Sylt. Ein neues Buch erzählt von Menschen, die seit vielen Jahren in dem Nobelort zu Hause sind. Auch der Tourismus wird kritisch betrachtet.
Eine klassische Dorfchronik sollte es nicht werden. Und tatsächlich ist das Buch „Mensch, Kampen“ auch alles andere als eine Aneinanderreihung historischer Daten und Fakten. Es erzählt vielmehr von 24 Kampener Originalen. „Es gibt so viele tolle Geschichten im Dorf, die Alten erzählen immer viel. Aber wenn die tot sind, erzählt sie keiner mehr“, sagt Steffi Böhm, die Bürgermeisterin von Kampen auf Sylt. Es sei ihr ein Herzensanliegen gewesen, diese Geschichten gesammelt zu wissen. Die Gemeinde Kampen fungiert als Herausgeber des Bandes.
Gemeinsam mit der Autorin Imke Wein habe sie die 24 Personen ausgesucht, die eine enge Verbindung zu dem Inselort haben, sagt Steffi Böhm. „In diesem Buch stehen Menschen im Mittelpunkt. Kampener und Kampianer. Menschen, die hier seit Generationen verwurzelt sind und solche, die hier ihr Zuhause gefunden haben. Unsere Originale. Solche Typen müsste man erfinden, wenn es sie nicht schon gäbe. Individuell bis zum Anschlag, kantig und ohne Ende liebenswert. Eine kostbare Spezies, die längst auf der ,Roten Liste‘ steht“, so die Bürgermeisterin.
Sylt: Buch beschreibt die Entwicklung von Kampen
Der eine oder andere habe sich inzwischen schon beschwert, weil er nicht ins Buch aufgenommen wurde. 520 Bürger mit Erstwohnsitz habe der Ort, „aber wir wollten ja ein Buch, das man noch bequem etwa auf einer Liege lesen kann“. Deshalb, aber auch wegen der Kosten habe man den Umfang begrenzen müssen. Sie fügt hinzu: „Ich bin total verliebt in das Buch.“
Im Vorwort schreibt Böhm, das Buch künde davon, wie der Fremdenverkehr in Kampen in den letzten 130 Jahren Wohlstand, neue Gedanken und Lebensformen in den Ort brachte. Die zweitälteste Frau von Kampen, ihre Schwiegermutter, könne sich noch erinnern, wie das Dorf in den 1920er- und 1930er-Jahren zum Mekka von Künstlern und Mächtigen wurde. So wie sie mit ihrer Schwiegermutter stöberten auch die anderen Porträtierten in ihren Familienalben –, und entsprechend enthält das Buch neben aktuellen Aufnahmen auch jede Menge Fotos aus den vergangenen Jahrzehnten.
Wie Greg Baber in Kampen sesshaft wurde
Die Ausgewählten gehören laut Steffi Böhm zum Dorf, weil sie Anteil daran hätten, „wie Kampen zu dem geworden ist, was es ist, und weil sie Kampen lieben“. Und so sind auch Menschen wie die Strickdesignerin Iris Arnim Teil der Geschichten. In ihrem Haus im Süden Kampens schätze sie die Einsamkeit, wenn sie nicht gerade in ihrem Geschäft am Strönwai ist, sagt von Arnim. „Manchmal blicke ich auf mein Leben und bin damit vollkommen einverstanden“, sagt von Arnim, die viele Wochen im Jahr auf der Insel verbringt.
Wer in Kampen schon mal Urlaub gemacht hat, kennt unweigerlich auch Greg Baber. Der Mann aus Seattle kam in den 1970er-Jahren nach Sylt, heuerte als „Mädchen für alles“ an, wurde schließlich „Strandchef“ und war verantwortlich für die Infrastruktur am Strand – inklusive Kurkartenkontrolleuren, Rettungsschwimmern und Strandkorbwärtern. Seit 2019 ist der mehrfache Vater, der inzwischen auch Großvater ist, im Ruhestand. Wie es ihm von den Anfängen, als ihn die Liebe auf die Nordseeinsel führte, bis heute ergangen ist, ist wunderbar zu lesen.
