternehmen und Menschen Verlässlichkeit bieten.“

Madsen war lange selbst Unternehmer

Nur: Genau die vermisst der 50-Jährige in der vergangenen Woche. Claus Ruhe Madsens These: Mit einer klaren Aussage des Bundes, dass der Gaspreis- und Strompreisdeckel zum Beispiel für 80 Prozent des Energiebedarfs gelten würden, kämen Verbraucher und Unternehmen klar, selbst wenn die konkrete Regelung erst später käme. „Aber stattdessen herrscht Unsicherheit. Erst wird eine Gasumlage verkündet, dann wieder gestrichen. Dann wird eine Expertenkommission eingesetzt. Dieses rein in den Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln ist das Gefährlichste.“

Im Gespräch mit den Bäckern aus Boostedt wird deutlich: Madsen entspricht nicht dem Bild eines Berufspolitikers. Die meiste Zeit war er einer von ihnen, war selbst ein Unternehmer. Einer, der anders tickt. Vermutlich hat Daniel Günther auch deshalb im Sommer, als er eine schwarz-grüne Koalition schmiedete, darauf verzichtet, einen seiner CDU-Freunde zum Wirtschaftsminister zu machen. Er nannte den Dänen „eine ausgesprochen gute Wahl. Wer sechs Jahre Präsident einer Industrie- und Handelskammer (in Rostock) und erfolgreicher Unternehmer war, weiß, welche wichtigen Entscheidungen zu treffen sind“, lobte Günther.

„Man muss vorweggehen, ungeduldig sein“

So sieht sich Madsen als Antreiber. Auch in seinem Ministerium. „Man muss vorweggehen, ungeduldig sein, pushen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Daniel Günther mich hierhergeholt hat, um unbequem zu sein und meine Erfahrung als Unternehmer einzubringen.“

Quasi als Seiteneinsteiger sieht Madsen Fehlentwicklungen, mit denen sich andere vermutlich längst abgefunden haben. Und er spricht sie deutlich an. Wie neulich beim traditionellen Unternehmertag in Büdelsdorf. „Wir haben viel zu viel Bürokratie. Und Bedenken.“ Madsen spricht von der „German Angst“. „Ausbremsende Bürokratie erleben wir permanent. Wir stehen meist vor der richtigen Lösung und trauen uns dann aber nicht“, sagt er. Die Unternehmer im Land fordert er auf, dem Ministerium konkrete Vorschläge und Beispiele zu liefern: Wo hakt es? Welche bürokratischen Hemmnisse bremsen den Betrieb aus?

„Es gibt ein bisschen zu viel Recht und Ordnung“

„Bürokratie“, sagt er, „ist eine gute Sache. Wir wollen alle gerne Recht und Ordnung. Aber es gibt leider ein bisschen zu viel Recht und Ordnung. Gebt mir konkrete Beispiele. Ich prüfe jedes einzelne. Wir wollen den Mittelstand fördern. Und die beste Mittelstandsförderung ist Bürokratieabbau. Und die ist auch noch kostenlos.“ Schleswig Holstein sei hoch verschuldet. Also werde man nicht jeder Firma unter die Arme greifen können. „Aber wir können die Unternehmen an den richten Stellen fördern und für einfache Regeln sorgen“, verspricht Madsen.

Vor dem bürokratischen Aufwand der Energiepreisbremse gruselt es ihn jetzt schon: „Typisch in Deutschland ist, dass man mit Hunderttausenden Anträgen zu tun hat statt mit schneller Hilfe. Deutschland hat schon bei der Bekämpfung von Corona bewiesen, dass, was einfach geht, auch kompliziert gemacht werden kann. Wir hatten mehr als 100.000 Anträge im Ministerium zu bearbeiten. Und wenn man jetzt überlegt, die nächsten vielleicht eineinhalb Jahre jeden Monat oder jedes Quartal neue Förderanträge stellen zu lassen, macht mir das Angst.“ Er würde es anders machen, sagt er.

