Westerland. Eine Anwohnerklage hatte Erfolg, nun fürchtet der Airport, neue Grenzwerte nicht einhalten zu können, wenn die Passagierzahlen steigen.
Wie geht es weiter mit dem Sylter Flughafen? Nach einem Jahre währenden Rechtsstreit hat das Oberlandesgericht Schleswig dem Airport im September untersagt, einen Dauerschallpegel von 55 dB(A) zu überschreiten. 55 dB(A): Das ist die Lautstärke eines normalen Gesprächs. Muss der Sylter Airport jetzt zum weltweit ersten Flüsterflughafen werden?
Einstweilen gilt dieses Urteil nur für die beiden Klägerinnen. Die eine besitzt ein Hausgrundstück in Keitum, die andere hat dort Wohneigentum. Doch andere Nachbarn könnten nun wohl ähnliche Forderungen stellen. Peter Douven, der Geschäftsführer des Flughafens, sieht die Zukunft seines Unternehmens gefährdet. „Wenn die Zahl der Passagiere steigt, könnten wir mit dem neuen Grenzwert ein Problem bekommen“, sagt er.
Zahl der Passagiere am Sylter Flughafen soll steigen
Denn die Zahl der Passagiere soll ja steigen. 217.000 waren es im bislang besten Jahr des Unternehmens. 2011 war das, Überkapazitäten bei Air Berlin hatten zu dem Rekordwert geführt. 2014 nutzten 180.000 Fluggäste den Airport, 2018 waren es nur noch rund 130.000. Für dieses Jahr rechnet Douven mit einem kleinen Anstieg – „so um die drei Prozent“. Aber wenn es mal wieder Richtung 200.000 Passagiere gehen sollte – was dann?
Einerseits wäre das schön, denn derzeit liegt das jährliche Defizit des Westerländer Flughafens bei 800.000 Euro. Mehr Passagiere würden das Minus verkleinern – aber den Lärm vergrößern. Sind die 55 dB(A) dann noch einzuhalten? Um diese Frage beantworten zu können, wären komplizierte Berechnungen erforderlich. Der Dauerlärmpegel ist ein monatlicher Durchschnittswert. Er basiert auf einigen Messungen, die mit Hilfe mathematischer Formeln hochgerechnet werden. Der Pegel muss in jedem Monat des Jahres eingehalten werden. In den Wintermonaten ist das kein Problem. An manchen Tagen gibt es in Westerland nur zwei Starts und Landungen. Aber in den Sommermonaten?
Flughafenanwohnern die Möglichkeit zur Entspannung geben
Flughafenchef Douven ärgert sich besonders darüber, dass sich das Schleswiger Oberlandesgericht im Verfahren einen eigenen Grenzwert „gezimmert“ hat – mit Hilfe eines begutachtenden Diplompsychologen. Denn 55 dB sind deutlich weniger als die 60 dB, die bislang erlaubt waren. Ein Minus von nur drei DB(A) gilt als Lärmhalbierung.
Das Gericht hat dabei durchaus erkannt, dass „aus dem Flugbetrieb herrührende Geräuscheinwirkungen in gewisser Weise für die Nachbarschaft des Flughafens zumutbar sind, zumal aufgrund der Touristen und des dadurch bedingten gesteigerten Verkehrsaufkommens Sylt nicht als ruhige, ländlich geprägte Umgebung einzustufen ist.“ Außerdem sei „gerichtsbekannt“, dass die schienenmäßige Anbindung der Insel in den letzten Jahren „zunehmend an ihre Grenzen gestoßen“ sei. Gleichwohl solle, so heißt es im Urteil, aber auch den Flughafenanwohnern die Möglichkeit zur Entspannung im Haus und Garten geboten werden – „mithin auch die dazu jeweils notwendige, von Umweltgeräuschen möglichst ungestörte Ruhe“.
Gericht zog Psychologen als Gutachter hinzu
Doch welcher Lärmpegel garantiert eine erholsame Ruhe am Rand des Flughafens? Zur Beantwortung dieser Frage zog das Gericht einen Gutachter hinzu – eben jenen Diplompsychologen. Der hat, so ist das Gericht überzeugt, „gewichtige Anhaltspunkte“ dafür geliefert, dass „die Mehrzahl der Anwohner im Bereich des Flughafens Westerland/Sylt einen äquivalenten Dauerschallpegel von mehr als 55 dB(A) zwischen 6 und 22 Uhr als starke oder äußerste Fluglärmbelästigung empfindet“.
Und wie hat der Gutachter das ermittelt? Naheliegend wäre es wohl gewesen, die Flughafenanwohner zu befragen. Doch das ist nicht geschehen. Stattdessen hat der Psychologe etwas gemacht, was das Gericht so beschreibt: „Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass die Streuung von Expositions-Wirkungskurven zum Prozentanteil stark oder äußerst Fluglärmbelästigter in Abhängigkeit von Mittelungspegeln zwischen Studien an verschiedenen Flughäfen ein empirischer, weltweit anzutreffender Tatbestand sei.“
Flughafenchef kritisiert die Vorgehensweise
Da es keine Untersuchung zur Fluglärmbelästigung am Sylter Airport gibt, hat sich der Gutachter einer internationalen Lärmstudie der WHO bedient und mit Studien zu den Flughäfen Frankfurt, Berlin/Brandenburg, Köln/Bonn und Stuttgart verglichen. Um dann „in bestmöglicher Abschätzung“, so das Gericht, davon auszugehen, dass auf Sylt ein Dauerschallpegel von 55 dB(A) nicht überschritten werden sollte.
Flughafenchef Douven kritisiert dieses Vorgehen. „Hier wird aufgrund von Gefühlen ein neuer Grenzwert gesetzt“, sagt er. „Dieses Rechtsempfinden ist für mich problematisch.“ Der Senat habe offenbar großen Wert auf eine „psychologische Betrachtung“ gelegt.
In der ersten Instanz gewann der Flughafen
Der Flughafen Sylt gehört zur Insel Sylt Tourismus-Service GmbH, die die Kur- und Tourismusabgaben auf der Insel einzieht. Rund 14,7 Millionen Euro waren das im vergangenen Jahr. Trotz der 800.000 Euro Defizitausgleich für den Flughafen blieb ein Jahresüberschuss von 2,8 Millionen Euro übrig. Gute Zahlen. Aber wie geht es weiter? Die Insel lebt nun einmal allein vom Tourismus, weiß Peter Douven. Und deshalb sei es wichtig, dass der Flughafen einen gewissen Lärm machen darf. „Wir prüfen, ob es Sinn macht, gegen das Urteil in Revision zu gehen“, sagt Douven.
Die beiden klagenden Frauen, die nur im Zweitwohnsitz Insulanerinnen sind, gehörten zu einer ganzen Schar von Klägern, die vor rund zehn Jahren begonnen hatten, den Flughafen gerichtlich zu Geräuscharmut zu zwingen. Das erstinstanzliche Verfahren vor dem Landgericht Flensburg endete im September 2015 mit einem glatten Sieg der Flughafen Sylt GmbH. Bei dem Lärm handele es sich um eine „ortsübliche Beeinträchtigung“, führte das Gericht aus. Solange tagsüber ein Dauerschallpegel von 60 dB (A) nicht überschritten werde, sei alles in Ordnung. Danach gaben 16 der 18 Kläger auf. Zwei legten Berufung ein.