16 Patienten des Krankenhauses sind noch isoliert. In der betroffenen Abteilung gab es 70 Gefährungsanzeigen. Die Landesregierung erwägt auch die Auslagerung von Bereichen in Container.
Kiel. Als Folge der Ausbreitung eines gefährlichen Keims gerät das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel immer mehr unter Druck. So wurden am Mittwoch weitere Vorwürfe über angeblich seit Jahren bestehende Hygiene-Missstände und Personalmängel laut. Ex-Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) forderte, schnellstmöglich Landesmittel „für das dringend benötigte Personal bereitzustellen“. Wissenschaftsministerin Kristin Alheit (SPD) und Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) sollten ein Finanzierungskonzept erarbeiten. Falls mehr Personal eingestellt wird, dürfte es dem UKSH noch schwerer fallen, sein jährliches hohes Millionen-Defizit abzubauen.
„Die bedrohlich hohe Anzahl von Gefährdungsanzeigen an den Standorten Kiel und Lübeck darf angesichts der jüngsten besorgniserregenden Ereignisse nicht mehr schulterzuckend zur Kenntnis genommen werden“, sagte Garg. Ziel müsse sein, diese Zahl durch entsprechende strukturelle Maßnahmen binnen Jahresfrist mindestens zu halbieren.
NDR 1 Welle Nord berichtete, in mehr als 70 Fällen hätten Mitarbeiter Missstände der vom Keimbefall betroffenen internistischen Intensivstation angezeigt. Dabei sei es um zu wenige Fachkräfte auf der Station gegangen, weil Kollegen im Urlaub waren oder weil frei werdende Stellen nicht besetzt wurden. Das UKSH habe eingeräumt, dass es 2014 allein am Standort Kiel 524 Gefährdungsanzeigen gegeben habe.
Gesundheitsministerin erwägt Auslagerung in Container
Seit Dezember ist bei 31 Patienten der gegen fast alle Antibiotika resistente Keim Acinetobacter baumannii nachgewiesen worden. Zwölf dieser Patienten starben, bei drei von ihnen könnte der Keim Todesursache sein. 16 Patienten, bei denen der Keim nachgewiesen wurde, lagen zuletzt auf zwei isolierten Intensivstationen. Außerdem liegen weitere sechs Patienten in den beiden Stationen, die für Neuaufnahmen gesperrt sind. Laut Klinikchef Jens Scholz bleiben die Stationen gesperrt, bis der letzte der Patient dort entlassen werden kann. Und hierfür sei eine zeitliche Prognose nicht möglich.
„Im Moment geht es darum, den Keim in den Griff zu bekommen“, betonte Alheit. Mittelfristig sei das Auslagern von Krankenhausbereichen in Container eine Option. Die vom UKSH zu Rate gezogenen Fachwissenschaftler aus Frankfurt hätten „auch Hinweise zur baulichen Situation gegeben“. „Bis der Neubau des UKSH realisiert ist, sind daher auch Zwischenlösungen denkbar, zum Beispiel zur Auslagerung von einzelnen Bereichen in Containern, wenn das medizinisch sinnvoll ist“, sagte Alheit.
Es gibt offenbar Überlegungen, ob ohnehin geplante Baumaßnahmen beschleunigt werden müssen. „Landesregierung und Koalitionsfraktionen sind sich einig, dies zu prüfen“, sagte SPD-Fraktionschef Ralf Stegner am Mittwoch.
Das veraltete UKSH soll im Rahmen eines Masterplans für 520 Millionen Euro saniert und Neubauten errichtet werden. Das betrifft beide Standorte in Lübeck und Kiel. Die Bauarbeiten, für die ein privates Konsortium den Auftrag als Projekt in öffentlich-privater Partnerschaft erhielt, sollen nach den Sommerferien beginnen und voraussichtlich 2021 fertig sein.
Pflegekräfte schildern „haarsträubende Hygienezustände“
NDR 1 Welle Nord verwies unterdessen auf Darstellungen eines früheren Klinikdirektors, wonach die Hygiene in dem Krankenhaus systematisch auf der Strecke geblieben sei. Zuvor hatte die Gewerkschaft unter Berufung auf Mitteilungen von Pflegekräften und Reinigungspersonal die Situation als teilweise „haarsträubend“ beschrieben. Ein UKSH-Sprecher bestätigte, dass Behandlungsräume im UKSH keine Fäkalienentsorgung hätten und manche Patientenzimmer keine Toilette. Es sei kein Geheimnis, dass „die bauliche Infrastruktur des UKSH suboptimal ist“. Dies werde der baulichen Masterplan lösen.
Klinikchef Jens Scholz hat in den vergangenen Tage den Vorwurf einer unzureichenden Personalausstattung zurückgewiesen. Der Schlüssel sei besser als im Bundesdurchschnitt. Er betonte, dass es in jeder Klinik Keime gebe. Sein Haus habe es mit einem medizinischen Schicksalsschlag zu tun. Als Überträger des Keims gilt ein deutscher Tourist, der am 11. Dezember vergangenen Jahres als Notfall von einer türkischen in die Kieler Klinik verlegt worden war.
Für den Normalbürger sind diese Erreger nicht gefährlich. Die Klinik hat unter der Telefonnummer 0431 - 597 29 79 eine Hotline eingerichtet und plant für Donnerstag eine Infoveranstaltung. Aktuell sind noch 16 Patienten isoliert.
Bis 2019 sollen 450 Stellen an der Klinik wegfallen
Die Diskussion trifft das UKSH im Umbruch. Durch die bauliche Neuordnung hofft die UKSH-Leitung, dass dann die Arbeit effizienter wird und bis 2019 durch Altersfluktuation 450 Stellen wegfallen. Darunter sind 25 für Ärzte, 257 in der Pflege und 131 beim Service, hatte Scholz im September angekündigt. Angestrebt wird vom UKSH eine „Effizienzrendite“ von etwa 50 Millionen Euro jährlich. Das Klinikum erwirtschaftete 2013 ein Rekorddefizit von 38 Millionen Euro. Für 2014 soll das Defizit laut „Kieler Nachrichten“ mehr als 30 Millionen Euro betragen, offizielle Zahlen gibt es noch nicht. Die Gesamtschulden betrugen bereits 2014 rund 160 Millionen Euro.