Niendorf/Ostsee. Ohne Touristen würde es den 100 Jahre alten Hafen, in dem heute nur noch zwei Fischer hauptberuflich arbeiten, gar nicht geben.
Früher, in den 1950er Jahren, waren es 80. Heute gibt es nur noch zwei hauptberufliche Fischer, die jeden Tag vom Niendorfer Hafen aus hinaus auf die Ostsee fahren, Schollen, Hering oder Flunder fangen und die davon leben.
Und doch ist die Fischertradition in dem kleinen Ort an der Ostsee noch lebendig. Das liegt an den Fischern, die ihre Kutter in dem idyllischen kleinen Niendorfer Hafen liegen haben und täglich frischen Fisch in den bunten Holzbuden verkaufen. Dass der Hafen so lebendig ist, liegt aber auch an den Menschen dort, die in die Zukunft schauen und mit modernen Konzepten den Hafen fit machen für die Zukunft. Von Freitag bis Sonntag feiert der Niendorfer Hafen mit viel Programm seinen 100. Geburtstag.
Ostsee: Rüdiger Krüger war 45 Jahre lang Fischer in Niendorf
Als Rüdiger Krüger bereits als 13-Jähriger mit seinem Vater von Niendorf aus hinaus zum Fischen auf die Ostsee fuhr, da war der Hafen noch ursprünglich. Da gab es keine moderne Kaffeerösterei, keine Töpferei dort. Da lag ein Fischerkutter neben dem anderen. 45 Jahre lang war der 60-Jährige Fischer, in vierter Generation.
Er war jeden Morgen zweieinhalb Stunden vor Sonnenaufgang draußen bis hoch nach Dänemark, um seine Schleppnetze auszuwerfen. Er lag mit Maschinenschaden auf offener See, musste mit dichtem Seenebel zurechtkommen und hat sich bei der harten Knochenarbeit den Rücken verknackst. Aber etwas anderes hätte er niemals machen wollen. „Auf dem Wasser war ich frei und selbstbestimmt. Es ist immer spannend und nie monoton gewesen.“ Nein, wirklich nicht.
Einmal zog der Fischer DDR-Flüchtlinge statt Fische aus dem Wasser
Denn er hat nicht nur Fische gefangen, sondern auch Menschenleben gerettet. Zu Zeiten der DDR, als am Rande der Lübecker Bucht DDR-Grenzpatrouillen auf dem Wasser waren, hat Rüdiger Krüger am Morgen des 23. März 1982 DDR-Flüchtlinge aus der kalten Ostsee gefischt, als er nahe der innerdeutschen Grenze sein Netz ausgeworfen hatte und ein Wachboot der DDR sah.
„Das fuhr an uns vorbei, aber auf dem Radar sah ich zwei kleine Punkte und durch das Fernglas konnte ich ein Kajak erkennen“, erzählt Krüger. Zwei junge Männer waren aus Dresden über die Ostsee in den Westen geflohen. In Kühlungsborn waren sie in der Nacht in die Ostsee gestiegen und zwölf bis 14 Stunden gepaddelt. Vor dem Patrouillenboot hatten sie sich hinter einer Fahrwassertonne versteckt. An Bord des Fischerkutters „Charlotte“ konnten sie sich erst einmal aufwärmen und ausschlafen.
„Als wir in den Hafen zurückkamen, war schon die Presse vor Ort“, berichtet Krüger. Aber es wurde niemals über ihn berichtet. Denn das hätte ihn in Gefahr bringen können. „Hätte die DDR meinen Namen erfahren, wäre es für mich draußen auf der Ostsee gefährlich geworden.“
Der 60-Jährige ist heute Vorsitzender des Fischereivereins in Niendorf
Doch diese Ära ist beendet. Einen Nachfolger hat er nicht, den Kutter Charlotte hat er verkauft und nun bewegt sich Krüger lieber in seiner Freizeit auf dem Motorrad fort, bei Touren in den Alpen zum Beispiel, als bei Wind und Wetter hinaus aufs Meer zu fahren. Er schimpft über die zunehmende Bürokratie, über lästige EU-Vorgaben. Mit der Einführung der Fangquoten in den 1990er Jahren ging auch die Fischerei zurück. Nein, das Fischen ist nicht mehr das, was es einmal war, sagt er.
