Hamburg. Proben zeigen weitreichende Verschmutzung unserer Flüsse und des friesischen Wattenmeers. Was Verbraucher und Industrie tun können.

Die Beluga II macht gemütliche zwei Knoten Fahrt auf der Elbe. Über die Backbordseite des Greenpeace-Laborschiffes ragt ein Gestell, daran hängt ein feinmaschiges Netz mit einer rechteckigen Öffnung aus Metall, das von seitlich angebrachten Stabilisatoren waagerecht, immer schön knapp unter der Wasseroberfläche, gehalten wird. Die Form der Netzkonstruktion erinnert an einen Rochen. „Mit dem ‚Manta-Trawl‘ können wir alles abschöpfen, was oben schwimmt“, sagt Sandra Schöttner, promovierte Meeresbiologin und „Campaignerin“ bei der Umweltschutzorganisation, „und das ist leider ziemlich viel Kunststoff, genauer gesagt, Plastikmüll, den man mit bloßem Augen jedoch kaum erkennen kann.“

Die Maschen des Netzes seien gerade mal 300 Mikrometer (0,3 Millimeter) groß, die wissenschaftliche Maximalgröße für „Mikroplastik“ betrage 5 Millimeter. Da bliebe also ordentlich was hängen. „Zwar schwimmen längst nicht alle Plastikpartikel an der Wasseroberfläche“, sagt sie, „aber ein Großteil – das reicht uns für die Probenahme.“ Von April bis August dieses Jahres hat die Beluga II rund 60 Mal den „ Manta-Trawl“ zu Wasser gelassen und auf den großen deutschen Kanälen und Flüssen sowie an der deutschen Nordseeküste, vor allem um die west- und nordfriesischen Inseln herum, nach Mikroplastik gefischt.

Flüsse transportieren Plastikmüll ins Meer

Plastikmüll im Meer
Plastikmüll im Meer © dpa

53 dieser Proben wurden inzwischen im Labor ausgewertet, und „die Ergebnisse“, so Sandra Schöttner, „geben Anlass zur Sorge: Denn ausnahmslos alle Proben enthalten Mikroplastik, auch wenn ich einschränkend hinzufügen möchte, dass es sich dabei nur um Stichproben, um wissenschaftliche Momentaufnahmen handelt.“ Dass jedes Jahr bis zu 13 Millionen Tonnen Kunststoffe allein von Land aus in die Meere gelangen, wo sie aufgrund der vorhandenen Strömungen teilweise gigantische Müllstrudel im Wasser bilden, ist nicht neu. Die bekannteste dieser rotierenden Müllhalden, der „Great Pacific Garbage Patch“ im Nordpazifik, hat inzwischen die Größe von Zentraleuropa angenommen.

Überhaupt schwämmen zurzeit in jedem Quadratkilometer Meer bis zu 46.000 Plastikteilchen, heißt es in einer Studie des World Wildlife Fund (WWF), wobei dies nur die sogenannte Spitze des Eisbergs sei, da mehr als 70 Prozent des Mülls auf den Grund sinken und nur etwa 15 Prozent der Plastikabfälle zurück an Land gelangen würden. Auch dass auf diese Weise jedes Jahr zehntausende Meeresbewohner – vor allem Schildkröten, Robben, Wale aber auch Seevögel - verenden, weil sie sich in ausgedienten Fischernetzen verfangen oder Kleinteile schlichtweg für Futter halten, gelten längst als traurige „Klassiker“.

Aber der Pazifik ist weit weg, und dass in der Nord- und Ostsee inzwischen ebenfalls jede Menge Müll treibt, wird in der Öffentlichkeit nicht so richtig wahrgenommen. „Doch wir können jetzt mit einiger Gewissheit sagen, dass dieses Problem endgültig bei uns angekommen ist – direkt vor unserer Haustür“, sagt Sandra Schöttner. Dabei handele es sich sogar eher um ein Binnenproblem, denn es seien gerade auch die Flüsse, die den Plastikmüll ins Meer transportierten: „Unsere Proben spiegeln das wieder, sie sind stärker mit Mikroplastik belastet als die Proben aus dem Meer."

Mikropartikel – eine unsichtbare Gefahr

Die größte Gefahr für Tiere – und damit auch für den Menschen – sei dabei so gut wie unsichtbar. Es handele es sich um Mikropartikel, oftmals kleiner als ein Millimeter, die problemlos in den Körper von Meerestieren gelangen und über die Nahrungskette schließlich in unserem Essen landen würden. Fisch frisst Plastik, Mensch isst Fisch. Diese fatale Kettenreaktion birgt einen weiteren hohen Risikofaktor in sich – die zusätzliche Belastung von Organismen mit Schadstoffen. Denn ausgerechnet die am häufigsten verwendeten Kunststoffe wie Polyethylen (Plastiktüten) oder Polypropylen (Verpackungen) haben die Eigenschaft, Umweltgifte besonders gut an sich zu binden. Sie wirken wie Magnete.

