Nach dem Rücktritt von Waltraud Wende als Bildungsministerin ist Britta Ernst, Frau von Hamburgs Bürgermeister, Favoritin fürs Amt. Regierungschef Albig will die Nachfolge am Dienstag bekanntgeben.

Kiel. „Warum geht sie nicht einfach?“ Oft geisterte diese Stoßseufzer-Frage in der schleswig-holsteinischen Landespolitik zuletzt herum. Jetzt hat Waltraud Wende dem massiven Druck nachgegeben und ihren Posten als Bildungsministerin in der Koalition von SPD, Grünen und SSW geräumt – zu diesem Zeitpunkt völlig überraschend.

Am Montag teilte die Staatskanzlei die Entscheidung mit, die Wende (parteilos) Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) schon am Freitag kundgetan hatte. Dass davon übers Wochenende nichts durchsickerte, war die zweite handfeste Überraschung. Das Ende von Wende im Amt kann die Koalition wieder stabilisieren.

Die Nachfolgerin – eine Frau wird es gewiss – will Albig schon am Dienstag benennen. Favoritin ist offenbar die Hamburger Bildungsexpertin Britta Ernst (53), Ehefrau von Bürgermeister Olaf Scholz und derzeit in Berlin für die SPD-Bundestagsfraktion tätig. Der damalige Spitzenkandidat der SPD, Ralf Stegner, wollte sie schon 2009 zur Ministerin machen. Wegen der Niederlage bei der Landtagswahl wurde das nichts. Als zweite mögliche Wende-Nachfolgerin wurde zunächst Sozial-Staatssekretärin Anette Langner (53) gehandelt. „Es wird keinen inhaltlichen Kurswechsel geben“, kündigte Grünen-Fraktionsvize Rasmus Andresen bereits an.

Stegner wollte Ernst schon 2009 zur Ministerin machen

Selbst nachdem die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Korruptions- und Betrugsverdachts gegen Wende einleitete, hielt Albig gegen alle Entlassungsforderungen an der Politik-Seiteneinsteigerin fest. Sogar bis vor Gericht wollte er zu der 56-Jährigen stehen – zum Unmut auch bei den Grünen. Wende war wegen ihrer Politik und umstrittener Äußerungen massiv in die Kritik geraten, im Frühjahr aber besonders durch das Bekanntwerden einer – inzwischen kassierten – Option auf Rückkehr als Professorin an die Uni Flensburg, die ihr die Hochschule für den Fall eines Ausscheidens aus dem Kabinett zugestanden hatte. Wegen der Berichte darüber schritt auch die Staatsanwaltschaft ein, die vor genau drei Wochen mit großem Aufwand nicht nur Dienst- und Privaträume Wendes durchsuchte, sondern auch die Staatskanzlei.

Erst am 4. September hatte die Koalition in einer Sondersitzung des Landtages die Oppositionsforderung nach Entlassung Wendes geschlossen abgewiesen. Sie gehe zum Tagesgeschäft über, sagte sie danach. Zwei Tage später titelten die „Kieler Nachrichten“ ein Interview mit Wende so: „Habe nie an Rücktritt gedacht“. In der vorigen Woche nahm sie noch an Kabinetts- und Landtagssitzung teil. Dann am Freitag die Rücktrittserklärung: In der schriftlichen Mitteilung schreibt Wende, die gegen sie laufende staatsanwaltliche Ermittlung „belastet mich und mein Umfeld doch in einem Maße, das ich so nicht erwartet habe“. In Anbetracht ihrer Verantwortung für die ihr übertragenen Aufgaben, für ihre Mitarbeiter, die Regierung und die Bürger Schleswig-Holstein „reiche ich hiermit meinen sofortigen Rücktritt ein“.