Wirtschaftsminister Madsen hat Staatsbürgerschaft beantragt

Madsen hielte es für schlauer, nicht alle Abnehmer in ein Förderprogramm zu nehmen, sondern die abgebenden Energieunternehmen. „Dann hätte man vielleicht einige Hundert Anträge in ganz Deutschland statt Millionen. Und die Reibungsverluste wären deutlich weniger. Aber aus Angst vor Missbrauch oder aus Angst, etwas falsch zu machen, machen wir die Regeln für alle so kompliziert, dass wir wiederum wahrscheinlich professionelle Berater benötigen, um an die Hilfe zu kommen.“

Der Däne Madsen wäre auch gern ein Deutscher. Und so hat der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister eine zweite Staatsbürgerschaft beantragt. „Ich bin neulich 50 Jahre alt geworden, und mir ist klar geworden, dass ich mehr als die Hälfte meines Lebens in Deutschland lebe. Ich diene dem deutschen Staat auch schon seit einigen Jahren. Und dann gehört sich auch ein Bekenntnis zu diesem Staat, ein Ja zur Staatsbürgerschaft.“

Das sagt Claus Ruhe Madsen über …

… die Pandemie:

„Wir hatten die kompliziertesten Corona-Regeln weltweit und haben sie dann nochmals verschärft, sodass kein Mensch mehr durchblickt. Wenn ich eine Regel nicht mehr verstehe, werde ich sie auch nicht beachten.“

… den Bau des Fehmarnbelt-Tunnels:

„Was ich mit German Angst meine: Auf der dänischen Seite der Fehmarnbelt-Querung entstehen gerade Gewerbegebiete, Berufsschule, Hochschule, ein großes Ferien-Resort. Die Betonelemente werden in einer 800-Millionen-Euro-Halle errichtet. Aber auf unserer Seite diskutieren wir immer noch, ob der Ausweichbus hier lang oder dort lang fährt. Also wir stecken fest im Gestern. Ich werde alles daransetzen, zu verhindern, dass irgendwann ein Zug von Dänemark durch den fertigen Tunnel kommt – und auf unserer Seite noch gar kein Gleis verlegt ist. Diese Achse zwischen Kopenhagen und Hamburg über Schleswig-Holstein bietet große Chancen auch für uns. Da vermisse ich einfach mal diese Jetzt-legen-wir-los-Mentalität.“

… die ursprünglich geplante Gasumlage:

„Man wollte nicht dastehen als Bundesregierung, die neue Schulden macht. Vorbildlich ist hier aber Dänemark. Ein Beispiel: Die Kosten für den Bau des Fehmarnbelt-Tunnels steigen. Und was machen die Dänen? Sie strecken die Finanzierung, zahlen die Kredite nicht in 28 Jahren zurück, sondern in 32 Jahren. Das wäre jetzt auch bei uns der richtige Ansatz. Wir überlassen Schulden nicht gern unseren Kinder. Aber eine kaputte Wirtschaft wollen und sollten wir ihnen erst recht nicht überlassen. Das Beste wäre gewesen, die Problemlösung in der aktuellen Krise an den Anfang zu setzen und erst später zu überlegen, wie wir uns die Kohle zurückholen.“

… exorbitante Unternehmensgewinne und eine Übergewinnsteuer:

„Wenn diese Gewinne durch staatliche Regulierungen zustande gekommen sind, wie zum Beispiel beim Strompreis, muss man das System korrigieren. Aber jemandem die Gewinne wegzunehmen sehe ich kritisch. Also ich würde lieber die Regeln ändern.“

… Stromgewinnung in Kernkraftwerken:

„Mein Credo ist: Alles, was möglich ist, möglich machen. Ich würde keine Rücksicht auf nichts nehmen. Wir müssen in den Wald gehen, Pellets besorgen und Holzpellet-Anlagen hochfahren, wo es geht. Wir müssen Öl, Steinkohle und Atomkraft einsetzen, wo es sinnvoll ist und geht. Aber man muss gleichzeitig alles daransetzen, die Erneuerbaren zu fördern. Das ist auch Schleswig-Holsteins großes Momentum. Wir haben nicht zu viel erneuerbare Energie, wir haben nur zu wenig Ansiedlungen. Wir wollen ein grünes Technologieland werden.“

… die Abwerbung von Unternehmen zum Beispiel aus Süddeutschland:

„Früher haben sich die Menschen an Flüssen oder Seen angesiedelt, dort, wo Energie war. Später ist die Schwerindustrie dahin gegangen, wo die Kohle war. Nun ist die Energiequelle hier oben an unserer Küste. Dann sollten natürlich auch die Unternehmen, die viel Energie verbrauchen, an die Küste kommen und nicht andersherum. Es war noch nie effizient, Energie zu bewegen. Also: Klar haben wir die Chance, Firmen auch abzuwerben. Das ist nicht unfair.“