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Und doch lässt sie ihn nicht in Ruhe. Heute ist Krüger Erster Vorsitzender des Fischereivereins. „Dieser Hafen ist Rüdigers Hafen“, sagt Joachim Nitz, Tourismusdirektor der Timmendorfer Strand Niendorf Tourismus GmbH (TSNT).
Ostsee: Niendorfer Hafen entstand, um Streit mit Touristen beizulegen
Der Hafen wurde damals errichtet, weil es mit dem Aufkommen des Tourismus um 1900 immer wieder zu Konflikten mit den Fischern gekommen war, weil diese ihre Netze am Strand trockneten und die Gäste sich durch den Gestank belästigt fühlten. Als Folge erhielten die Fischer einen Schutzhafen und verzichteten dafür auf ihr Recht, den Strand zu nutzen. Das war die Geburtsstunde des Niendorfer Hafens. Der Niendorfer Hafen wurde in den Jahren 1920–22 künstlich durch Verbreiterung der Aalbek geschaffen.
In den 1970er Jahren wurde der Hafen zu einem Freizeithafen mit Segelschule und Jollenstation erweitert. Mit dem Rückgang der Berufsfischerei nahm gleichzeitig die Freizeit- und Sportschifffahrt zu. Heute werden ab Niendorf etliche Touren auf die Ostsee angeboten – am Brodtener Steilufer entlang nach Travemünde etwa, zu einer Kutterfahrt, um Einblicke in die Fischerei zu erhalten, und auch Seebestattungen starten von hier aus.
Fischer Lars Hauswald sagt: „Wir aktiven Fischer sehen der Zukunft mit gemischten Gefühlen entgegen, Wir haben uns neben der Fischerei mit unserer Fisch-Bar und dem Fisch-Direktverkauf neu aufgestellt, werden aber auch in Zukunft flexibel sein müssen, um zum Beispiel Kutterfangfahrten für Touristen anzubieten. Meinem Sohn habe ich daher schon von einer Ausbildung zum Fischer leider abgeraten.“
64 großformatige Porträts von Hafenmenschen
Hauswald verkauft seinen Fisch und Fischspezialitäten in einer der bunten Fisch-Verkaufsbuden, die vor rund 16 Jahren im Rahmen einer Grundsanierung aufgestellt wurden, dazu kamen diverse Gastronomieangebote. Neben der Evers Werft gab es dann einen Bootsbauer, eine Räucherei, eine Hafentöpferei und eine Galerie. Auch mit wenigen Fischern ist der Hafen deshalb eine lebendige Meile.
Den besten Kaffee, sagt der Hamburger Fotograf Wolfgang Köhler, gibt es in der Ahoi Kaffeerösterei im Hafen. Und der 60-Jährige kennt alle im Hafen. Denn er hat drei Monate lang die Gesichter des Hafens fotografiert: 64 Menschen hat er porträtiert. In großformatigen wetterfesten Abzügen hängen die beeindruckenden, dichten Schwarz-Weiß-Porträts überall im Hafen verteilt an den Häusern, in den Fenstern und an den Türen. Insgesamt sind es 100 Aufnahmen, viele davon zeigen auch den historischen alten Hafen.
„Ich habe dabei unheimlich viele nette Leute kennengelernt“, sagt Köhler, der inzwischen mehr in Niendorf lebt als in Hamburg. Was er an Niendorf schätzt: „Alle kommen miteinander klar und es ist eine dörfliche Struktur. Es ist das ruhige ausgeglichene Leben hier. Du hast das Gefühl, die Zeit ist stehengeblieben.“
Ostsee: So feiert Niendorf runden Hafengeburtstag
Mit den Niendorfer Hafentagen wird von Freitag bis Sonntag der 100. Geburtstag gefeiert. Los geht es am Freitag ab 16 Uhr mit Musik. Am Sonnabend ist um 16 Uhr offizieller Empfang.
Dazu gehört neben einem Interview mit Rüdiger Krüger und Lars Hauswald über das Arbeiten und Leben im Hafen früher und heute auch die Eröffnung der Fotoausstellung „100 Hafengesichter“. Mit Musik geht es bis Sonntagabend weiter. Alle Infos unter www.timmendorfer-strand.de