Schleswig-Holstein. Haben die Einwohner von den Menschenmassen genug? Der Bürgermeister sorgt sich um die Dorfgemeinschaft – es muss eine Lösung her.

Als Jürgen Ritter vor gut einem halben Jahr sein Amt als Bürgermeister von St. Peter-Ording antrat, endete zugleich der Lockdown. Nach dem 1. Mai waren Urlauber im beliebten Nordseebad wieder willkommen. St. Peter öffnete sich Besuchern – als eine von vier Tourismus-Modellregionen im Land. Gastronomen und Hoteliers hatten den Tag herbeigesehnt, etliche Bewohner ihn gefürchtet: Mit der Beschaulichkeit der zurückliegenden Monate war es auf einen Schlag wieder vorbei.

Zu den etwa 4000 Einwohnern der Gemeinde und den etwa 5000 Zweitwohnungsbesitzern – darunter viele Hamburger, die fast jedes Wochenende kommen – gesellen sich nämlich wieder unzählige Tagesbesucher und Übernachtungsgäste. „Der Tagestourismus ist das, was man beim Verkehr vor allem merkt. Das ist eine zusätzliche Belastung“, sagt der parteilose Bürgermeister Jürgen Ritter. Das könne man nicht schönreden. Schon im Wahlkampf im vergangenen Jahr sei die Entwicklung der vergangenen 15 Jahre das große Thema bei allen fünf Kandidaten gewesen. Es entstanden etliche neue schicke Hotels, auch wenn die Zahl der Gästebetten kaum stieg, die Zahl der Gäste wuchs kontinuierlich, „aber im selben Zeitraum ist der Bürger auf der Strecke geblieben“, sagt der neue Verwaltungschef.

Nordsee: Welchen Einfluss hat der Tourismus auf St. Peter Ording?

Viele alteingesessene Bewohner sind von der Situation gerade an den Wochenenden im Sommer genervt. „Zum Einkauf fahren wir dann nach Garding oder gar nach Tönning. Denn schon vor den Parkplätzen der Supermärkte und Discounter in Bövergeest bilden sich lange Schlangen. Auch die Läden selbst sind tagsüber überfüllt“, sagt ein Anwohner dem Abendblatt. Wartezeiten von 20 Minuten vor Bäckereien seien keine Seltenheit.

Jürgen Ritter, Bürgermeister St. Peter-Ording.
Jürgen Ritter, Bürgermeister St. Peter-Ording. © Michael Gehring | Michael Gehring

In Restaurants seien oft Tage im Voraus keine Plätze zu bekommen. Die Parkplätze in Strandnähe seien genauso überfüllt wie die Straßen. Viele Menschen in St. Peter freuten sich regelrecht auf Herbst und Winter, wenn der Ansturm der Urlauber und Tagesgäste „endlich nachlässt“. Wer nicht unmittelbar vom Tourismus und den Gästen lebt, könne in der Rückschau sogar dem Lockdown bis Mai positive Aspekte abgewinnen.

Studie: Thema trifft den Nerv der Einwohner

„Auch wenn es teilweise eine eher gespenstische Ruhe war und man nicht wusste, wie es weitergeht – aber wir hatten St. Peter endlich mal für uns“, sagt eine Bewohnerin. Selbst Zweitwohnungsbesitzer meiden im Hochsommer den Aufenthalt, es sei „vor allem am Wochenende einfach zu voll, um die Zeit am Meer genießen zu können“.

Eine Akzeptanzstudie, die das Institut für Tourismus und Bäderforschung (NIT) im Auftrag der Tourismus-Zentrale St. Peter-Ording im Mai und Juni 2020 durchgeführt hatte, ergab, dass es nach Ansicht der Bevölkerung jedenfalls nicht noch mehr Touristen werden sollten. Bei der Studie ging es vor allem darum, welchen Einfluss der Tourismus auf das Leben in St. Peter-Ording hat und wie die Bevölkerung zum einheimischen Tourismus steht.

Insgesamt wurden dazu 3554 Fragebogen an alle Einwohner ab 16 Jahre verteilt, 1315 von ihnen beantworteten die Fragen. „Der Rücklauf von 37 Prozent ist sehr hoch“, sagte Bente Grimm vom NIT in Kiel damals, „das lässt darauf schließen, dass die Einwohner das Thema Tourismus sehr bewegt.“

St. Peter Ording: Zahl der Übernachtungen auf 2,6 Millionen gestiegen

Bei der Frage nach den persönlichen Auswirkungen des Tourismus gaben mehr als 40 Prozent der Befragten an, dass dieser eher bzw. überwiegend negative Effekte habe. 97 Prozent fanden, dass der Tourismus die Verkehrsprobleme im Ort vergrößert, also für Staus sorgt oder die Parkplatzsuche erschwert. Zudem fanden fast alle Einwohner, dass es durch die Touristen auf den Wegen, beim Einkaufen und in Restaurants zu voll ist und dass die Besucher die Preise im Ort in die Höhe treiben.

