Westerland. Lehrer fehlen, Pflegekräfte kommen zu spät zur Arbeit: Das öffentliche Leben ist gestört, Besserung ist nicht in Sicht

Den Syltern reicht es. Seit Wochen gibt es Probleme beim Bahnverkehr auf die Insel. Zuletzt musste der gesamte Wagenpark der Nord-Ostsee-Bahn (NOB) wegen möglicherweise defekter Kupplungen aus dem Verkehr gezogen werden. Die Folge: Chaos auf dem Hindenburgdamm. Deshalb haben sich jetzt die ansonsten nicht immer einigen Bürgermeister der Insel zusammengerauft und einen geharnischten Brief verfasst. Von „unzumutbaren Zuständen“ ist da die Rede.

Das Schreiben, gerichtet an die Landesnahverkehrsgesellschaft und den Kieler Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD), mündet in einem Hilferuf: „Beschaffen Sie bitte umgehend, nein, sofort mehr Trieb- und Reisezugwagen für den lebensnotwendigen Transfer in unserer Region.“

Die Zahl der eingesetzten Waggons reicht nicht aus

Die Insel ist in einer schwierigen Situation. Sie ist nur mit der Bahn erreichbar. Doch am vergangenen Freitag war der NOB-Verkehr auf die Insel wegen der Kupplungsprobleme zeitweise komplett zusammengebrochen. Das Bahnunternehmen fährt seitdem mit ausgeliehenen Waggons. Aber deren Zahl reicht offenbar nicht aus. Immer noch fallen einzelne Fahrten aus. Andere Züge sind total überfüllt. Nicht alle Pendler, die am Bahnsteig stehen, kommen mit, weshalb sie teilweise lange Wartezeiten in Anspruch nehmen müssen. Folge: Die Fahrt zum Arbeitsplatz, die üblicherweise eine Stunde dauert, war in einigen Fällen erst nach vier oder fünf Stunden geschafft.

Nikolas Häckel, Bürgermeister der Gemeinde Sylt
Nikolas Häckel, Bürgermeister der Gemeinde Sylt © picture alliance / dpa

„Wir müssen Ihnen nicht erzählen, dass ohne die rund 4500 Berufspendler auf der Insel vieles nicht läuft“, schreiben deshalb Nikolaus Häckel (Bürgermeister Gemeinde Sylt), Peter Schnittgard (Bürgervorsteher Gemeinde Sylt), Rolf Speth (Amtsvorsteher Amt Landschaft Sylt) und Wilfried Bockholt (Bürgermeister Niebüll) in ihrem Brandbrief. „Bereits am Freitag musste die Gemeinde Sylt Kindergartenkinder nach Hause schicken, konnte der Schulbetrieb nicht ordnungsgemäß begonnen und im Schichtdienst arbeitende Pflegekräfte nicht abgelöst werden, weil die Beschäftigten nicht zur Arbeit kommen konnten.“

Verspätete Züge

 

Der Zugverkehr auf der Strecke Hamburg–Hannover war am Donnerstag über mehrere Stunden gestört. Einzelne Züge fuhren mit bis zu drei Stunden Verspätung im Hamburger Hauptbahnhof ein. Am späten Nachmittag wurde die Störung behoben. Grund war laut einem Bahnsprecher eine defekte Oberleitung nördlich von Celle.

 

Vor allem Pendler, die aus dem Umland nach Hamburg unterwegs waren, waren von den Störungen betroffen. Da die Strecke am Donnerstag zeitweise nur eingleisig gefahren werden konnte, wurden auch Fernzüge über Rotenburg/Wümme umgeleitet, was die Fahrtzeiten deutlich verlängerte.

 

Die betroffene Strecke ist eine der meistbefahrenen in Deutschland, auf der ICE, Intercity, der Metronom sowie Güterzüge vom Hamburger Hafen fahren. In den vergangenen Wochen war sie bereits mehrfach von Störungen betroffen gewesen. Auch der Wintereinbruch hatte mit umgestürzten Bäumen für ein regelrechtes Chaos auf den Schienen in Norddeutschland gesorgt.

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Geschäfte hätten nicht öffnen können, viele Dienstleistungen im öffentlichen und privaten Bereich seien ausgefallen. „Ein Leben in geregelten Bahnen ist seit Monaten für unsere Berufspendler und uns Einwohner nur schwer möglich“, schreiben die Verwaltungschefs. Verbunden sei dies mit „wachsendem Unmut und einem Gefühl der Hilflosigkeit“. Es sei unverständlich, dass es „angesichts von bundesweit zur Verfügung stehenden Trieb- und Reisezugwagen nicht wenigstens seit Montag möglich gewesen ist, alle Berufspendler vom Festland aus menschenwürdig auf die Insel zu befördern“.

Die Sylter fühlen sich als Opfer einer verfehlten Bahnpolitik

Die Sylter sehen sich als Opfer einer verfehlten Bahnpolitik. Es ist eine Bahnpolitik, die auf Wettbewerb und auf komplizierte Verkehrsverträge setzt, in denen viele Dinge detailliert geregelt werden. Nur hat das alles offenbar nicht verhindert, dass die Sylter Lebensader Hindenburgdamm zu einem schier unüberwindbaren Hindernis für Pendler wird. Und dies auch noch länger bleiben könnte.

Denn die 90 schadhaften Waggons, die die NOB aus dem Verkehr ziehen musste, gehören nicht der NOB. Deren Verkehrsvertrag für die Strecke Hamburg–Westerland läuft zwar ohnehin am 10. Dezember aus, aber der neue Betreiber, DB Regio, muss die schadhaften Waggons übernehmen. Das schreibt das Land Schleswig-Holstein vor. Die ersten Waggons können wohl frühestens Anfang 2017 wieder eingesetzt werden. Die DB arbeitet deshalb derzeit an einem Alternativkonzept. Schafft es das größte Bahnunternehmen Deutschlands, bis zum 11. Dezember 90 Waggons zusammenzubekommen? „Wir prüfen das gerade“, sagt Bahnsprecher Egbert Meyer-Lovis.

Dass mit den Kupplungen irgendetwas nicht stimmt, ist der Nord-Ostsee-Bahn schon seit Längerem bekannt. Am 6. Oktober war in Elmshorn ein NOB-Zug liegen geblieben – eben wegen dieses Kupplungsschadens. Nachprüfungen hatten dann nach Auskunft der NOB ergeben, dass auch alle weiteren Waggons unter die Lupe genommen werden müssen. Warum rund fünf Wochen später der gesamte Wagenpark ohne jede Vorbereitung aus dem Verkehr gezogen wurde, bleibt indes unklar. Bahnexperten nehmen die NOB in einem Punkt in Schutz: Es sei unmöglich, so heißt es, 90 Waggons innerhalb weniger Tage zu ersetzen. Derartige Reserven gebe es auf dem Markt nicht.

Die Landesnahverkehrsgesellschaft, der Adressat des Briefes, konferierte am Donnerstag mit der NOB. Der Verkehrs-Staatssekretär Frank Nägele sagte: „Ich erwarte, dass rasch Ersatzmaterial organisiert wird, um zumindest zu den Stoßzeiten die Engpässe zu lindern.“ In Westerland und in Niebüll wurde derweil weiter gebangt. Wann kommt der Zug? Kommt er überhaupt? Der um 19.38 Uhr in Altona gestartete Zug kam nicht.