Quickborn/Itzehoe. Frühere Aussagen, die die Angeklagte Irmgard F. als Zeugin gemacht hatte, dürften nicht benutze werden, so ihr Anwalt.

Irmgard F. errichtet eine Mauer des Schweigens um sich. Am vierten Prozesstag gegen die ehemalige KZ-Sekretärin vor dem Landgericht Itzehoe stellte der Verteidiger der 96-jährigen Quickbornerin am Dienstag klar, dass frühere Zeugenaussagen seiner Mandantin nicht herangezogen werden dürfen. Das macht die Lage für den Historiker Stefan Hördler nicht einfacher, der in seinem Gutachten diese Angaben der Angeklagten – ihr wird Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen vorgeworfen – eingearbeitet hatte.

Prozesstag darf jeweils nur zweieinhalb Stunden dauern

Hördler hatte Dienstag bereits zum zweiten Mal das Wort – zum Unwillen der Nebenklage-Vertreter und des Verteidigers Wolf Molkentin. Der Kammervorsitzende Dominik Groß hat das sehr umfangreiche Gutachten des Sachverständigen an den Beginn des Prozesses gesetzt. Aufgrund des angegriffenen gesundheitlichen Zustands der Angeklagten kann pro Prozesstag maximal zweieinhalb Stunden getagt werden, sodass die Ausführungen des Historikers mehrere Verhandlungstage in Anspruch nehmen. Das würde bedeuten, dass die Zeugenaussagen der Stutthof-Überlebenden und ihrer Hinterbliebenen frühestens kurz vor Weihnachten möglich wären.

Überlebende sollen möglichst rasch befragt werden

Zu spät – sagt Nebenklage-Anwalt Christoph Rückel, der in dem Verfahren sechs Nebenkläger vertritt. Er stellte den Antrag, die Gutachtenerstattung des Historikers nach diesem Termin abzubrechen und erst die Zeugen zu hören. Es handele sich um sehr betagte Zeugen, die schnellstmöglich einvernommen werden müssten. Die Kammer riskiere bei Beibehaltung ihres Zeitplans das Versterben der Zeugen, so Rückel.

Zwei seiner Mandanten seien in der Lage, persönlich vor dem Gericht auszusagen, eine dritte Zeugin stünde per Videovernehmung bereit. Alle drei würden eindringlich die menschenunwürdigen Zustände in dem Konzentrationslager Stutthof beschreiben. Die Kammer hat über den Antrag noch nicht entschieden.

Historiker erläutert vor Gericht Struktur des KZs

Daher konnte Hördler seinen Vortrag über die Organisation und Struktur des Lagers Stutthof fortsetzen. Der Dozent an der Universität Göttingen gilt als Spezialist für die Konzentrationslager und referierte über den Aufbau und die verschiedenen Abteilungen in Stutthof.

Am Dienstag ging es vor allem um die Rolle der Frauen im KZ-System, das unter der Verwaltung der SS stand. Hördler machte deutlich, dass die SS nur Männer aufnahm – mit Ausnahme der sogenannten SS-Helferinnen, die an der Reichsschule der SS im Elsass ausgebildet und per Gelöbnis in die sogenannte Sippengemeinschaft aufgenommen wurden. Irmgard F., die vom 1. Juni 1943 bis zum 1. April 1945 als Stenotypistin in der Lagerkommandantur in Stutthof tätig war, tat dies als Zivilangestellte.

Die KZ-Sekretärin wurde nach Tarif bezahlt

Hördler machte deutlich, dass diese Gruppe keine Uniform trug und nach der Tarifordnung des öffentlichen Dienstes entlohnt wurde. Jedoch hätten auch die Zivilangestellten direkt der SS unterstanden, weil sie sich schriftlich verpflichten mussten, sich der Sonderstrafgerichtsbarkeit der SS und der Polizei zu unterwerfen. Alle weiblichen Zivilangestellten hätten vor der Eheschließung eine Heiratserlaubnis einholen müssen, die allein nach rassischen und erbgesundheitlichen Gründen erteilt oder verweigert wurde.

Der Historiker zitierte aus damals geltenden tarifvertraglichen Bedingungen, wonach Stenotypistinnen nicht nur die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrschen, sondern auch Dienstgeheimnisse bewahren und in der Lage sein mussten, den diktierten Text zu erfassen und zu verstehen.

Aussagen gesperrt – Angeklagte muss sich nicht selbst belasten

Welche konkrete Tätigkeit die Angeklagte als rechte Hand des damaligen Lagerkommandanten Paul Werner Hoppe tatsächlich ausübte, darauf ging Hördler noch nicht ein. Irmgard F. hat dazu selbst mehrere Aussagen gemacht – nach Angaben ihres Verteidigers in den Jahren 1954, 1964, 1966 und 1982. Damals galt die heute 96-Jährige als Zeugin. Weil sie sich nunmehr als Angeklagte nicht selbst belasten muss, konnte sie der Verwendung der Angaben widersprechen. Der Prozess wird nächste Woche fortgesetzt.