Hamburg. Sven Weizenegger ist Leiter des Cyber Innovation Hubs. Ein Gespräch über Digitalisierung, Unternehmertum und aktuelle Projekte.
Er möchte für mehr unternehmerischen Geist in der Truppe sorgen und die digitale Transformation der deutschen Streitkräfte beschleunigen: Sven Weizenegger war früher Hacker und treibt heute Innovationen bei der Bundeswehr voran.
Hamburger Abendblatt: In drei Sätzen: Was macht der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr?
Sven Weizenegger: Wir sind der Do-Tank der deutschen Streitkräfte: Unsere Aufgabe ist, die digitale Transformation voranzutreiben, indem wir einerseits konkrete Lösungen für Problemstellungen aus dem Alltag der Soldatinnen und Soldaten entwickeln und andererseits mit unserem Defence-Intrapreneurship-Ansatz für einen Kulturwandel innerhalb der Truppe sorgen. Speed matters, wir setzen unsere Innovationsvorhaben idealerweise in weniger als zwölf Monaten um. Außerdem verbinden wir im Hub die unterschiedlichsten Perspektiven, von Start-ups über den öffentlichen Sektor, die Politik, Verbände, Industrie bis hin zur Bundeswehr – wir reden miteinander und nicht übereinander.
Was meinen Sie mit dem Begriff „Defence Intrapreneurship“?
Sven Weizenegger: Intrapreneurship bezieht sich auf unternehmerisches Handeln innerhalb der Mitarbeiterschaft. Defence Intrapreneurship ist sozusagen die militärische Variante davon. Wir helfen, das Wissen und das Können zu fördern, das viele Soldatinnen und Soldaten mit in ihren Job einbringen, um daraus spannende Projekte zu machen, die der gesamten Truppe nützen. Auch eine klassisch eher hierarchisch organisierte Institution hat unfassbar viel davon, wenn ihre Mitarbeiter dazu ermutigt werden, Großes zu wagen.
Geht es da auch um Cyberwar und digitale Verteidigung?
Sven Weizenegger: Wir tragen zwar das Wort „Cyber“ im Namen, aber mit klassischer Cyberkriegsführung haben wir nur wenig zu tun. Unser Tätigkeitsfeld sind digitale Innovationen. Allerdings spielen natürlich die Umsetzung der Datenschutz-Grundverordnung und die Einhaltung von IT-Sicherheitsrichtlinien innerhalb unserer Projekte eine wichtige Rolle.
Stellt Sie der Krieg in der Ukraine derzeit vor besondere Herausforderungen?
Sven Weizenegger: Tatsächlich befinden wir uns seit dem russischen Überfall auf die Ukraine in einer „Zeitenwende“. Viele Annahmen, die früher als richtig galten, werden nun überprüft. In vielen Bereichen werden wir uns wohl komplett neu aufstellen müssen. Gleichzeitig gibt es einen Druck von außen, der uns zwingt, sehr schnell zu denken und zu handeln.
Im Bereich der Start-ups wird so etwas als „Sense of Urgency“ bezeichnet, was man mit „Dringlichkeitsempfinden“ bezeichnen könnte. Wir sind nun generell gezwungen, Innovationen im Bereich der Digitalisierung schnell voranzutreiben. Langjährige Entscheidungswege, bei denen nach einer optimalen Lösung für alle beteiligten Stakeholder gesucht wird, sind nicht das passende Mittel dafür. Unsere Arbeit orientiert sich per Definition an einem engeren Zeitrahmen. Wenn man so will, sind wir in der deutschen Verwaltung die Pioniere des „Sense of Urgency“. Damit hat der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr die Chance, zum Role Model in dieser besonderen Phase zu werden.
Das heißt konkret: Wir warten nicht auf den perfekten Moment, wir packen Dinge lieber gleich an – auch wenn wir dabei das Risiko eingehen, mit einigen Vorhaben zu scheitern. Wir lernen aus unseren Fehlern. Genauso, wie wir übrigens auch aus unseren Erfolgen lernen. Dieses schrittweise Vortasten in die Welt von morgen ist genau das, was in einer Situation des „Sense of Urgency“ gefragt ist. Wir können aber nur dann zu lernen beginnen, wenn wir auch Dinge tun, aus denen wir lernen können.
Vor Ihrem Wechsel im Juni 2020 zur Bundeswehr waren Sie 13 Jahre lang offizieller Hacker bei der Telekom: Sieht Innovation bei der Bundeswehr anders aus als in der Industrie?
