Kiel. Im Januar sollen die Gymnasien entscheiden, ob sie der Bildungsministerin folgen. Wer G8 will, muss eine hohe Hürde überwinden.
Schleswig-Holsteins Gymnasienstehen vor grundlegenden Veränderungen. 88 der 99 Schulen müssen bis spätestens kommenden Februar klären, ob sie in Zukunft nach neun Jahren zum Abitur führen oder beim derzeitigen Modell bleiben wollen. Elf der 99 Gymnasien sind aus dem Schneider: Sie bieten schon jetzt G9 an.
Karin Prien (CDU), die neue Bildungsministerin, schreibt den Schulen einen straffen Zeitplan vor. „Entscheidend ist für uns, dass die Eltern schon Ende Februar 2018 wissen, ob die jeweilige Schule künftig G9 oder G8 oder beides anbietet, denn dann finden dort die Informationsveranstaltungen für die Eltern statt“, sagt Prien. Um dieses Ziel zu erreichen, bleibt den Schulen nur ein kleines Zeitfenster. Denn zunächst muss das Schulgesetz geändert werden. Mit der parlamentarischen Arbeit daran kann frühestens nach der Sommerpause begonnen werden, also im September. Prien hofft, dass die Gesetzesänderung bis Jahresende abgeschlossen ist. Erst dann kann der wichtigste Schritt erfolgen: Die Schulkonferenzen entscheiden im Januar oder Februar, wie schnell oder langsam die jeweilige Schule zum Abitur führt.
Politisch gewollt ist, dass das in neun Jahren geschieht. Das lässt sich unschwer an der hohen Hürde ablesen, die zu überwinden ist, falls die Schule bei G8 bleiben will. Dafür wird eine 75-Prozent-Mehrheit in der Schulkonferenz benötigt. Selbst Grundgesetzänderungen sind mit weniger Zustimmung hinzubekommen (hier reicht eine Zweidrittelmehrheit).
G9 soll Kindern wieder mehr Raum für schöne Dinge geben
Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass diese Hürde den meisten G8-Gymnasien den Garaus machen wird. Prien selbst hofft, dass mindestens 80 Prozent der Schulen zum langsameren Abitur zurückkehren werden – am besten noch mehr. Die inhaltliche Begründung für die „Rolle rückwärts“ in der Schulpolitik ist bekannt.
G9 soll den lästigen Nachmittagsunterricht reduzieren und den Kindern wieder mehr Raum für Hobbys, für gesellschaftliches Engagement und auch für die schönen Dinge des Lebens geben. Für die Umstellung auf G9 haben die Schulen ein bisschen Zeit. Sie soll erst zum Schuljahr 2019/2020 vollzogen werden und für die fünften und sechsten Klassen gelten. Insofern sind auch die Schüler betroffen, die im Sommer 2018 ihre Gymnasialkarriere starten.
GEW kritisiert Zeitdruck
Prien will für den großen Umbau der G8-Gymnasien die Kenntnisse und Erfahrungen nutzen, die die G9-Gymnasien in den vergangenen Jahren gemacht haben. Dort lägen Lehrpläne, Fachanforderungen und Prüfungsordnungen bereits vor. Noch im August will die Ministerin mit den Leitern der G9-Gymnasien erörtern, wie man von deren Erfahrung profitieren kann und welche Unterstützung wünschenswert sei. „Wir lassen die Schulen in diesem Prozess nicht allein“, sagt Prien. „Wir flankieren die Veränderungen mit allen Kräften, wir informieren und diskutieren.“
Die Lehrergewerkschaft GEW und die Opposition sehen das ein bisschen anders. Die GEW-Landesvorsitzende Astrid Henke plädiert für einen offenen Diskussionsprozess über den Rückweg zu G9, und zwar „ohne von vornherein bis ins kleinste Detail festgezurrte Pläne und ohne zu großen Zeitdruck für die Schulen“. Für Schulkonferenzbeschlüsse bliebe nach dem Fahrplan der Bildungsministerin nur der Januar übrig. „Das ist einfach zu knapp“, sagt Henke. Statt die Schulen derartig unter Druck zu setzen, sollte auf den Wechsel von G8 zu G9 für den sechsten Jahrgang im Schuljahr 2019/20 verzichtet werden.
Immenser Aufwand für die Gymnasien
Martin Habersaat, der bildungspolitische Sprecher der SPD, empfiehlt der Ministerin, in einen Dialog mit allen Beteiligten einzutreten. „Nicht kleine Zirkel nach dem Motto ,teile und herrsche‘“, sagt er. Genüsslich hält er Prien Äußerungen aus ihrer Zeit als Bürgerschaftsabgeordnete in Hamburg vor. Dort hatte sie energisch für G8 gekämpft. Und unter anderem damit argumentiert, dass die Rückkehr zu G9 die qualitative Weiterentwicklung der Gymnasien blockieren würde. Auf die Schulen käme ein immenser zusätzlicher Aufwand zu, „zusätzliche Klassen“ müssten eingerichtet, „neue Lehr- und Lernmaterialien“ besorgt werden.
In der Tat sind die materiellen Folgen der Rückkehr zum einstmals verpönten Langsam-Abi unklar. Martin Habersaat geht davon aus, dass in Zukunft viele Eltern ihre Kinder wieder aufs Gymnasium statt auf die Gemeinschaftsschule schicken werden. Denn deren Vorteil, allein G8 anzubieten, sei dahin. Der Zustrom werde automatisch zum Ausbau vieler Gymnasien führen. „Das geht nicht ohne Zustimmung der Schulträger“, sagt Habersaat. Schulträger sind meist die Kommunen, manchmal auch die Kreise. Ihnen gehören die Schulgebäude.
Übernimmt das Land diese Kosten? Das ist noch unklar. In einem Antrag der Regierungsfraktionen zum Turbo-Abi heißt es einigermaßen nebulös: „Denkbare Auswirkungen für Schulträger hinsichtlich neuer schulgesetzlicher Regelungen werden geprüft. Dazu werden Gespräch mit den Kommunen geführt.“ Auf die Schulen kommt, so scheint es, einiges zu.