Kiel. Der Südschleswigsche Wählerverband geht selbstbewusst in die schleswig-holsteinische Landtagswahl am 8. Mai. Was die Partei vorhat.

Was andere verzagen oder zumindest zittern lassen würde, ist für den SSW in Schleswig-Holstein ein „hervorragendes Ergebnis“. Das jedenfalls sagt Spitzenkandidat Lars Harms (57) zu den vier Prozent, die die Meinungsforschungsinstitute Infratest dimap und Insa dem Südschleswigschen Wählerverband für die Landtagswahl am 8. Mai vorhersagen. Als Minderheiten- und Regionalpartei ist der SSW auf jeden Fall wieder im nächsten Landtag vertreten – schließlich gilt für ihn die Fünfprozenthürde nicht.

„Vier Prozent oder drei Mandate, das wäre richtig toll“, meint Harms. Ihm könnte damit durchaus eine Regierungsbeteiligung erwachsen. Sowohl auf der eher konservativen Seite um CDU und FDP als auch links davon mit SPD und Grünen wird der SSW immer mal wieder als möglicher dritter Partner genannt. „Wir führen jedenfalls ein recht gutes Verhältnis zu allen demokratischen Parteien“, sagt Harms. „Und wir waren noch nie so umworben.“

Landtagswahl SH: SSW fordert Mietpreisbremse

Mit dem Wahlkampfmotto gibt der SSW die Richtung für mögliche Gespräche nach der Wahl vor: „Zweitstimme SSW: damit das Leben im Norden bezahlbar bleibt“. Der traditionell eher linke Wählerverband mit seinen rund 3200 Mitgliedern und einem Bundestagsabgeordneten fordert die Wiedereinführung der Mietpreisbremse, eine Kappungsgrenze und ein Wohnraumschutzgesetz – womit er deutlich dichter bei Rot und Grün liegt.

Die künftige Landesregierung müsse viel stärker als bislang Interessen der Menschen mit geringeren Einkommen in den Blick nehmen, sagt Harms. „Schon seit zwei, drei Jahren schießen die Kosten durch die Decke, aber kein Mensch reagiert.“ Für ihn ist die Bilanz der seit 2017 regierenden Jamaika-Koalition durchwachsen. „Die kleinen Leute haben nichts von dieser Regierung gehabt.“ Harms verweist auf eine Reihe sozialpolitischer Anträge, die CDU, Grüne und FDP abgelehnt hätten. „Wir haben alles Mögliche beantragt, aber die Landesregierung interessiert sich nicht wirklich, wie es ganz normalen Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen oder den Leuten geht, die auf Sozialleistungen angewiesen sind.“

SSW fordert Senkung der Mehrwertsteuer

Um auch ärmeren Menschen ein würdiges Leben zu ermöglichen, fordert der SSW eine dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer – zumindest solange die Energiewende nicht vollzogen und die Menschen auf teures Gas und teuren Strom angewiesen seien. „Damit erreicht man alle“, sagt Harms. Die Menschen könnten sofort günstiger einkaufen, tanken, Heizöl bekommen. „Und da soll auch keiner sagen, damit würden auch Große und Reiche entlastet. Bei denen kann ich die Einkommenssteuer erhöhen, dann habe ich das sofort wieder drin.“ Schleswig-Holstein müsse eine entsprechende Initiative auf Bundes­ebene starten, fordert Harms.

„Von der nächsten Landesregierung muss das Signal kommen, dass es für die Menschen wieder billiger wird.“ Dazu zählt für die Partei auch, die Kitabeiträge abzuschaffen und den öffentlichen Nahverkehr billiger zu machen. Der SSW fordert zudem eine Fehlbelegungsabgabe auf Sozialwohnungen. „Wenn aus dem Studenten mit Sozialwohnung ein gut verdienender Ingenieur geworden ist, sollte der auch die ortsübliche Miete zahlen“, sagt Harms, dessen Partei der dänischen und friesischen Minderheit bei der Landtagswahl vor fünf Jahren 3,3 Prozent der Stimmen eingefahren hatte.

Preise seit Corona-Pandemie explodiert

Ziel aller Maßnahmen sei, dass die Menschen so viel Geld für ein lebenswertes Leben zur Verfügung hätten wie vor Beginn der Corona-Pandemie vor zwei Jahren. Seither seien aber die Preise explodiert, sagt Harms. Dringenden Handlungsbedarf sieht der 57-Jährige auch bei der Energiewende. „Wir hatten Jahre Stillstand bei der Windenergie, weil die CDU größere Abstände wollte.“

Die Regierung sei konzeptlos vorgegangen. Notwendig seien mehr als die bislang anvisierten zwei Prozent der Landesfläche für Windräder, nämlich 2,5 bis 3 Prozent. Bestehende Anlagen sollten zudem generell durch leistungsstärkere ersetzt werden können. „Das sind Flächen, die vor Ort akzeptiert sind. Deswegen stehen die Windmühlen ja da“, sagte Harms. Er fordert zudem, Fotovoltaik zu fördern und auszubauen.