Bereits seit 2015 untersucht ein Forscher-Team um Prof. Dr. habil. Gesine Witt von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) neben der "normalen" Schadstoffbelastung deshalb auch die Plastik-Vermüllung im Sediment von Gewässern. Bislang ging die Wissenschaft davon aus, dass die Belastung von Mikroplastik mit Schadstoffen im Vergleich zu dem umliegenden Sediment mindestens genauso hoch sei. Doch die aktuellen Messergebnisse korrigieren diese Annahme nach oben: „Mit 50 Probensammlern konnten wir nachweisen, dass die kleinen Plastikteilchen um das Drei- bis Vierfache stärker belastet sind, als das ohnehin schon kontaminierte Sediment", sagt Gesine Witt.

Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigten unter anderem, dass insbesondere Mikroplastik aus Weser- und Elbsedimenten erhöht mit Polychlorierten Biphenylen (PCB) belastet ist. Hier treten je nach Fettlöslichkeit der Schadstoffe Konzentrationen im Bereich von 1,5 bis 280 µg pro kg Polyethylen auf. PCB gehört zusammen mit Dioxinen und Furanen, Hexachlorbenzol, den Pestiziden Aldrin, Chlordan, DDT, Dieldrin, Endrin, Heptachlor, Mirex und Toxaphen zum „Dreckigen Dutzend" der Giftstoffe, für die bereits auf der 5. POP-Konferenz („ Persistent Organic Pollutants“ = "Dauerhafte Organische Schadstoffe") der Vereinten Nationen im Dezember 2000 in Johannesburg ein weltweites Herstellungs- und Verwendungsverbot ausgesprochen wurde.

Obwohl diese nachweislich krebserregenden PCB-Stoffe schon seit 1983 (in Deutschland) nicht mehr produziert werden, kommen sie wegen ihrer Stabilität jedoch bis heute noch in hohen Konzentrationen in der Umwelt und in lebendem Gewebe vor. „ Schlickhaltiges Sediment nimmt im Gegensatz zu sandhaltigem deutlich mehr Schadstoffe auf, was im Umkehrschluss mit einer höheren Belastung des Mikroplastiks einhergeht. Darüber hinaus können wir mit den Ergebnissen der untersuchten Silikon-Proben aus den Probensammlern und vergleichenden Labortests auf die schadstoffbindenden Eigenschaften von Polyethylen schließen. Demnach bindet Polyethylen noch einmal etwa doppelt so viele Schadstoffe wie Silikon“, sagt Gesine Witt.

Mikroplastik im Verdauungstrakt der Tiere

Die Forscher vermuten, dass Mikroplastikteilchen umso mehr Giftstoffe an sich binden, je länger sie sich im Wasser befinden. Lagern sie sich im Sediment ab, können sie dann durch Würmer, Muscheln und Fische in die menschliche Nahrungskette gelangen. „Es geht uns aber ausdrücklich nicht um Panikmache“, sagt Sandra Schöttner. Doch der Verdacht, dass das Mikroplastik schon längst in der Nahrungskette ist, dürfte sich zunehmend zur Gewissheit entwickeln. Zurzeit werden europaweit viele Millionen Euro ausgegeben (auch vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF), um die Forschung in diesem Wissenschaftssegment zu intensivieren; einer Disziplin, die noch am Anfang steht.

In ersten Feldstudien fanden Wissenschaftler Plastikpartikel in unterschiedlichen Arten von Fischen, Krusten- und Schalentieren – von Tunfischen über Makrelen bis hin zu Garnelen, Austern und Muscheln. Eine Studie mit Fischen aus Nord- und Ostsee – darunter Kabeljau, Flunder und Makrele – wies bei 5,5 Prozent der Tiere Mikroplastik im Verdauungstrakt nach. Eine weitere Untersuchung, unter anderem mit Petersfisch und Wittling aus dem Englischen Kanal, ergab, dass über 30 Prozent der Fische mit Mikroplastik belastet waren. Auch Krusten- und Schalentiere sind betroffen: Sowohl in Miesmuscheln von der deutschen Nordseeküste als auch in Austern von der französischen Atlantikküste wurde Mikroplastik nachgewiesen, und in nicht weniger als 63 Prozent der untersuchten Nordseegarnelen wurden Plastikfasern, Plastikgranulat oder Folienreste gefunden. Da bekommt das leckere Büsumer-Krabbenbrötchen plötzlich einen schalen Beigeschmack.

