Wahlkampf auf allen Kanälen: Nicht nur im Netz, auch auf Schleswig-Holsteins Straßen gehen die Newcomer eifrig auf Stimmenfang.
Kiel. Zwei Männer auf einer Bank, Blick aufs Meer: „Und? Schon gehört?“ fragt der eine im schönsten norddeutsch. „Hm?“ brummt der andere zurück. „Die Piraten kommen!“ Eine Vorhersage? Oder Warnung? So fängt jedenfalls der Werbespot der Piratenpartei zur Landtagswahl am 6. Mai an. Er ist nicht im Fernsehen zu sehen, so wie die Werbung der etablierten Parteien. „Dafür reichte unser Budget nicht“, heißt es von den Piraten. Aber im Internet wurde der Clip in wenigen Wochen bei YouTube knapp 15 000 Mal geklickt. Das Netz ist Heimatgewässer der Piraten. Hier schlagen sie im Wahlkampf auch über ihre Websites und Twitter eine große Welle, aber nicht nur hier.
In „jedem Kuhdorf“, so die Piraten, die nach ihrem Erfolg 2011 in Berlin zunächst als Großstadtphänomen galten, haben sie im Norden plakatiert. Besonders beliebt ist das Motiv mit dem Mann, der skeptisch nach oben guckt, dazu der Slogan: „Trau keinem Plakat. Informier dich.“ Dass die Piraten eine andere Art von Politik wollen, gehört zu ihrer Programmatik und Wahlkampfstrategie. „Viele Menschen vertrauen den Parteien nicht mehr, aber das ist nicht nur Frust, das hat eine neue Qualität“, glaubt die Ex-Bundesvorsitzende der Grünen, Angelika Beer, die nun für die Piraten in den Landtag will und in dem engagierten Straßenwahlkampf mitmischt.
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„Möchten Sie eine Zeitung?“ fragt Beer eine ältere Dame am Infostand in Neumünster. „Ja, unbedingt“, sagt die 68-Jährige und nimmt einen „Kaperbrief“. „Ich habe Sie schon per Briefwahl gewählt. Mal sehen, ob ich das richtig gemacht habe.“ Rentner, Schüler, Mütter, Anzugträger – sie alle kommen und sind neugierig auf die Partei, die es in Deutschland seit 2006 gibt. Leider ist das Wahlprogramm vorübergehend vergriffen, wohl auch wegen der „Plagiatsaffäre“. Die nordischen Piraten hatten von einem anderen Landesverband abgekupfert. Geschadet hat ihnen das nicht. „Als das bekanntwurde, ging unser Wahlprogramm weg wie warme Semmeln“, sagt Beer. Der Titel heißt „Jetzt mit mehr Inhalt“, kritisieren doch die etablierten Parteien immer wieder, die Piraten hätten keine Inhalte.
„Wenn wir keine Inhalte hätten, würden wir gar nicht zur Wahl antreten“, sagt Spitzenkandidat Torge Schmidt im Parteibüro in Kiel. Die Stimmung ist bestens, man genießt das große Interesse. Patrick Ratzmann beantwortet viele Presseanfragen. „Ich verbringe hier meinen Jahresurlaub. Lange Tage seien normal, sagt der 30 Jahre alte Pressesprecher. „Aber das ist gut. Wann kann man schon mal so nah dran sein an einem politischen Wahlkampf?“ Uli König, Kandidat mit Listenplatz 3, ergänzt: „So nah dran, die Welt zu verändern!“ „Nun mal nicht ganz so pathetisch“, meint Ratzmann. Aber König bleibt dabei: „Guck dir doch an, wie die anderen vor uns zittern.“
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Bei neun Prozent standen die Piraten in Umfragen zuletzt. Aus Königs Sicht sehen vor allem die Grünen sie als Konkurrenz. Gespannt sind die Wahlkämpfer deshalb auf eine Podiumsdiskussion. Da trifft Schmidt, 23, auf Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck. „Im Endeffekt muss man cool bleiben. Das ist das Wichtigste“, meint Schmidt. Lässig sitzt er dann im Piraten-T-Shirt, mit Turnschuhen und Jackett auf der Bühne. Wenn die Gegner immer wieder auf einen Mangel an Inhalten bei den Piraten zielen, hält Schmidt allerdings nur teilweise dagegen.
„Die Programmatik steht, wie bei allen anderen Parteien auch“, betont er zwar und sagt was zum bedingungslosen Grundeinkommen oder zur Schuldenbremse. Bei einigen Themen muss Schmidt passen. Er gibt zu: „Wir haben noch Lücken im Programm, da müssen wir noch Arbeit machen.“ Er gesteht Fehler ein, etwa wenn es um rechte Entgleisungen Einzelner geht. „Das war selten dämlich.“ Nach dem Auftritt findet er: „Hätte besser laufen können.“ Es ging leider kaum um Datenschutz oder Urheberrecht. Aber Schmidt bleibt wenig Zeit, sich zu ärgern. Er geht noch zu einem der Piraten-Stammtische, die im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielen.
Rund zwanzig Leute sind da zum Schnuppern. Das Szenario wirkt fast wie eine Selbsthilfegruppe. Jeder stellt sich reihum vor. Wer dran ist, hält einen Gegenstand, eine Flasche. „Ich bin Gregor“, sagt ein junger Mann und beschreibt, was viele Neulinge teilen: „Ich bin wahnsinnig enttäuscht von den anderen Parteien.“ Ob die Piraten inhaltliche Lücken haben, spielt in dieser Runde kaum eine Rolle. Ein Mann erklärt es so: „Ich weiß noch nicht genau, wo die Reise hingeht. Das wisst ihr selbst vielleicht noch nicht so genau. Aber ich finde toll, dass sich Menschen gefunden haben, die etwas Neues machen.“ (dpa)