Kiel. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident lehnt die geplanten Ausgangsbeschränkungen ab – will sie aber wohl umsetzen.

Schleswig-Holstein ist derzeit das einzige Bundesland, das die Debatte über die neue Bundesnotbremse bei einer Corona-Inzidenz von mehr als 100 gelassen verfolgen kann. Laut Robert-Koch-Institut liegen die sieben Stadt- und Landkreise mit der bundesweit niedrigsten Inzidenz allesamt im Norden: Nordfriesland, Schleswig-Flensburg, Plön, Flensburg und Rendsburg-Eckernförde, Dithmarschen und Lübeck (Inzidenz zwischen 36,8 und 59,6).

Allerdings gibt es ganz im Südosten des Landes, bei Hamburg, schon seit Wochen einen Kreis, der das freundliche Corona-Lagebild im Norden eintrübt: der Kreis Herzogtum Lauenburg mit einer Inzidenz von (am Montag) 127,8. Am Dienstag sprang auch der Kreis Stormarn erstmals über 100. Ob es nun Ausgangssperren geben wird, blieb am Dienstag nach einer Debatte im Kieler Landtag offen.

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes, sollte es in der derzeitigen Fassung von Bundestag und der Länderkammer verabschiedet werden, brächte neben der Bundesnotbremse noch weitere Veränderungen. Denn derzeit bleiben in Schleswig-Holstein auch bei einer Inzidenz von mehr als 100 Baumärkte und Nagelstudios offen – eine schleswig-holsteinische Sonderregelung, die zu den Merkwürdigkeiten gehört, die ein kreativer Föderalismus im Verlauf der Pandemie geschaffen hat. In der Landtagsdebatte über das neue Gesetz ging es am Dienstag aber nicht um Nagelstudios, sondern um ein kräftiges Klopfen auf die eigenen Schulter.

Corona: Günther dankt Hamburg und tadelt andere Länder

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sagte über die neuen Corona-Regeln: „Wir hätte sie nicht gebraucht.“ Die meisten Maßnahmen seien in Schleswig-Holstein längst umgesetzt. Andere Länder hätten dies nicht getan, so Günther. „Ich habe mich schon darüber gewundert, wie wenig konsequent dort teilweise gehandelt wird.“ Er verwies darauf, dass Schleswig-Holstein mit seinem bundesweit niedrigsten Inzidenzwert von rund 72 gut dastehe. Der sei vor allem dem disziplinierten Verhalten der Bürger geschuldet.

Auch die Lage in den Kliniken sei besser als im Bund. „Unser Nachbar Hamburg hilft da auch“, sagte Günther. „Ein Drittel der Corona-Patienten, die dort behandelt werden, stammen aus anderen Bundesländern ­– auch aus Schleswig-Holstein. Dafür will ich mich ausdrücklich bedanken.“

Günther: Ausgangssperre nur in Städten sinnvoll

Etwas unklarer war Günthers Aussage zur Ausgangssperre zwischen 22 und 5 Uhr, die nun bei Überschreiten des 100er-Werts gelten soll. Sie ist im Norden erst einmal und dann auch recht spät ausgesprochen worden ­– in Flensburg. Die Inzidenz hatte sich damals der 200er-Grenze angenähert.

Günther sagte nun, eine solche Sperre sei nur in großen Städten, aber nicht in ländlichen Regionen wirkungsvoll. „Eine generelle Sperre ab einer Inzidenz von mehr als 100 halten wir deshalb nicht für angemessen“, sagte der Ministerpräsident. Ein regionales Vorgehen sei weiter wichtig. Dabei entstünde kein „Flickenteppich“, wie etwa „Berliner Journalisten“ behaupteten. Ganz im Gegenteil: Solche Maßnahmen machten Sinn.

Ausgangsbeschränkungen? Jamaika-Koalition uneins

In der Jamaika-Koalition gibt es in dieser Frage allerdings keine Einigkeit. Eka von Kalben, Fraktionschefin der Grünen im Landtag, sagte dazu: „Viele blicken bei der Vielzahl der regionalen Corona-Regeln nicht mehr durch. Deswegen ist es gut, dass es nun eine bundesweite Regelung gibt.“

Der dritte Partner im „Jamaika“-Bund, die FDP, lehnt die Novellierung rundheraus ab. „Das Ergebnis ist nicht zustimmungsfähig“, sagte Fraktionschef Christopher Vogt. „Die Ausgangssperre halten wir für verfassungswidrig. Ich finde die Vorstellung sehr beklemmend, dass ich zu bestimmten Zeiten mein Grundstück nicht verlassen darf.“ „Verfassungswidrig“ – ein starker Vorwurf, der im Landtag gestern nur von AfD-Abgeordneten geteilt wurde.

Stegner macht Spahn Vorwürfe

Auch der SPD-Fraktionschef Ralf Stegner kritisierte die neuen, bundeseinheitlichen Regelungen. „Die Erzählung, der Föderalismus und die Länder hätten versagt und nun müsse die harte, ordnende Hand des Bundes oder der Frau Bundeskanzlerin das alles richten, ist ein Märchen, das mit der Realität nun wirklich gar nichts zu tun hat“, sagte er. „Die grundsätzlichen Ursachen für die hochgradig unbefrie­di­gende Situation, die wir gerade erleben, liegen bei allen re­gionalen Torheiten eben nicht bei den Ländern und Kommu­nen.“ Die Ver­säum­nisse bei der Impfstoffbeschaffung habe Bundesminister Jens Spahn (CDU) zu verantworten. Die dadurch verursachte monatelange Verzögerung der Impfungen koste Menschenleben.

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Im Kreis Herzogtum Lauenburg blickt man derweil mit Sorgen, aber auch mit leisem Optimismus auf die täglichen Inzidenzzahlen. Am vergangenen Mittwoch lag der Wert bei 160, am Montag fiel er auf 127,8. „Ich hoffe, er sinkt noch weiter“, sagt Kreissprecher Tobias Frohnert. Vielleicht ja auf weniger als 100.

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