Wedel. Das Fadenkreuz, die Solar-Technik, Know-How fürs Weltall – alles in der Stadt an der Elbe erfunden. Diese Erfinder kamen aus Wedel.

Was kaum jemand weiß: Die Stadt Wedel ist Geburtsstadt von Welterfindungen, scheint also ein exzellentes Pflaster für Tüftler zu sein – und der Gründergeist schwebt noch immer durch die Stadt an der Elbe: Denn gegenwärtig fördert die Fachhochschule ambitionierte Gründer in ihren Projekten, zuletzt hat die Stadt auch den Zuschlag für das Gründerzentrum im Kreis Pinneberg erhalten.

Welche Innovationen künftig ihre Geburtsstunde in der Rolandstadt feiern, kann noch niemand vorhersagen. Doch ein Blick in die Vergangenheit im Möller Technicon, dem Industriemuseum der Stadt, zeigt, dass es schon seit Jahrzehnten viele kluge Tüftler und sogar ein „Universalgenie“ gab.

Photovoltaik: AEG in Wedel leistete Pionierarbeit

Die letzte weltweit bekannte Qualitätsarbeit „Made in Wedel“ ist historisch betrachtet noch nicht allzu lange her. „In der Solartechnik war AEG aus Wedel einst führend. Das Weltraumteleskop Hubble wird zum Beispiel mit diesen Solar-Panels betrieben“, sagt Rudolf de Wall.

Industriemuseum Wedel, Rudolf de Wall, Technik VHS
Industriemuseum Wedel, Rudolf de Wall, Technik VHS © Frederik Büll | Frederik Büll

De Wall ist aus Holm und gehört zu einem achtköpfigen ehrenamtlichen Team, das sich am Rosengarten in Wedel um die industrielle Stadtgeschichte kümmert, und sie mit größter Liebe zum Detail aufarbeitet.

Solar-Technik seit Mitte der 1990er nach China gewandert

Seit Ende der 60er-Jahre war im Bereich der Solar-Technik in Wedel geforscht worden, doch Mitte der 90er-Jahre habe die Bundespolitik „gepennt“ und die Produktion und Weiterentwicklung von Solar-Technik wanderte komplett nach China. Damit einhergehend begann auch der Qualitätsverlust, merkt de Wall an.

Doch vor allem eine andere Firma habe Wedel auf die Weltkarte gesetzt: Die ehemaligen Möller Werke. Firmengründer Johann Diedrich Möller war für de Wall so etwas wie ein „Universalgenie“.

Gründer der Möller-Werke schlug ein Kunststudium in Paris aus

Er wurde 1844 in Wedel geboren und absolvierte zunächst eine Malerlehre beim damals bundesweit bedeutendsten Maler Carl Martin Laeisz, Bruder des Hamburger Reeders Ferdinand.

Johann Diedrich Möller gründete 1864 die Möller Werke in Wedel.
Johann Diedrich Möller gründete 1864 die Möller Werke in Wedel. © Uni Hamburg | Uni Hamburg

Wegen herausragender künstlerischer Leistung erhielt Möller von der Patriotischen Gesellschaft in Hamburg ein Stipendium für ein Studium an der Kunstakademie in Paris. Doch er lehnte ab – und wollte anscheinend lieber in der Industrie Karriere machen. Und Geld verdienen: 1864 gründete er J.D. Möller Wedel – ein optisches Institut.

Mit Bildern von der Kieselalge zum Reichtum

Mit seinen Arbeiten auf dem Gebiet der Diatomeenforschung – kunstvoll angeordnete Kieselalgen für optische Geräte wie zum Beispiel das Mikroskop – kam er zu beträchtlichem Reichtum.

Arrangierte Kieselalgen unter dem Mikroskop. (Symbolbild).
Arrangierte Kieselalgen unter dem Mikroskop. (Symbolbild). © Matthias Burba

„Er wurde mit diesen Arbeiten weltberühmt und war damit der erste Wedeler, der Wedel in der ganzen Welt bekannt gemacht hat“, erzählt de Wall. Möller, der früh ein Faible für Linsen und optische Geräte entwickelt hatte und Monopolist auf dem Gebiet war, sei in der Wissenschaft hoch anerkannt gewesen.

1876 wurde er etwa in Wien für seine fotografischen Arbeiten, speziell auf dem Gebiet der Mikrofotografie, ausgezeichnet. Der Wedeler sei auch der Begründer der Mikrofilmtechnik, erklärt de Wall. Schon 1896 baute Möller Kameras und eigene Fernrohre.

