Hauptangeklagter tischt dem Gericht hanebüchene Geschichte auf. Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Mutmaßlicher Komplize freigesprochen.
Neustadt. Das passte: Auch am letzten Verhandlungstag mutete der Prozess um den Diebstahl des Störtebeker-Schädels eher an wie ein gauklerhaftes, mittelalterliches Spectaculum. Kurz vor der Urteilsverkündung kam der Hauptangeklagte Sven G., 38, fast zwei Stunden zu spät - er war auf der Fahrt zum Gericht mit dem Auto verunglückt und steckte bei Geesthacht rund eine Stunde in einer Schneewehe fest.
Es war der Schlussakkord in dem wohl bizarrsten Prozess des Jahres, der am Freitag mit zwei Schuldsprüchen zu Ende ging. Angeklagt waren Michael S., 50, und Sven G., weil sie den Schädel des 1401 auf dem Grasbrook hingerichteten legendären Seeräubers Klaus Störtebeker aus dem Museum für Hamburgische Geschichte gestohlen haben sollen. Verurteilt wurde jedoch nur Sven G., zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr. Anfang Januar 2010 hat er nach Überzeugung der Kammer mit einem unbekannt gebliebenen Täter den Störtebeker-Schädel samt Nagel vom Holzbock genommen. Strafmildernd berücksichtigte das Gericht, dass er den damals völlig ungesicherten Totenkopf problemlos stehlen konnte. Michael S. wurde indes aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Den Vorwurf gegen den ursprünglich wegen Hehlerei angeklagten Jonny J., 40, schwächte das Gericht ab und verurteilte ihn lediglich wegen Begünstigung und Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 2000 Euro. Jonny J., so der Richter, hielt den Schädel "zur Beutesicherung" an mehreren Standorten ein Jahr versteckt, bevor er ihn im März 2011 der Polizei übergab.
Der Prozess war ein Sammelsurium von Kuriositäten. Zuletzt rief ein Zuschauer unvermittelt in den Saal hinein: "Ich lehne das System ab, ich bin Faschist." Der Angeklagte Jonny J. hatte zuvor ausgesagt, Sven G. habe ihm den Schädel erstmals auf einer Grillparty gezeigt. Da sein Freund damals unter psychischen Problemen litt, habe er den Kopf aus Furcht vor Beschädigung in seine Obhut genommen. Er habe den Schädel dann versteckt, unter anderem auf einem Schrottplatz, wo er ihn einmal im letzten Augenblick vor der Zerstörung in der Schrottpresse habe bewahren können. Danach habe er den "dusseligen Scheißkopf" loswerden wollen und ihn der Polizei gebracht. Die Geschichte kaufte das Gericht Jonny J. jedoch nicht ab, zumal er "zahlreiche Möglichkeiten" gehabt hätte, den Schädel den Behörden zu übergeben. Auch die Aussage von Sven G. hielt das Gericht für nicht glaubhaft. Der 38-Jährige hatte erklärt: Der Dieb habe eines Tages bei ihm geklingelt und ihm den Schädel zur Verwahrung anvertraut. Er habe den Totenkopf, der wochenlang auf seinem Schrank stand, ständig angeschaut und dadurch seine depressive Phase überwunden. Er habe sogar darüber nachgedacht, den Schädel in ein Selbstmordszenario einzubauen.
Beim Prozessauftakt hatten die drei Verteidiger die Echtheit des Schädels bestritten. "Es kommt gar nicht darauf an", erklärte der Vorsitzende Richter. Es handele sich aber gewiss um einen Gegenstand von "hohem kunsthistorischen und wissenschaftlichen Wert".