Kiel. Sechs Jahre war Karin Prien CDU-Abgeordnete in Hamburg. Jetzt führt sie das Bildungsressort in Kiel – und muss umdenken.
Der Anruf, der der ohnehin schon ziemlich rasanten politischen Karriere von Karin Prien einen Turbo verpasste, kam am Abend des 26. März, dem Tag der Saarlandwahl. Prien hatte dem noch weithin unbekannten CDU-Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein, Daniel Günther, eine E-Mail geschrieben und recht kühn prophezeit, dass Günther nach dem überraschend deutlichen Erfolg der CDU im Saarland nun an der Küste der nächste Wahlsieger der Union sein werde. Günther, damals noch krasser Außenseiter, bedankte sich für die guten Wünsche am Telefon und sagte dann: „Wir müssen mal reden!“
"Völlig überrascht"
So geschah es. Günther schlug der schulpolitischen Sprecherin der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft am Tag darauf in einem langen Telefonat vor, in seinem Schattenkabinett den Bereich Schule zu übernehmen. Prien war nicht völlig überrascht nach Günthers Satz vom Vorabend, bat aber um Bedenkzeit bis zum nächsten Morgen. „Der erste Gedanke war: Das ist eine große Wertschätzung für meine Arbeit, eine große Chance, aber auch Herausforderung“, sagt Prien, die heute – nach dem überraschenden CDU-Wahlerfolg und nur gut drei Monate später – schleswig-holsteinische Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur in der Jamaika-Koalition mit Ministerpräsident Daniel Günther ist.
„Es passt zu mir, dass ich in kurzer Zeit Entscheidungen treffe“, sagt Prien. Aber das jetzt war unter Umständen eine Lebensentscheidung, noch dazu eine, die ihre Familie unmittelbar betraf. Prien hat drei Söhne – 18, 16 und zwölf Jahre alt –, sie arbeitete neben ihrem Mandat als Rechtsanwältin in einer Kanzlei zusammen mit ihrem Mann. Sie beriet sich auch mit CDU-Fraktionschef André Trepoll und mit dem Unions-Landesvorsitzenden Roland Heintze. Dann war schnell klar: „Ich mache das.“
Herausforderin von Olaf Scholz
Es war die, wenn auch zunächst noch sehr vage Chance, nicht mehr nur die Regierenden zu kritisieren und zu attackieren, sondern selbst Verantwortung zu übernehmen. „Es war nie das Endziel aller meiner politischen Tätigkeiten, gute Oppositionsarbeit zu machen“, sagt die 52-Jährige. Dass Prien ehrgeizig ist, weiß jeder, der sie in den vergangenen Jahren beobachtet hat. Mehr als einmal ist sie wegen ihrer bisweilen etwas ungestüm vorpreschenden Art nicht nur mit den politischen Gegnern, was ja erwartbar ist, sondern gerade auch mit Parteifreunden aneinandergeraten. Zuletzt galt die durchsetzungsfähige Frau als eine denkbare Herausforderin von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bei der Wahl 2020. Manch einer freut sich in der Hamburger CDU jetzt klammheimlich, dass eine Konkurrentin von Bord ist.
„Man muss im richtigen Moment an der richtigen Stelle sein. Wenn die Chance kommt, muss man zugreifen.“ Prien hat viel Lehrgeld zahlen müssen, was ihre noch recht kurze politische Laufbahn angeht. Vielleicht wollte sie am Anfang zu schnell zu viel, als sie sich 2004 vergleichsweise spät entschloss, in der Blankeneser Union mitzuarbeiten. Zwar ist sie schon mit 14 Jahren in die Schüler-Union, mit 16 dann in die CDU eingetreten – wegen des damaligen Generalsekretärs Heiner Geißler, nicht wegen Helmut Kohl, wie sie betont –, war aber lange Zeit nicht politisch aktiv. Beruf und Familie standen im Vordergrund: Geboren in Amsterdam, Abitur in Neuwied, Studium der Rechts- und Politikwissenschaften in Bonn und Amsterdam, Stationen als Rechtsreferendarin und Anwältin in Celle und Hannover, ehe sie in Hamburg sesshaft wurde.
Rastlos und resolut
Prien ist eine umtriebige, ja beinahe rastlose und dabei resolute Kosmopolitin, die in dem recht speziellen Biotop eines CDU-Ortsverbands sofort auffallen musste. Ihr erster Versuch, für die Bürgerschaftswahl 2004 zu kandidieren, scheiterte an den Parteifreunden vor Ort. Aber Prien lernte schnell, fügte sich ein und schloss Allianzen. Sie zählte zu den wenigen Christdemokraten, die sich 2008 trauten, den Mund gegen die von Schwarz-Grün beschlossene Primarschulreform aufzumachen. Nach dem spektakulären Ende des Bündnisses von CDU und Grünen 2010 war sie plötzlich gefragt, die klassische Unions-Wählerklientel zurückzugewinnen – in einer so bürgerlichen Gegend wie Blankenese allemal. Prien zog als direkt gewählte Abgeordnete 2011 in die Bürgerschaft ein.
