Westerhever. Der Westerhever Leuchtturm ist eines der meistfotografierten Motive. Jürgen Birkigt kennt alle seine Geschichten – und gibt Auskunft.

Diese 157 Stufen nach oben auf die Plattform in knapp 40 Metern Höhe mögen ja für einige Besucher eine Herausforderung sein, für Jürgen Birkigt sind sie es nicht, auch wenn er bereits 77 Jahre alt ist. Er hat schließlich schon den Kilimandscharo bestiegen. Mit 56 Jahren. Nun geht es für ihn weniger weit weg und weniger hoch. Seit sechs Jahren führt er Besucher auf den Westerhever Leuchtturm. Der ist zwar pandemiebedingt für Führungen derzeit geschlossen, aber für das Abendblatt gab es eine Ausnahme.

Vor dem Aufstieg kommt der Spaziergang. Rund zwei Kilometer sind es vom Parkplatz am Infohus in Westerhever zum Leuchtturm. Es geht über den Deich 45 Minuten durch Salzwiesen – den Leuchtturm dabei immer im Blick. Schon das ist ein Erlebnis: Majestätisch und erhaben steht der Leuchtturm da. Und selbst, wer die Faszination für Leuchttürme sonst nicht nachvollziehen kann, ist doch angetan von diesem Anblick.

Nordsee: Leuchtturm ist Wahrzeichen von Eiderstedt

Dieser Turm hat etwas Besonderes. Einerseits, weil man ihn schon so häufig von weitem gesehen hat am Strand von St. Peter-Ording, andererseits weil er ein Alleinstellungsmerkmal hat. „Es ist der einzige Leuchtturm, der vorm Deich steht“, sagt Jürgen Birkigt, einer von drei ehrenamtlichen Leuchtturmführern. Bei Sturmflut kann das Vorland überflutet werden, Fotos im Inneren des Turms zeigen, wie das dann aussieht. Und er ist das Wahrzeichen der Halbinsel Eiderstedt.

Früher war Jürgen Birkigt geschäftsführender Gesellschafter einer Design-Agentur an der Alster, aufgewachsen ist er im Generalsviertel, und in Eppendorf hat er zuletzt gewohnt mit seiner Frau und seinen beiden inzwischen erwachsenen Kindern, bevor er die Großstadt gegen das Leben auf Eiderstedt getauscht hat. Weil er eher von der Sorte Hummeln im Hintern ist statt Couch-Kartoffel und gern erzählt, wollte er auch im Ruhestand aktiv bleiben. Zu Hause in Tating hat er sich in der Flüchtlingshilfe engagiert, Deutsch unterrichtet. Und als Nordsee-Fan fasziniert ihn der Lebensraum Watt – so kam er zum Leuchtturmführer-Job.

8000 Besucher nehmen jährlich an Leuchtturm-Führungen teil

„Ich bin neugierig auf alles und vermittele gern Wissen. Das hier ist eine der wunderschönsten, markantesten und am meisten fotografierten und schönsten Baudenkmäler im Norden, ja womöglich auf der nördlichen Halbkugel“ schwärmt er vom Leuchtturm. 8000 Besucher kommen jedes Jahr dorthin und nehmen an Führungen teil. Zu Spitzenzeiten macht Birkigt sechs Führungen am Tag.

Ursprünglich war der Turm hinter dem Deich geplant, doch das ließen die nordfriesischen Bauern nicht zu, sie wollten ihr Land nicht herausrücken und so hat man sich auf das Deichvorland zurückziehen müssen und ihn einen Kilometer jenseits des Walls inmitten der Salzwiesen erbaut, und zwar dicht an der Wasserkante. „Meistens stehen Leuchttürme hinter den Deichen“, erklärt Jürgen auf dem Weg zu dem Bauwerk. Rundherum liegt das Biotop des Biosphärenreservates Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. „Inmitten dieser reinsten Natur steht unser Turm“, sagt Jürgen Birkigt und klingt dabei fast ein wenig stolz. Seit 1908 ist der Leuchtturm in Betrieb.

Leuchtturm wurde auf Eichenpfählen gebaut

Erreicht man ihn, fallen zwei Häuser auf: Bis in die 1970er Jahre wohnten dort zwei Leuchtturmwärter mit ihren jeweiligen Familien. Ziemlich autark lebten sie, fischten, hatten Schweine und bauten Obst und Gemüse an. Über den Leuchtturmführerpfad durch die Wiesen gingen die Kinder zur Schule. „Die Mutti mit dem SUV, die ihre Kinder 500 Meter zur Schule fahren, hat es damals noch nicht gegeben“, so Jürgen Birkigt.

Ein noch bis in die 1980er Jahre genutztes Gästezimmer im Leuchtturm.
Ein noch bis in die 1980er Jahre genutztes Gästezimmer im Leuchtturm. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES

Momentan ist der 45 Zentimeter schmale Weg, der sogenannte Stockenstieg, für die Öffentlichkeit gesperrt. Von Juni bis September können Besucher ihn aber nutzen. Häuser und Turm stehen auf einer Warft zum Schutz gegen die Fluten. Weil der Untergrund so weich ist, wurde der Turm auf 127 Eichenpfählen mit einer Länge von jeweils 7,70 Metern gebaut. Noch mehr Zahlen sind nötig, um den Leuchtturm zu beschreiben: Der Sockel aus Stahlbeton ist bis zu 60 Zentimeter dick.

