Berlin/Kiel. Die Bundesumweltministerin verspricht Hilfe „so schnell wie möglich“. Jan Philipp Albrecht will sich für ein Pilotprojekt einsetzen.
Die neue Bundesumweltministerin Steffi Lemke dringt darauf, die Weltkriegsmunition in der Ostsee rasch zu bergen. „Wir wissen, dass durch die Zerfallsprozesse der Munition schon jetzt Giftstoffe freigesetzt werden“, sagte die Grünen-Politikerin im Abendblatt-Interview. „So wurden in Muscheln schädliche Substanzen daraus nachgewiesen.“ Das Problem sei viel zu lange vernachlässigt worden, kritisierte sie. Jetzt müsse „so schnell wie möglich“ gehandelt werden. „Wir dürfen die Küstenländer mit dieser Aufgabe nicht allein lassen“, sagte die Grünen-Politikerin.
„Dass die neue Bundesregierung schnell in die Räumung und Vernichtung von Munitionsaltlasten im Meer einsteigen will, ist eine sehr gute Nachricht für den Meeresschutz in Nord- und Ostsee.“ So kommentierte Landes-Umweltminister Jan Philipp Albrecht, ebenfalls von den Grünen, die Nachricht aus Berlin. Er werde sich dafür einsetzen, dass sich alle Länder zum Sofortprogramm bekennen und „solidarisch in den von der Ampel vereinbarten Fonds einzahlen. Ziel muss es sein, spätestens 2023 in einem ersten Pilotprojekt vor der schleswig-holsteinischen Küste in die Bergung von Altmunition einzusteigen“, sagte Albrecht.
Ostsee: Sprengungen sollen vermieden werden
Die neue Bundesregierung will ein nationales Sofortprogramm auf den Weg bringen. Bei der Entwicklung dieses Programms würden die Bundesländer aktiv eingebunden. Beginnen soll die Bergung in Pilotregionen in der Ostsee, die besonders von Altmunition belastet und gleichzeitig leicht zugänglich sind. Sprengungen sollen möglichst vermieden werden. Sollte sich das Verfahren bewähren, könnten die Aktivitäten auch auf andere Regionen ausgeweitet werden, so das Umweltministerium.
Wissenschaftler wie Prof. Edmund Maser, der das Institut für Toxikologie und Pharmakologie im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel leitet, sind schon lange alarmiert. Die Experten sprechen von einer „tickenden Zeitbombe auf dem Meeresboden“: Bomben, Granaten, Minen, Torpedos verrotten dort. In der Nord- und vor allem der Ostsee vor den norddeutschen Küsten waren während des Zweiten Weltkriegs rund 1,6 Millionen Tonnen konventionelle Munition versenkt worden statt sie zu entsorgen. Hinzu kommen Tausende Tonnen chemischer Kampfstoffe.
„Die Munition liegen zu lassen ist keine Lösung"
Seit Jahren machen die schleswig-holsteinischen Landesregierungen politischen Druck, das Problem endlich anzugehen, dessen Lösung das Bundesland finanziell überfordern würde. Noch im November hatte Umweltminister Albrecht dem Abendblatt gesagt: „Die Munition liegen zu lassen ist keine Lösung. Zu dem Zeitpunkt liefen die Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP. Diese Verhandlungen nutzte das Kieler Jamaika-Bündnis, um Stimmung zu machen für ein Pilotprojekt zur Bergung der explosiven Altlasten.
Die Idee: Von einer von ThyssenKrupp Marine Systems konstruierten und weitgehend automatisch arbeitenden Plattform aus soll die Munition mit Spezialbaggern geborgen und entschärft werden. Denn deren Ummantelung rostet, der Inhalt, also der Sprengstoff, kann so im Wasser zur Bedrohung für Tiere und Pflanzen werden. So hatten Kieler Wissenschaftler des toxikologischen Instituts von Prof. Edmund Maser bei einem aufwendigen Versuch im Gewebe von extra für mehrere Monate abgelassenen Muscheln unter anderem TNT entdeckt.
Munition rostet in der Ostsee weiter
Das Umweltbundesamt spricht in einer Untersuchung zu den Inhaltsstoffen der Sprengkörper davon, dass „insbesondere TNT und seine Metabolite ... giftig, krebserzeugend und/oder erbgutverändernd“ seien. Und dass auch Schwermetalle wie Quecksilber „in die Meeresumwelt gelangen“, wenn die Metallhülle verrottet.
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„Man muss davon ausgehen, dass die Munition immer weiterrostet“, hatte Albrecht im November im Abendblatt gesagt. Seine Parteifreundin Steffi Lemke betonte die Dimension der Aufgabe: „Es geht nicht nur um Blindgänger. Im Auftrag der Alliierten wurden nach dem Krieg Tausende Tonnen Munition in der Ostsee versenkt, um sie unbrauchbar zu machen. Doch niemand weiß, wann, wo genau und was versenkt wurde.“
Ostsee: Regierung soll Aufbau der Plattform finanzieren
Die Umweltministerin berichtete von einem ersten Gespräch mit Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) über das Thema. Sie habe den Eindruck, dass Lambrecht bereit sei, „mit Ressourcen der Bundeswehr bei diesem Problem zu helfen“.
Nach Informationen des Abendblatts soll die Bundesregierung den Aufbau der Plattform finanzieren, die Länder dann deren Betrieb bezahlen. Die Landesregierung kalkuliert die Kosten für den Aufbau der Plattform auf rund 100 Millionen Euro. Die neue grüne Bundesumweltministerin kennt die Problematik, hat sich schon mehrfach im Norden über die aktuelle Gefährdungsanalysen informiert.