Piraten-Fraktionschef Torge Schmidt brachte mit der Bemerkung „Lieber spät als nie“ die Meinung vieler auf den Punkt. Selbstbewusst, streitbar, unkonventionell – Wende, die sich gern „Wara“ nennt, war anders als ihre Kollegen, ganz anders. Auch deshalb berief Albig sie im Juni 2012 ins Kabinett. Die Literaturwissenschaftlerin sollte frischen Wind in die Bildungs- und Wissenschaftspolitik bringen. Das tat sie, mit Ideen und Worten, die ihr Anhänger, aber viele Gegner und Kritiker bescherten. Ob Schulgesetz oder Lehrerbildungsreform – sie bekam fast immer Gegenwind. Die Angriffe der Opposition richteten sich weniger gegen Wende und mehr gegen ihre Politik, argumentierte die Koalition und hatte damit gewiss zumindest zum Teil auch Recht.

Anzeichen für Wendes Rücktritt gab es nicht

An Wende entzündete sich auch wieder die Frage, wie sinnvoll es ist, Seiteneinsteiger in die Politik zu holen. Ihr Rücktritt fiel zeitlich zusammen mit dem Erscheinen eines Buches, in dem eine andere gescheiterte Quereinsteigerin Albig und seiner Regierung Machtmissbrauch vorwirft: Kiels Ex-Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke (SPD). „Als Profipolitikerin sehe ich mich nicht – und ich weiß auch nicht, ob das mein Ziel ist“, sagte Wende 2012 ein halbes Jahr nach Amtsantritt. Albig nannte seine Ministerin mutig und klug. Andere in der Koalition bescheinigten ihr „Selbstüberhöhungstendenzen“.

Anzeichen für Wendes Rücktritt gab es in den letzten Tagen nicht. Aus ihrem Ministerium hieß es am Montag, viele seien aus allen Wolken gefallen. Albig bescheinigte ihr „hervorragende Dienste für das Land“.

Albig war stets Wendes großer Rückhalt, er band sogar sein Schicksal an ihres. Teils zähneknirschend folgte ihm die Koalition geschlossen. Deren Erscheinungsbild litt unter dem Dauer-Zoff um Wende. Nun hofft die Regierung, sich wieder mehr auf ihre Arbeit konzentrieren zu können.

Wende sei zuletzt nicht mehr handlungsfähig gewesen, konstatierte FDP-Vormann Wolfgang Kubicki. „Inwieweit sich der Ministerpräsident selbst von dieser Causa erholen wird und eigene Handlungsfähigkeit zurückgewinnen kann, werden die kommenden Wochen zeigen.“

Reaktionen auf den Rücktritt

SPD-Fraktionschef Ralf Stegner betonte, Wende habe in ihrem Bereich den Politikwechsel im Land maßgeblich mitgestaltet. Nach Ansicht der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Eka von Kalben ändert der Rücktritt nichts daran, „dass wir an unserem Ziel, mehr Bildungsgerechtigkeit in Schleswig-Holstein zu erreichen, festhalten werden“. Ähnlich äußerte sich SSW-Fraktionschef Lars Harms, auch er dankte Wende und wünschte ihr „alles Gute für die Zukunft“. Der GEW-Landesvorsitzende Matthias Heidn betonte, „Wende stand für eine fortschrittliche Bildungspolitik. Deshalb danken wir ihr für ihren Einsatz und ihr Engagement. Viele ihrer Ideen fanden die Zustimmung der GEW.“ Energieminister Robert Habeck (Grüne) sagte, „Wende brannte für die Reform der Bildung“. „Ich wünsche Ihr von Herzen, dass Sie jetzt schnell Abstand zu dem Politikbetrieb gewinnt und dass die Verletzungen, die es sicher gibt, heilen.“ Die CDU hielt Albig vor, viel zu lange an Wende festgehalten zu haben. „Es ist offensichtlich, dass er zu Lasten des Landes den Wahlsonntag in Thüringen und Brandenburg abgewartet hat“, meinte der CDU-Landesvorsitzende Reimer Böge.

„Mit ihrem Rücktritt hat Frau Wende die Konsequenzen aus einer tragischen und am Ende zweifelhaften Karriere als Wissenschaftsministerin gezogen“, äußerte Torge Schmidt von den Piraten. Wende haben nun den Weg freigemacht für einen unbelasteten Neustart in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik. „Piraten verbinden mit diesem Neustart die Hoffnung auf eine Rückkehr zur Sachpolitik und ein Ende der politischen Lähmung.“