Sven Weizenegger: Alle großen Organisationen tun sich mit Innovation schwer, auch wenn sie etwas anderes kommunizieren. Bestehendes mit etwas Neuem, Revolutionieren zu ersetzen ist für viele ein schmerzhafter Schritt. Jedoch gibt es bemerkenswerter Weise viele Parallelen zwischen der Industrie, der Start-up-Welt und der Bundeswehr: Denn Agilität wurde von den Preußen erfunden:
Im Jahr 1758, während des Dritten Schlesischen Krieges, verweigerte der Kavalleriegeneral Friedrich Wilhelm von Seydlitz bei der Schlacht von Zorndorf einen Befehl, weil ihm selbst, aus der Situation heraus, ein anderes Vorgehen als geeigneter schien. Friedrich der Große akzeptierte diese Befehlsverweigerung und sah darin sogar einen Nutzen. Aus diesem Denken heraus entstand später das „Führen mit Auftrag“: Ich gebe ein Ziel vor und überlasse es meinen Untergebenen, wie sie dieses Ziel selbst erreichen. So wird auch heute in Start-ups gearbeitet. Die Gemeinsamkeiten sind also größer, als man denkt, man benutzt nur unterschiedliche Begrifflichkeiten.
Wie wichtig ist Innovation für die Verteidigung?
Sven Weizenegger: Sehr – und das allein schon aus technologischen Gründen. Sämtliche Bereiche des Militärs durchlaufen im Zuge der Digitalisierung einen Revolutionsprozess. Wenn wir sagen würden, dass uns solche Innovationen nicht interessieren, wäre irgendwann die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung in Gefahr. Es gilt aber auch im kulturellen Sinne. Denken Sie nur an jene Menschen, die heute 20 Jahre alt sind: Diese Leute sind mit dem Bewusstsein aufgewachsen, dass jegliches Wissen dieser Welt nur einen Mausklick entfernt ist – sie sind es gewöhnt, Aussagen zu hinterfragen und zu überprüfen. Dazu muss sich auch eine Institution wie die Bundeswehr verhalten.
Was unterscheidet die Bundeswehr von einem Start-up?
Sven Weizenegger: Natürlich gibt es hier andere Rahmenbedingungen als in einem normalen Start-up. Unser Auftraggeber ist die Politik, wir werden durch Steuergelder finanziert. Ein anderer wichtiger Unterschied ist, dass Innovationen bei der Bundeswehr nicht einfach ein neues Produkt entwickeln helfen, sondern im äußersten Ernstfall auch zum Schutz von Leib und Leben der Soldatinnen und Soldaten beitragen.
Wie innovativ ist die Bundeswehr?
Sven Weizenegger: Wie schon erwähnt: Agilität ist eigentlich eine militärische Erfindung. Sie ist durch das „Führen mit Auftrag“ auch Teil der Bundeswehr-DNA geworden. Und das Gleiche gilt für das Wissen und das Können, welches man in der Bundeswehr findet.
Hier spielt das Thema Intrapreneurship eine wichtige Rolle. Im Bereich der Marine haben wir zum Beispiel einen Offizier, der mit unserer Unterstützung ein Versorgungsschiff mit einer selbst programmierten Software und neuer Digitaltechnik ausgestattet hat. Damit hat er nicht nur ein mehrere Jahrzehnte altes Schiff auf den technologischen Standard des 21. Jahrhunderts gebracht, sondern auch gezeigt, was durch Eigeninitiative alles möglich sein kann.
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Gibt es in der deutschen Wirtschaft und gerade in der kreativen Start-up-Szene genügend Beachtung für das Thema Cybersecurity?
Sven Weizenegger: Nein, denn Cyber wird von der Wirtschaft noch zu sehr als Hygienefaktor angesehen und nicht als Teil der Wertschöpfung. Erst wenn sich das wandelt, wird die Bedeutung auch eine andere sein.
Woran arbeiten Sie gerade?
Sven Weizenegger: Wir haben derzeit mehr als 130 Innovationsvorhaben im Portfolio. Eines der spannendsten ist definitiv AGDUS EASY. Im Kern geht es um eine praxisorientierte Schießausbildung. Das bestehende System ist ein veraltetes Duellsimulationssystem, eingeführt Mitte der 1990er-Jahre – welches nicht agil einsetzbar ist, einem problematischen Anforderungsprozess unterliegt und einen zeitaufwendigen Kalibrierungsprozess hat, sodass die Schießausbildung oftmals nicht zustande kommt.
Und wenn doch, dann dauert die Auswertung zu lange. Bei uns sieht man die Ergebnisse direkt. Selbst die eingesetzten Trainingswaffen wiegen so viel wie im Realen. Hier gilt: „Train as you fight“. Je realistischer, desto besser sind unsere Soldatinnen und Soldaten für den Ernstfall vorbereitet.