Für Meerestiere wird die unnatürliche Futterbeilage zum Problem. Je kleiner die aufgenommenen Teilchen sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass Zellbarrieren durchdrungen werden. Entzündungen im Darm oder Störungen bei der Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung sind mögliche Folgen. So zeigten Miesmuscheln in einem Laborexperiment nach der Aufnahme von PE-Partikeln starke Gewebeveränderungen und Entzündungen. Ähnliches wurde bei Wattwürmern beobachtet, die PVC-Partikeln ausgesetzt waren. Zusätzlich wiesen sie ein verringertes Wachstums-, Fortpflanzungs- und Bewegungsverhalten auf. Und eine Simulation der natürlichen Anreicherung von PVC samt Schadstoffen bei Wolfsbarschen ergab schwere Schädigungen des Verdauungstrakts. Landen diese belasteten Fische und Meeresfrüchte auf dem Teller, könnte deren Verzehr durchaus bedenklich sein. Denn bei Schalentieren, wie zum Beispiel Muscheln und Austern, von denen das gesamte weiche Fleisch verzehrt wird, würden die Plastikpartikel einfach mitgegessen; schlimmstenfalls mitsamt den angedockten Giftstoffen.

Was Verbraucher und Industrie tun können

Inwieweit Menschen dadurch ihre Gesundheit gefährden, lässt sich aufgrund des derzeitigen Wissensstandes noch nicht abschließend beurteilen. Laborstudien können schließlich niemals die Realität eins zu eins abbilden, aber sie liefern wertvolle Hinweise auf Wechselwirkungen von Mikroplastik, Schadstoffen und Lebewesen. Und das hieße nach Ansicht der Wissenschaftler, dass die Politik sich nicht Zeit lassen dürfe. „So lange Ausmaß und Folgen der Mikroplastikbelastung in unseren Meeren nicht bekannt sind, sollte unbedingt das Vorsorgeprinzip greifen, um das Risiko für Mensch und Umwelt möglichst gering zu halten“, sagt Sandra Schöttner. Vor allem gegen das industriell gefertigte Mikroplastik, das durch Kosmetikartikel und Zahnpasta täglich ins Abwasser gelangt, könnte die Bundesregierung schnell und effektiv vorgehen.

Aber auch die Industrie und die Verbraucher könnten bereits jetzt eine Menge gegen die zunehmende Plastikvermüllung der Gewässer tun. Zwar hat sich die Kosmetikindustrie bereits zum Verzicht auf Mikroplastik verpflichtet, jedoch seien diese Maßnahmen unzureichend – behauptet jedenfalls Greenpeace, und fordert eine gesetzliche Vorgabe, um Mikroplastik aus diesen speziellen Verbrauchsgütern zu verbannen. Die seien ohnehin leicht zu ersetzen, natürliche Alternativen gäbe es viele: „Gemahlene Nussschalen oder mineralische Stoffe wie Salzkristalle, Tonerde und Kreide haben einen ähnlichen Effekt wie die Plastikperlen“, sagt Sandra Schöttner.

Die Verbraucher wiederum könnten durch einen umsichtigen Gebrauch dazu beitragen, die Kunststoffflut einzudämmen, solange die Wegwerfmentalität nicht von einer tragfähigen Kreislaufwirtschaft ersetzt wird. Der Verzicht auf die Plastiktüte wäre da schon mal ein guter Anfang, vor allem fürs eigene gute Gewissen, doch spätestens wenn es zum Beispiel in die Mittagspause an die Selbstbedienungstheken der Supermärkte oder in den Coffee-Shop geht, ist es für die Verbraucher praktisch unmöglich, dem "Verpackungs-Overkill" zu entgehen. Auf jeden Fall aber sollte Kunststoff umweltgerecht entsorgt werden. Denn bis zur völligen Zersetzung von Plastik können 350 bis 400 Jahre vergehen, dabei handelt es sich jedoch um Laborwerte. Große Teile zerfallen lediglich in immer kleinere und noch kleinere Partikel, bis hin zum Mikroplastik. Doch wer heute barfuß über den Strand läuft, hat neben den Sandkörnern bereits viele feine Plastikteilchen zwischen den Zehen. Sandra Schoettner lächelt: „Aber die Verbraucher haben ja eine gewisse Macht“, sagt sie, „und die ist groß.“