Kiel. Schleswig-Holstein könnte nach der Bundestagswahl zum Vorbild für eine Regierungsbildung im Bund werden. Aber das Modell hat Probleme.

Schleswig-Holstein hat in den vergangenen Wochen rasant Karriere gemacht. Wohl noch nie ist im Vorfeld einer Bundestagswahl so oft über das nördlichste Bundesland gesprochen worden. Seitdem in Kiel eine „Jamaika“-Koalition regiert, also ein Bündnis aus CDU, Grünen und FDP, und seitdem es mit jeder Umfrage wahrscheinlicher wird, dass ein solches Bündnis nach der Wahl am Sonntag eine Mehrheit im Bundestag haben könnte, schaut die politisch interessierte Öffentlichkeit auf den „echten Norden“. Läuft es an der Förde? Oder läuft es nicht?

Eher nicht. Zuletzt verstärkte sich der Eindruck, dass es in der Koalition rumpelt. Anfang der Woche fand der SPD-Fraktionschef Ralf Stegner dafür im Landtag eine griffige Formulierung: „Jamaika liegt im Hurrikan-Gebiet.“ Nun ist es natürlich regelmäßige Übung der Opposition, der Regierung Probleme zu bescheinigen. Allerdings sind selbst die Koalitionäre mittlerweile ernüchtert, der genervte Unterton manch öffentlicher Statements lässt aufhorchen. Im Interview mit dem Hamburger Abendblatt gab der Landwirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) unlängst zu Protokoll, dass „Jamaika jeden Tag harte Arbeit“ sei und eines der „am schwersten beherrschbaren Bündnisse“.

Die Koalitionspartner haben sich schon mehrfach gezofft

In der Tat haben sich die drei Partner schon mindestens dreimal öffentlich gezofft. Erst ging es um eine Umgehungsstraße für den kleinen Ort Ratzeburg, die der FDP-Verkehrsminister Bernd Buchholz für nicht so bedeutsam hielt, der örtliche Landtagsabgeordnete und Landtagspräsident Klaus Schlie (CDU) aber schon. Dann zeigte die Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) Sympathien für die Ideen, Beamten den Weg in die gesetzliche Krankenversicherung zu ebnen – und holte sich eine barsche Abfuhr der FDP ein. Zuletzt sorgte erneut Bernd Buchholz für Aufregung. Beim Norddeutschen Immobilientag in Hamburg warb der Minister ungerührt für den FDP-Vorschlag, Ersterwerbern von Häusern die Grunderwerbssteuer zu erlassen, und stellte das als Koalitionsmeinung dar. Das wiederum brachte seine Kabinettskollegin Heinold auf die höchste aller jamaikanischen Palmen.

Ist Schleswig-Holstein also wirklich ein Vorbild für die Bundestagswahl? In Schleswig-Holstein selbst spielte diese Frage nur eine untergeordnete Rolle. Der Wahlkampf wird von ganz anderen Kräften angetrieben, von ganz anderen Fragen geprägt.

Die CDU im Norden will das gute Ergebnis der Bundestagswahl 2013 wiederholen. Neun der elf Wahlkreise hat sie damals gewonnen, 39,2 Prozent der Zweitstimmen hat sie bekommen. Es war der beste Wert seit 1994. Es wird schwer werden, erneut auf dieses Niveau zu kommen. Die AfD könnte der CDU wichtige Stimmen wegnehmen. Außerdem hat die Nord-CDU einige Zugpferde verloren. Ole Schröder (seit 2002 Bundestagsabgeordneter), Philipp Murmann (seit 2009) und Ingbert Liebing (seit 2005) sind nicht mehr dabei.

Für die CDU ist dieser Generationenwechsel auch eine Chance. Der Parteichef und Ministerpräsident Daniel Günther will die Christdemokraten erneuern. Er hat dafür gesorgt, dass die Zahl der weiblichen Bundestagskandidaten deutlich gestiegen ist. Melanie Bernstein, Astrid Damerow, Petra Nicolaisen: Eine selbstbewusste Garde von Frauen rückt nach vorn.

Erstmals bei Bundestagswahlen setzt die Nord-CDU auf einen Haustürwahlkampf. Johann Wadephul aus Molfsee, der die CDU-Landesliste anführt, sagt: „Das hätten wir schon viel früher machen sollen“. Er habe interessante Gespräche geführt. „Und ich habe auch mal beim Zusammenbauen eines Schrankes geholfen“, sagt Wadephul, seit 2009 Bundestagsabgeordneter.

Die SPD in Schleswig-Holstein fürchtet den Absturz

Bei den schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten geht die Furcht vor dem Absturz um. 2013 – da regierte in Kiel noch die Küstenkoalition aus SPD, Grünen und SSW – war die Partei dennoch auf nur 31,5 Prozent gekommen. Die spannende Frage lautet: Können sich die Genossen im Norden diesmal vom schlechten Bundestrend abkoppeln? Bettina Hagedorn, die SPD-Spitzenkandidatin, hofft auf die Unentschlossenen. „Ich werde mein Infomaterial reißend los“, sagt sie. Sie will „bis zu letzten Sekunde“ Wahlkampf machen: „Ich will nach der Wahl in den Spiegel schauen und sagen können, dass ich keine einzige Schippe mehr hätte drauflegen können.“ Neun Bundestagsabgeordnete stellt die SPD derzeit, zwei Wahlkreise wurden direkt gewonnen.

Wähler-Rekord

Die FDP will das Trauma von 2013 tilgen. 5,6 Prozent der Zweitstimmen fuhr die Partei in Schleswig-Holstein ein – das schlechteste Ergebnis seit 1969. Nicht einen Bundestagsabgeordneten stellen die Nord-Liberalen seitdem. Das soll sich am kommenden Sonntag ändern. Die FDP ist bundesweit im Aufwind.

Für die Grünen ist die Bundestagswahl auch ein Stimmungstest. Sind ihre Stammwähler einverstanden damit, dass sich die Partei in Kiel in eine „Jamaika“-Koalition begeben hat? Das Zweitstimmenergebnis von 2013 war mit 9,4 Prozent nicht schlecht. Drei Bundestagsabgeordnete stellen die Grünen seitdem. Sollten sie deutlich schlechter abschneiden als 2013, würden sie nur zwei Abgeordnete stellen.

AfD hofft auf mindestens zwei Bundestagmandate

Schleswig-Holsteins Linke wollen ihre einzige Bundestagsabgeordnete Cornelia Möhring erneut nach Berlin schicken. Die AfD hofft auf mehr: zwei Abgeordnete sollen es mindestens sein.

Ganz wichtig: Für zwei prägende Figuren der Landespolitik könnte die Wahl zum Abschied aus Schleswig-Holstein führen. Für Robert Habeck (Grüne), falls ihm der Bundesvorsitz seiner Partei angeboten wird. Für Wolfgang Kubicki auf jeden Fall. Er will wirklich – und er steht auf Platz eins der FDP-Landesliste.