Harms kritisiert Planung von LNG-Terminals

Als am vergangenen Freitag 30 Jugendliche in Brunsbüttel gegen das vorgesehene Flüssiggas-Terminal (LNG) protestierten und den Ausstieg aus den Planungen forderten, erhielten sie Unterstützung vom SSW-Fraktionsvorsitzenden im Schleswig-Holsteinischen Landtag. „LNG-Terminals in Deutschland sind nichts anderes als der erneute Versuch, durch fossile Energieträger geschaffene Probleme mit neuen fossilen Strukturen zu lösen“, kritisiert Lars Harms die Planung von Bundes- und Landesregierung.

Mit den geforderten Maßnahmen zur Energiewende und zur sozialen Absicherung liegt der SSW eher auf Linie mit SPD und Grünen, mit denen er bereits von 2012 bis 2017 in der sogenannten Küsten-Ampel regiert hat. Mit den Positionen unter anderem zu Straßenbau, Infrastrukturmaßnahmen und Verkürzung der Planungsprozesse gibt es deutlich größere Schnittmengen mit CDU und FDP. So fordert Harms den Weiterbau der Autobahn 20, und zwar „so schnell wie möglich“. Bislang – und das schon seit Jahren – endet die Autobahn, die aus Mecklenburg-Vorpommern kommt, bei Bad Segeberg. Langwierige Umweltprüfungen, Umplanungen und Gerichtsverfahren haben den Weiterbau bis an die Westküste Schleswig-Holsteins und von dort in einem Tunnel unter der Elbe nach Niedersachsen verhindert.

Lars Harms fordert, das Planungsrecht zu verschlanken

„Wir müssen schneller planen und schneller bauen können“, fordert der SSW und zieht Dänemark als positives Beispiel heran. Von dort aus wird aktuell der Bau des Fehmarnbelttunnels 18 Kilometer durch die Ostsee vorangetrieben. Der symbolische erste Spatenstich für den Bau war 2021 – eigentlich hätte der Tunnel da längst fertig sein sollen.

So hatten es die Dänen jedenfalls geplant. Im Nachbarland hatten 42 Anwohner oder Unternehmen im Genehmigungsverfahren Einwände gegen den Bau vorgebracht – in Deutschland waren es mehr als 12.000. „Wir müssen das Planungsrecht verschlanken“, sagt Harms und weiß sich hier in Übereinstimmung mit Wirtschaftsminister Bernd Buchholz von der FDP.

Landtagswahl SH: SSW theoretisch nicht gebraucht

Für Harms sind Projekte wie die A 20 und Gesetzesänderungen, die zu schnellerem Planen und Bauen führen, Grundvoraussetzung, neue Industrieunternehmen im Land anzusiedeln und neue Jobs zu schaffen. Laut der Infratest-dimap-Umfrage, die der NDR vergangene Woche veröffentlicht hat, würde der SSW für eine Regierungsbildung nicht gebraucht.

Die CDU käme demnach auf 38, die SPD auf 20, die Grünen auf 16, die FDP auf neun, die AfD auf sechs und der SSW auf vier Prozent. Danach gäbe es eine klare Mehrheit für ein Bündnis von CDU und Grünen, eine noch klarere für die Fortsetzung von „Jamaika“ – und neuerdings auch eine knappe für Schwarz-Gelb. Eine „Ampel“ mit SPD, Grünen und FDP wäre demnach rechnerisch genauso ausgeschlossen wie die Neuauflage der Küsten- oder Dänen-Ampel mit dem SSW – was SPD-Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller so gern machen würde.

Landtagswahl SH: SSW könnte zum Zug kommen

Aber Umfrage ist nicht Wahlergebnis – und so könnte der SSW doch noch ins Spiel kommen. Zumindest in der FDP mehren sich Stimmen, die in einer Koalition mit der CDU den SSW als dritten Partner lieber sähen als die Grünen – sofern es doch nicht für Schwarz-Gelb reichen sollte. Harms jedenfalls gefällt es, umworben zu werden. „Regieren ist besser als Opposition“, sagt er.