Auch der einzige Landwirt von Kampen hat seinen Auftritt
Pius Regli, Wirt des Restaurants Manne Pahl, landete 1978 nicht wegen der Liebe auf Sylt, sondern nachdem er den Spielfilm „Heißer Sand auf Sylt“ mit Horst Tappert gesehen hatte. Doch es war April, und sein erster Eindruck von Kampen habe so gar nichts mit dem leichten Leben, leicht bekleideten Blondinen, mit Sommer und Sonne wie im Film zu tun gehabt, erinnert sich der gebürtige Schweizer. Wie es dann kam, dass er an diesem ersten Abend auf der Insel zusammen mit einem Immobilienmogul fünf Flaschen „Roederer Cristal“ leerte und nun schon so viele Jahre in Kampen lebt, wird ausführlich und amüsant erzählt.
Der einzige Landwirt, den es in Kampen noch gibt, ist Jörg Runkel. „Ich kann behaupten, dass ich nichts falsch gemacht habe bei der Berufswahl. Vor allem, wenn ich bei schönem Wetter auf dem Trecker sitze mit Blick aufs Watt – herrlich“, sagt der Bauer. Seine Belted-Galloways weiden rund um den Leuchtturm. Seine Kunden wissen genau, welchen Teil von welchem Tier sie bekommen, wenn sie bei ihm Fleisch bestellen.
„Wir sind hier so verwurzelt“
Laut Manne-Pahl-Wirt Pius Regli sind diese Tiere die einzigen weltweit, die sich optisch an ein Gebäude angepasst hätten. „Gallomäleons“ sozusagen. Einziger Unterschied: Die Rinder sind schwarz mit weißer Bauchbinde, der „Lange Christian“, der Leuchtturm von 1855 genau andersrum. Mit Kartoffeln und Heu verdiene er sein Geld, die Galloways seien eher Liebhaberei, sagt er. Wie seine Nachbarn alles zu verkaufen und nach Mallorca umzusiedeln, kann sich Runkel nicht vorstellen. „Wir sind hier so verwurzelt“, sagt der Kampener.
Gerd Böhm, Innenarchitekt und Schwager der Bürgermeisterin, erinnert sich noch gut an seine Kindheit – er hatte sechs Geschwister. „Die Böhms waren im Dorf die kinderreichste Familie. Nur in den Baracken im Süden Kampens lebten unmittelbar nach dem Krieg einige Flüchtlingsfamilien mit ähnlich vielen Kindern.“ Im Winter hätten die Böhm-Kinder im Haus gelebt, im Sommer in der Garage, berichtet Gerd Böhm, denn die Familie beherbergte Badegäste. Das Haus Margarete ist immer noch im Familienbesitz. Viele Kampener Familien hätten jedoch ihr Haus im Ort verkauft.
Sylt: Häuser werden nur sporadisch bewohnt
„Zu jedem Verkauf gibt es eine individuelle Geschichte, und man kann niemanden verurteilen. Aber der Wandel ist hausgemacht und einfach nicht wieder zurückzudrehen. Es sei denn, Kampen gerät irgendwann völlig aus der Mode oder so was. Aber voraussichtlich werden die meisten Häuser hier im Dorf auch künftig nur sporadisch bewohnt – von Gästen und Zweithausbesitzern.“ Lutz, Gerd Böhms jüngster Bruder, übernahm das Elternhaus vor 30 Jahren und lebt dort mit Steffi Böhm, der Kampener Bürgermeisterin – Mutter Ilse Böhm hat lebenslanges Wohnrecht.
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Steffi Böhm ist den Porträtierten dankbar, dass sie „die Ambivalenz des Tourismus benennen und sich kritisch mit der Entwicklung der letzten Jahrzehnte auseinandersetzen. Und somit ist dieses Buch mehr als vergnüglicher Lesestoff“, so die Bürgermeisterin. „Es ist ein Appell an uns, alles dafür zu geben, Kampens Seele zu erhalten. Damit es auch in Zukunft ein Zuhause für Insulaner sein kann.“
Das Buch, das in einer Auflage von 3000 Stück gedruckt wurde, wird bislang nur in ausgewählten Geschäften auf Sylt verkauft. Es kostet 29,90 Euro.