68 Prozent waren der Meinung, dass zu viele Touristen den Ort bevölkern. Vor allem Tagesausflügler und Touristen mit Hund flanieren offenbar zu zahlreich durch St. Peter-Ording. Weniger als die Hälfte der Befragten gab hingegen an, dass die Zahl der Übernachtungsgäste zu hoch ist. „Der Tourismus in St. Peter-Ording polarisiert, insbesondere hinsichtlich der persönlichen Auswirkungen, und spaltet dadurch den Ort“, sagte Bente Grimm vom Institut NIT.

Zweitwohnungsbesitzer sorgen für hohe Immobilienpreise in St. Peter Ording

Verzeichnete der Ort vor 15 Jahren noch 1,2 Millionen Übernachtungen, so sei man jetzt bei etwa 2,6 Millionen, sagt Bürgermeister Ritter. Im Vorjahr waren es pandemiebedingt etwas weniger, nämlich 2,33 Millionen Übernachtungen. „Bisher können wir für das Jahr 2021 feststellen, dass wir uns in Bezug auf die Übernachtungszahlen auf dem Vorjahresniveau befinden. Diese Entwicklung stimmt uns insbesondere deshalb positiv, weil wir aufgrund des andauernden Lockdowns von November 2020 mit wenig positiver Erwartung in das Jahr 2021 gestartet sind“, sagt der Bürgermeister.

Jürgen Ritter sieht aber vielfältige Herausforderungen, für die es eine Lösung zu finden gelte. Die Zahl der Einwohner sei über die Jahre weitgehend gleich geblieben, sagt er. Darunter seien viele Zweitwohnungsbesitzer, die zu Bürgern geworden seien, häufig erst nach Renteneintritt. „Die hätten den Ort gern für sich“, sagt der neue Bürgermeister. Die vielen Zweitwohnungsbesitzer seien es aber auch, die für die hohen Immobilienpreise verantwortlich sind: „Das macht es denen, die hier arbeiten, unmöglich, Eigentum zu erwerben.“ Für die Dorfentwicklung und die -gemeinschaft werde das zum Problem. „Der Elektroinstallateur, der hier arbeitet, aber weiter in Tönning lebt, geht hier nicht zur Freiwilligen Feuerwehr. Der Sportlehrer am Gymnasium, der außerhalb wohnt, fehlt mir abends als Fußballtrainer.“

Angebote für jede Altersklasse erhalten und schaffen

Er wisse daher nicht, wie lange es noch eine Freiwillige Feuerwehr gebe und ob man irgendwann Bürger dienstverpflichten müsse, wie das in anderen Kommunen schon der Fall ist. Noch gebe es mit Kita, Grundschule und der Nordseeschule, die auch einen gymnasialen Zweig hat, alle Schulformen, das sei ein positives Standortmerkmal, „aber wir müssen zusehen, dass wir die Einwohnerzahl erhöhen mit kinderreichen Familien, damit wir unseren Schulstandort sichern“, sagt der Bürgermeister. „Ich muss gucken, dass wir die Infrastruktur erhalten können.“ Nötig seien auch der Neubau eines Gesundheitszentrums, einer neuen Rettungswache und einer Polizeiwache. Auch über neue Pflegeeinrichtungen und Mehrgenerationenangebote denke man nach.

Ritter ist im Austausch mit Vertretern der Gemeinde Sylt und Timmendorfer Strand, die ja ähnliche Probleme hätten, nur schon ein paar Jahre länger, um von ihnen zu lernen, wie sie die Dinge angehen. So sei das Thema Wohnungsbau von enormer Bedeutung, vor allem an bezahlbaren Wohnungen mangle es derzeit. Noch gibt es nach Angaben von Ritter Baugründe in Gemeindeeigentum.

Wie sichert man Wohnraum für die eigenen Bürger?

„Das schärfste Schwert, das wir ziehen können, ist, dass wir keinen Qua­dratmeter davon mehr veräußern“, sagt der Bürgermeister, der 15 Jahre als selbstständiger Projektentwickler tätig war, „oder allenfalls in Erbpacht. Wenn die Gemeinde selbst baue, sei das Problem, „dass man jedes Gewerk europaweit ausschreiben muss“. Das koste viel Zeit und die Angebotspreise enthielten nicht selten eine Art „Kommunenzuschlag“.

„Da kann man sich auch starke Partner suchen.“ Die Gemeinde plane auch, Neubaugebiete auszuweisen. Ritter sagt: „Meine Überzeugung ist, auch die dürfen wir nur in Erbpacht vergeben. Bisher ist der Plan, die etwa 50 Grundstücke in einem in Kürze zu erschließenden Neubaugebiet für Einfamilienhäuser und Doppelhaushälften zu verkaufen.“ Doch dann sei nicht gesichert, dass nicht in ein paar Jahren die Immobilien doch teuer weiterverkauft würden, statt den Wohnraum für die eigenen Bürger zu sichern.

