Kiel. Am Dienstag starten die Sondierungen. Politikwissenschaftler Wilhelm Knelangen über die Regierungsbildung in Schleswig-Holstein.

Er ist einer der gefragtesten Ansprechpartner, wenn es um schleswig-holsteinische Landespolitik geht: Wilhelm Knelangen forscht und lehrt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Für den Politikwissenschaftler spricht viel dafür, dass sich im Fall einer Zweierkonstellation die CDU für die Grünen entscheiden könnte. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) wirbt weiter für eine Fortsetzung des Jamaika-Bündnisses.

Daniel Günther und die CDU haben im Wahlkampf vor allem auf einen Trumpf gesetzt: die Beliebtheit von Jamaika. Das ist aufgegangen. Die CDU legte um mehr als zehn Prozentpunkte zu. Ist die Partei jetzt Gefangene ihres Erfolges?

Wilhelm Knelangen: Gefangen ist die CDU nicht, sie muss sich ja nicht für eine Koalition mit drei Parteien entscheiden. Aber sie versucht, die große Beliebtheit der Koalition über den Wahltermin hinaus zu retten und die Erzählung von Jamaika fortzusetzen. Das macht sie geschickt. Sie braucht nur noch einen der beiden Partner. Aber indem sie für sich den Wunsch reklamiert, mit Jamaika weiterzumachen, versucht sie, den Spieß umzudrehen. Jetzt muss eine der beiden anderen Parteien aussteigen, wenn sie das Bündnis nicht fortsetzen will.

Obwohl die CDU haushoch gewonnen hat, bietet sie Grünen und FDP an, das Jamaika-Bündnis fortzusetzen. Ist das jetzt eine Inszenierung oder ist es Herrn Günther ernst?

Ich habe Zweifel daran, dass er es ernst meint. Die Gesetzmäßigkeiten des Wettbewerbs zwischen Parteien legen eine Dreierkonstellation nicht nahe, da ein Partner nicht gebraucht wird. Die kleineren Partner würden sich immer die Frage stellen, warum sie die eine oder andere Zumutung akzeptieren sollten, die sie in einem Zweierbündnis nicht akzeptieren müssten. Das gilt nicht nur für Inhalte, sondern auch für Posten. Übrigens auch für die CDU. Sie wird Zugeständnisse machen müssen, die in einem Zweierbündnis nicht nötig wären. Das ist aus meiner Sicht der Grund, warum es innerhalb aller Parteien Druck geben wird, zu gegebener Zeit vom großen Jamaika-Projekt wieder Abstand zu nehmen.

Heißt „zu gegebener Zeit“ in den jetzt beginnenden Verhandlungen oder erst später, während der Regierungsarbeit?

Ich bezweifele, dass es unter den aktuellen Voraussetzungen einen erfolgreichen Abschluss von Jamaika-Verhandlungen geben wird. Wenn es doch gelingen würde, wäre das ein sehr großer Erfolg für Günther. Er würde damit die tatsächlich vorhandenen Unterschiede zwischen Grünen und FDP schleifen.

Scheitern die Verhandlungen, könnte sich die CDU hinstellen und sagen: Seht her, wir wollten Jamaika. An uns hat es nicht gelegen. Schiebt die CDU Führungs- und Entscheidungsverantwortung ab?

Diese Einschätzung liegt nahe, denn Günther startet die Regierungsbildung mit der Aussage, Jamaika fortsetzen zu wollen, obwohl er nur einen Partner benötigt. Vielleicht möchte Günther erreichen, dass nicht er erklären muss, warum es seine erklärte Wunschkoalition nicht geben kann, sondern eine der beiden potenziellen Partner.

"Jetzt können wir die Erfolgsgeschichte fortschreiben"


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  • FDP-Chef Heiner Garg sagt, der Erfolg von Jamaika 1 habe darauf beruht, dass sich die drei Parteien auf „Augenhöhe begegnet“ seien. Wie aber sollte beim Verhältnis 43 – 18 – 6 Prozent Augenhöhe hergestellt werden?

    Das ist ein Problem, das sich durch ständiges Wiederholen des Jamaika-Wunsches nicht aus der Welt schaffen lässt. Schon nach Jamaika 1 ist es doch so, dass die Koalition den Parteien sehr unterschiedlich genutzt hat. Jede Partei wird sich überlegen, von welcher Konstellation sie bei der Wahl in fünf Jahren am ehesten profitieren könnte. Die FDP hat jetzt beispielsweise die Erfahrung gemacht, dass sie unter die Räder gerät, wenn sie als Regierungspartei nicht gut genug wahrgenommen wird, weil die CDU die FDP-Programmatik mit abdeckt.

    Die FDP hatte im Wahlkampf noch ein Dreierbündnis ausgeschlossen. Jetzt macht sie über ihren Bundesvize Wolfgang Kubicki Annäherungsversuche. Ist das die Sorge der FDP, bei einem Zweierbündnis gegen die Grünen den Kürzeren zu ziehen?

    Erst einmal geht es darum, die FDP bei der Koalitionsbildung im Spiel zu halten. Denn wenn Günther den moderierenden Politikstil über den alten Lagern als Geheimnis seines Erfolges sieht, dann spricht viel dafür, es als CDU nun mit den Grünen zu versuchen. Das dürfte beiden Seiten viel Zugeständnisse abverlangen. Die FDP wird sich deshalb als naheliegender Koalitionspartner präsentieren.

    Teile der FDP, mehr noch die Grünen fühlen sich ein wenig wie Statisten in einer CDU-Inszenierung. Haben die beiden Parteien recht mit ihrer Wahrnehmung?

    Ja. Noch haben die Verhandlungen nicht begonnen. Ich halte es für möglich, dass FDP und Grüne das Jamaika-Spiel noch ein wenig mitspielen. Die CDU bestimmt im ersten Spielzug die Regeln. Das muss aber nicht so bleiben, sondern hängt davon ab, wie sich Grüne und FDP aufstellen. Denn auch Günther benötigt für seine Wahl die Stimmen mindestens eines Partners. Wie dieser Machtkampf ausgeht, wird am Ende über die Farben der Koalition entscheiden. Die Union ist dabei in der komfortablen Situation, bei ernsten Schwierigkeiten während der Wahlperiode den Regierungspartner wechseln zu können. Es blieben ja sogar noch die Optionen einer Minderheitenregierung oder einer Zusammenarbeit mit dem SSW.

    Ein Jamaika-Bündnis hätte eine Parlamentsmehrheit von 53 zu 16. Die Opposition von SPD und SSW wäre extrem schwach ...

    Das wäre ein großes Problem für die parlamentarische Demokratie im Land. Einer übergroßen Mehrheit, die sich zudem auf den Sachverstand der Ministerien stützen könnte, stünde eine schon zahlenmäßig schwache Opposition gegenüber. Der Schlagabtausch der Meinungen, von dem die Demokratie lebt, würde nur noch eingeschränkt funktionieren. Auch das sollte bei den Koalitionsverhandlungen bedacht werden.