Und holte sich gleich eine blutige Nase. Die Novizin kandidierte gegen den etablierten Altonaer Kreisvorsitzenden Hans-Detlef Roock als stellvertretende Fraktionschefin und verlor. „Das ist mir übel genommen worden“, sagt Prien heute. Aber sie war nun einmal der Ansicht, dass eine Frau in den Fraktionsvorstand gehörte. Und nach dem Wahldesaster für die Union und dem Absturz in die Opposition habe sie eine „völlige Neuausrichtung“ für erforderlich gehalten. Deswegen habe sie kandidiert.
„Am Anfang war ich zu überheblich und habe zu wenig Rücksicht genommen“, sagt die heutige Ministerin selbstkritisch. Dass gehe oft Menschen so, die Quereinsteiger wie sie seien und über wenige Verbindungen verfügten. Aber sie habe gelernt, „ganz unterschiedliche Politikertypen zu respektieren“. Und sie ließ sich trotz der Niederlage nicht entmutigen.
Immer wieder musste sie Niederlagen einstecken
Ihr Fleiß ist legendär – belegt in Hunderten Kleiner Anfragen, mit denen sie den SPD-geführten Senat und vor allem Schulsenator Ties Rabe (SPD) piesackte. Prien profilierte sich auf dem Höhepunkt der Zuwanderung von Flüchtlingen 2015 zudem als Flüchtlingspolitikerin. Sie beriet die Volksinitiative „Hamburg für gute Integration“, die Rot-Grün einen Kompromiss bei der Verteilung der Flüchtlinge in der Stadt abtrotzte. Im Verfassungsausschuss saß Prien auch noch und war nicht zuletzt dann doch stellvertretende Fraktionschefin.
Damit nicht genug: Dass mehr Frauen in der Elb-Union Verantwortung tragen müssen, ist ihre feste Überzeugung. Dafür hat sie wie keine andere gestritten und – wiederum – auch Niederlagen einstecken müssen. Zuletzt im Dezember 2016 bei der Aufstellung der Liste für die nächste Bundestagswahl. Auf den ersten vier, als aussichtsreich geltenden Plätzen treten nur Männer an. Auch ein von Prien mitinitiierter offener Brief brachte kein Einsehen aufseiten der Männer. „Ich kämpfe für meine Überzeugungen“, sagt Prien. „Als Frau in der Hamburger CDU bleibt einem auch keine andere Wahl.“
Dieses Streiten für die Überzeugung, das kämpferische Moment sieht Prien auch als familiäres Erbe an. „Ich bin als Kind so erzogen worden, dass man sich für seine Überzeugung einsetzt. Das Motto war: Es lohnt sich für das zu kämpfen, was einem wichtig ist.“ Die Demokratie lebe schließlich von dem Streit der Ideen. „Und ich weiß, was es bedeutet, wenn die Demokratie auf der Strecke bleibt“, fügt sie an. Das ist einer der seltenen Momente, in denen Prien ihre Familiengeschichte andeutet. Ihre beiden Großväter waren Juden. Der eine floh mit seiner Frau vor den Nazis, der andere vor den Kommunisten – beide nach Amsterdam. Priens Eltern lernten sich dort kennen.
Wenn sie daher das Gefühl hat, dass in der Struktur des demokratischen Aufbaus etwas nicht stimmt, dann kann sie sehr hartnäckig werden. „Deswegen habe ich mich auch mit dem Bürgermeister und dem Schulsenator wegen der Beantwortung Kleiner Anfragen so angelegt“, sagt Prien. Der Streit geht darum, dass der Senat sich weigerte, einen Teil einer Kleinen Anfrage von ihr zu beantworten. Für Prien wurden die Rechte der ersten Gewalt, des Parlaments, durch die zweite, den Senat, beschnitten. Sie drohte bereits mit dem Gang zum Verfassungsgericht, der nun wohl entfällt.
Jetzt also die völlig neue Rolle in Kiel: Prien ist wieder eine Quereinsteigerin. „In potenzierter Form“, wie sie ergänzt. Lauter für sie neue Akteure: in der Landtagsfraktion, in der Dreier-Koalition, als politisch Verantwortliche an der Spitze eines neu zusammengestellten Ministeriums. Die Erwartungen an Prien sind groß – die Bildungspolitik war ein zentrales Thema im Wahlkampf.
Veränderte Perspektive
Ihre Perspektive hat sich schon verändert. „Statt zuzuspitzen und zu skandalisieren, geht es jetzt darum, den Blick aufs Ganze und das Machbare zu richten“, sagt Prien. Fast alles stehe unter dem Diktat, was finanziell überhaupt möglich sei. Dabei ist Schleswig-Holstein bei den Bildungsausgaben ohnehin schon zusammen mit Nordrhein-Westfalen Schlusslicht.
Das neue Amt bedeutet auch die Wiederbegegnung mit einem „alten“ Bekannten: Schulsenator Rabe. „Ich bin sicher, dass wir in veränderter Rollenverteilung, schon im gemeinsamen Interesse der beiden Nachbarländer, gut und professionell zusammenarbeiten werden“, sagt Prien, die jetzt eine Wohnung in Kiel sucht. Und wie bekommt sie den Balanceakt zwischen Kiel und Hamburg, Beruf und Familie hin? „Gut, aber mein Mann muss sich noch stärker um die Familie kümmern als bisher“, sagt Karin Prien und kann es dann doch nicht lassen nachzusetzen: „Einen Mann würde niemand danach fragen!“ Stimmt wohl.
Nächste Woche: Jens Todt, Sportchef des HSV