Ausbau für Radverkehr geplant

Ein Dauerthema ist auch die Belastung durch die vielen Autos. Mit einem Verkehrsversuch hat die Kommune nun gute Erfahrungen gemacht. So wurde die Überfahrt an den Strand mit einer Einbahnführung neu geregelt. Die Zufahrt zum Strand erfolgte ausschließlich über die nördliche Deichrampe, dafür wurde am Ende der Utholmer Straße mit der Einmündung in die Straße Am Deich ein Kreisverkehr eingerichtet.

Diese Straßenführung funktioniert laut Ritter wunderbar und nehme viel Stress von der Straße. Die Regelung soll deshalb dauerhaft beibehalten werden, sagt er. Beim zweiten Projekt, die Pestalozzistraße in St. Peter-Dorf zur Fahrradstraße zu machen, seien die Meinungen geteilt. Man werde dort aber Optimierungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit einem im kommenden Jahr startenden Verkehrsversuch im Ortsteil ausprobieren. Außerdem werde man weitere Möglichkeiten für den Radverkehr schaffen, kündigte Ritter an, so soll beispielsweise der Radverkehr in der Straße Im Bad ausgebaut werden, auch an dem Abschnitt, der derzeit Einbahnstraße ist.

Ein leidiges Problem: Parkplätze

Ein weiteres wesentliches Problem sieht der Bürgermeister im Parkplatzsuchverkehr. „Jeder will gern in erster Reihe parken“, sagt er. Derzeit würden alle Parkräume in allen Ortsteilen katalogisiert, da niemand derzeit einen genauen Überblick habe, wo es sie gebe und wie sie bewirtschaftet werden. Je zentraler, desto teurer, so der Plan. Für die 1600 Einpendler, die zum Arbeiten in die Gemeinde kommen, müsse es aber weiterhin bezahlbare Plätze geben. „Die Preise müssen gestaffelt werden“, sagt Ritter.

Dabei hat der Ort mit dem Strandparken schon einen großen Vorteil gegenüber anderen Urlaubsorten. Bei gutem Wetter stehen im Ortsteil Böhl etwa 1000 Plätze am Strand zur Verfügung, am Ordinger Strand 4000 Plätze, aber witterungsbedingt seien sie nicht immer nutzbar, sagt der Bürgermeister. Im großen Parkhaus am Ortseingang gibt es ebenfalls 480 Plätze. Fälle wie jener kostenlose Parkplatz mit etwa 50 Stellplätzen in zentraler Lage sind ihm allerdings ein Dorn im Auge. Den nutzten viele Patienten einer nahe gelegenen Reha-Klinik. „Die stehen dann da drei Wochen, um die übersichtlichen Parkgebühren der Klinik zu sparen.“ Er habe zum Thema Parkraumbewirtschaft einen Experten zurate gezogen, um endlich System in das Thema zu bringen.

Mobilitätshubs als Touristen-Auffangbecken

Ritter hält auch große Auffangparkplätze am Ortsrand für eine Möglichkeit. Dazu stehe die Gemeinde in engem Austausch mit dem Wirtschaftsministerium in Kiel. Vorstellbar seien sogenannte Mobilitätshubs, wo man dann beispielsweise auf großen Parkplätzen am Ortseingang kostenlos parken und für die Weiterfahrt auf kostenlose Shuttle-Busse umsteigen oder Räder mieten könne. Ende November werde er dazu mit dem Ministerium in engen Austausch treten, kündigte Jürgen Ritter an.

Der Bürgermeister lobt auch die Zusammenarbeit von Politik und Verwaltung innerhalb der Gemeinde. „Mir und den Fraktionen ist klar, wir müssen liefern“, sagt Ritter, „Der Bürger will konkrete Konzepte.“ Der Gemeinde gehe es glücklicherweise wirtschaftlich gut, sie habe noch Gestaltungsspielraum. Und den will er gemeinsam mit der neuen Tourismuschefin Katharina Schirmbeck nutzen, die fast gleichzeitig mit ihm ihr Amt angetreten hat.

Einheimische müssen Tourismus mittragen

Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) hatte kürzlich beim Tourismustag, dem großen Branchentreffen, für Akzeptanz des Tourismus in Schleswig-Holstein geworben. „Wir müssen die Einheimischen mitnehmen und dafür sorgen, dass die Menschen, die vor Ort leben und arbeiten, es wichtig finden, dass Tourismus stattfindet, und sie sich nicht genervt abwenden und sagen: Wir wollen hier eigentlich keinen Tourismus“, sagte der Politiker.

Er betonte das volkswirtschaftliche Gewicht der Branche im Norden: „160.000 Menschen bei uns leben vom Tourismus. Fünf bis sieben Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes sind Tourismus.“ Um die Qualität hochzuhalten, brauche die Branche immer wieder neue Ziele und auch neue Beherbergungsbetriebe. „Deshalb ist ein neues Hotel per se auch nichts Schlimmes, und es gehen ja auch immer viele Bettenkapazitäten aus dem Markt.“ Wachstum durch Qualität sei nur mit neuen Einrichtungen möglich.