Nordsee: Im Leuchtturm kann geheiratet werden

Der Turmschaft besteht aus rund 600 miteinander verschraubten, gusseisernen Mantelplatten. Das Laternenhaus ist eine Stahlkonstruktion mit Stahlblechverkleidung und einem Kupferdach. Das alles weiß Jürgen Birkigt und noch viel mehr. Der Westerhever Turm ist übrigens baugleich mit den Leuchtfeuern auf Pellworm und dem Leuchtfeuer in Hörnum auf Sylt.

Dann geht es in Filzpantoffeln die Holzstufen im engen Treppenhaus die neun Etagen hinauf zur Aussichtsplattform – vorbei am Trauzimmer, in dem Besucher heiraten können, vorbei an einem Schlafzimmer, das es so zwar nicht im Leuchtturm gegeben hat, aber nebenan im Leuchtturmwärterhaus.

Blick geht in klaren Nächten weit bis nach Helgoland

Achtung! Die Plattform ist nur etwas für Schwindelfreie, denn am Boden kann man durch Löcher hinunter auf die Erde schauen. Aber es lohnt sich, dort hinauszugehen: diese Weite, die salzige, frische Luft! Da sind die Pfahlbauten von St. Peter-Ording zu sehen und der weite Strand, weiter rechts Pellworm und die Halligen, „in einer glasklaren kalten Winternacht könnte man sogar den Leuchtturm von Helgoland, 55 Kilometer weit weg, sehen“, so Birkigt.

Der Westerhever Leuchtturm ist weithin sichtbar – ein Wahrzeichen.
Der Westerhever Leuchtturm ist weithin sichtbar – ein Wahrzeichen. © dpa-tmn | Tanja Weinekötter

„Dabei ist es eher das indirekte Licht durch die Erdkrümmung.“ Die Halbinsel Eiderstedt mit ihren 18 Turmspitzen ist zu erkennen. „Mit diesen 18 Kirchen und 11.500 Einwohnern hat Eiderstedt eine der größten Kirchendichten Europas, hier im prostantischen Nordfriesland.“

Westerhever Leuchtturm "ist ein Leitfeuer“

Es gibt Leitfeuer und Seefeuer. „Wir sind ein Leitfeuer“, so Birkigt. Jeder Leuchtturm hat eine individuelle Kennung. Seefeuer dienen der Orientierung, Leitfeuer leiten ein Schiff zu einem Ziel. „Unser Leuchtturm hat die Aufgabe, alle Schiffe nach Husum zu leiten.“ Wie funktioniert das?

„Wir stellen uns vor, wir sind Kapitän oder Kapitänin eines Kutters und wollen in unseren Heimathafen Husum. Wir kommen von der Doggerbank vor England und haben Hering gefangen. Husum ist durch den Heverstrom über das Wattenmeer mit der Nordsee verbunden. Wenn wir weiß angeleuchtet werden, kommen wir sicher in die Mündung des Heverstroms. Werden wir rot angeleuchtet, wissen wir, wir sind zu weit nach Norden gedriftet, bei Grün zu weit in den Süden.“

Leuchtturmwärter brauchten viele Fähigkeiten

Wie das Feuer zustande kam? Eine Dieselmaschine hat einen Dynamo angetrieben – der so produzierte Storm durchlief zwei Kohlestäbe. Der dadurch entstandene Lichtbogen wurde durch die spezielle Linse hinausgeschickt. Die Kohlestäbe waren nach neun Stunden verbrannt und mussten schnell ausgetauscht werden – einer der wichtigen Jobs von Leuchtturmwärtern.

„Die Jungs hatten viel mehr drauf. Einer der ersten Leuchtturmwärter war gelernter Maschinist, andere waren Elektromonteure. Jeder hatte eine abgeschlossene Berufsausbildung. Sie mussten die Optik in Ordnung, den Leuchtkörper instand halten, sie mussten wetter- und schifffahrtskundig sein, Maschinen reparieren und den Dieselmotor und den von ihm angetriebenen Stromdynamo am Laufen halten. Die hatten viel um die Ohren.“

Jürgen Birkigt: So haben Leuchtturmwärter gearbeitet
Jürgen Birkigt: So haben Leuchtturmwärter gearbeitet

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    Nordsee: Leuchtfeuer wird mit Lampen entfacht

    Anders als früher mit Kohlestäben wird das Leuchtfeuer heutzutage mit modernen 2000 Watt Hochdruck-Xenon-Lampen entfacht. Betriebsdauer: 3000 Stunden. Das Licht reicht 40 Kilometer weit hinaus in die Nordsee. Das Wasser- und Schifffahrtsamt in Tönning wartet die Lampen des Westerhever Leuchtturms und die vieler anderer Leuchtfeuer. Der letzte Leuchtturmwärter war Heinrich, genannt „Hein“, Geertsen. Geertsen ist in diesem Jahr im Alter von 86 verstorben.

    Pandemiebedingt finden derzeit keine Führungen statt. Wenn alles gut geht, ist für Ostern die Öffnung für Besucher geplant. Alle Infos gibt es unter www.westerhever-nordsee.de.