Anrufe ja, Druck auf Richter nein: Die Justizministerin widerspricht Verdacht und bekennt sich zur richterlichen Unabhängigkeit.
Kiel. Schleswig-Holsteins Justizministerin Anke Spoorendonk hat den Verdacht zurückgewiesen, ihre Mitarbeiter hätten das Amtsgericht Neumünster im Fall eines Sextäters unter Druck gesetzt oder dies versucht. Vor dem Innen- und Rechtsausschuss des Landtags bestätigte die SSW-Politikerin am Mittwoch zwar Anrufe eines Abteilungsleiters ihres Ministeriums bei dem Gericht. Das Ressort habe aber keinen Einfluss auf die Entscheidung des Amtsgerichts genommen, die Observation eines Sextäters zu verlängern. In der Opposition bleiben Zweifel.
Der Sexualtäter aus Neumünster wird seit April von der Polizei beobachtet. Der ehemalige Abteilungsleiter einer Bank saß wegen Missbrauchs von 99 Jungen neun Jahre in Haft. Er lebt unweit eines Kindergartens und wurde wegen Verstoßes gegen richterliche Auflagen zu vier Monaten Haft verurteilt, weil er sich wieder Kindern genähert hatte. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da der Verteidiger Berufung einlegte. Darüber muss nun das Landgericht entscheiden.
Dem Ministerium zufolge hatten die Anrufe das Ziel, sich über den Sachstand zu informieren. In dem Fall, der im August großes Aufsehen erregte, ging es um die abgebrochene Observation eines einschlägig vorbestraften Sexualtäters, der zahlreiche Jungen missbraucht hatte. Laut Spoorendonk gab es keinen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit und auch keinen derartigen Versuch.
+++ Sexualstraftäter weiter unter Beobachtung +++
Die zuständige Amtsrichterin hatte die Observation des verurteilten und offenbar nicht therapierbaren 72 Jahre alten Mannes zunächst nicht verlängert und zuvor auf einer Anhörung bestanden. Diese sollte erst nach einer Woche stattfinden. Vor diesem Hintergrund kamen in Neumünster Ängste von Eltern auf, zumal der 72-Jährige sich inzwischen schon wieder Kinder genähert haben soll.
Nach Telefonaten des Abteilungsleiters aus dem Ministerium mit dem Direktor des Amtsgerichts verlängerte dieser in Abwesenheit der für den Fall zuständigen Richterin die Observation des Mannes bis Ende Oktober. Ihr sei bewusst, dass der zeitliche Zusammenhang zwischen den Kontakten und dem Observationsbeschluss die Idee aufkommen lassen konnte, es könnte einen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit gegeben haben, räumte Spoorendonk bereits in einem Brief an die Richterverbände ein. Nach ihren Worten sah sich der Direktor des Amtsgerichts nach eigenem Bekunden nicht aus Kiel unter Druck gesetzt. Es stehe fest, dass er seine Entscheidung, die Observation fortzusetzen, aus freien Stücken getroffen habe.
Aus Sicht von FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki hatte der entsprechende Anruf aus Kiel nur den Zweck, die gewollte Richterentscheidung herbeizuführen. Für ihn habe die Ministerin den Verdacht der Einflussnahme ihres Hauses nicht ausgeräumt.
+++ Kritik an FDP-Spitze wegen Umgangs mit Justizministerin +++
Der direkte Weg an das Amtsgericht ist dem Ministerium rein formal nicht strikt verboten, entspricht aber nicht dem üblichen Dienstweg. Laut Spoorendonk hatte ihr Haus zunächst vergeblich versucht, die Spitze des Kieler Landgerichts einzuschalten, bevor sich der Abteilungsleiter direkt an das Amtsgericht wandte. Sie geht davon aus, dass sich das Ministerium in Eilfällen auch einmal direkt an die Verwaltung eines Amtsgerichts wenden darf. „Der Aufklärungsbedarf in der Richterschaft war groß“, räumte Spoorendonk ein. Inzwischen seien die Irritationen aus ihrer Sicht aber ausgeräumt, sagte die Ministerin in ihrem ausführlichen Bericht an den Ausschuss.
FDP-Fraktionschef Kubicki stellte im Ausschuss vergeblich die Frage, ob der Stellvertreter anstelle der in dem Fall zuständigen Richterin auch dann entschieden hätte, wenn er nicht aus Kiel angerufen worden wäre. Der 72-Jährige sei nach Spoorendonks Bericht im Frühjahr auch längere Zeit nicht beobachtet worden. Staatssekretär Eberhard Schmidt-Elsaeßer entgegnete, die Richterentscheidung falle in den geschützten Bereich der richterlichen Unabhängigkeit. Deren Bedeutung sei sie sich zu jeder Zeit bewusst, versicherte Spoorendonk.
Angesichts der Vorgänge um die Observationsentscheidung hatte die FDP Aufklärung vor dem Landtagsausschuss beantragt. Schon der Verdacht, die Regierung könne sich in Richterentscheidungen einmischen, wird im Norden besonders sensibel verfolgt. Erst im vorigen Jahr hatte der damalige Innenminister Klaus Schlie (CDU) in einem Brief an die zuständige Richterin die Verurteilung eines Polizisten wegen vorsätzlicher Körperverletzung – der Beamte setzte gegen einen Ruhestörer Pfefferspray ein – als „nicht unproblematisch“ bezeichnet. Schon damals entbrannte deshalb eine heftige Debatte.
Im aktuellen Fall forderte der Richterverband, schon der Anschein einer möglichen unzulässigen Einflussnahme auf richterliche Entscheidungen dürfe sich nicht wiederholen. „Selbst in bester Absicht darf sich das Justizministerium nicht unmittelbar an ein örtliches Gericht wenden, das sich gerade in einem Entscheidungsprozess befindet“, erklärte der Verbandsvorsitzende Wilfried Kellermann. Das Ministerium habe den Dienstweg missachtet. Harte Kritik am Ministerium war auch vom zweiten Richterverband gekommen, der Neuen Richtervereinigung.
(dpa)