Spargel und Selters: Umtriebiger Geschäftsmann J. D. Möller

Und Möller war als „Allrounder“ (O-Ton de Wall) äußerst geschäftstüchtig auf unterschiedlichsten Feldern: 1887 baute er eine Seltersfabrik am Rosengarten 10 auf und belieferte damit ganz Schleswig Holstein. Zudem baute er Spargel an und verbesserte diesen durch neue Züchtungen – 1897 erhielt er eine Auszeichnung auf der Gartenbauaustellung für den Wedeler Spargel.

Sein Beerenobst verwandelte er über den Zwischenschritt Wein und eine Destillation zu Weinbrand – Jahresproduktion: etwa 20.000 Liter.

Verbesserung der Reflektion in optischen Geräten

In seiner eigentlichen Kernkompetenz, der Optik, entwickelte J.D. Möller „ein Verfahren zur Glasversilberung und erreichte damit ein um vier Prozent höheres Reflektionsverhalten als mit den bis dahin bekannten Verfahren“, so de Wall über den ersten Steuerzahler Wedels.

Der Pionier des Wedeler Industriezeitalters im 19. Jahrhundert war pfiffig: Er hatte mehrere Patente auf seine Entwicklungen eintragen lassen. „Er hat Wedel in der ganzen Welt bekannt gemacht, das ist heute leider in Vergessenheit geraten. Viele Genies mit dieser universellen Qualität hat Wedel nicht hervorgebracht“, lobt der 77 Jahre alte de Wall, der einst in einem Hamburger Unternehmen für Militärtechnik tätig war.

Die Möller-Werke profitierten von den Weltkriegen

Hugo Möller, der zweitälteste Sohn von Johann Diedrich Möller, übernahm nach dem Tod seines Vaters 1907 die Firma. Er baute die in J. D. Möller Optische Werke Wedel / Holstein umbenannte Firma um: Die Firma profitierte dabei stark vom Ersten Weltkrieg. 1915 gab es 400 Mitarbeiter.

Nach dem Krieg entwickelten Hugo und Buder Otto Möller ein neues Prisma für Ferngläser, das für eine 25-prozentige Verbesserung der Helligkeit sorgen sollte. Schnell stieg der Absatz der Möller–Ferngläser weltweit an.

Hugo Möller traf das Who-is-Who der Wissenschaft

1920 wurde Hugo Möller als einziges, nicht-akademische Mitglied in die Physikalisch-Technische Reichsanstalt in Berlin berufen. Dort saß er am Tisch mit den großen Wissenschaftlern jener Zeit wie etwa Albert Einstein oder Otto Hahn.

Rudolf de Wall vor einem Foto des alten Fabrikgeländes: Für das Schleifen der Linsen wurde viel sauberes Wasser benötigt. Der Wasserturm wurde noch bis 2016 genutzt.
Rudolf de Wall vor einem Foto des alten Fabrikgeländes: Für das Schleifen der Linsen wurde viel sauberes Wasser benötigt. Der Wasserturm wurde noch bis 2016 genutzt. © Frederik Büll | Frederik Büll

Und Hugo Möller hatte auch eine soziale Ader: Er bohrte auf seinem Grundstück Tiefbrunnen und versorgte die Stadt Wedel mit Trinkwasser, ein 56 Kilometer langes Leitungsnetz im Stadtgebiet war in seinem Besitz.

Wolfahrtsverein für bedürftige Mitarbeiter

1939 gründete er einen Wohlfahrtsverein und brachte drei bebaute Grundstücke ein. Der Erlös kam bedürftigen Mitarbeitern zugute. Der Verein war erst kürzlich aufgelöst worden.

Die Familie Möller hatte stets großen Einfluss in Wedel und wirkte auch über die Stadtgrenzen hinaus: So war beispielsweise Gretchen Möller Ende der 1920er-Jahre die erste Frau im Wedeler Stadtrat.

Rolf Möller entwickelte das Fernsehen in Deutschland

Rolf Möller, Enkelsohn des Firmengründers, promovierte in Hamburg und kam 1929 in den Vorstand der Fernseh AG in Berlin. „Er war einer der maßgeblichen Personen in der Fernsehentwicklung in den 1930er Jahren“, so der Industriegeschichtsexperte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm er die Leitung der Fernseh GmbH in Darmstadt und leistete Pionierarbeit auf dem Gebiet der Fernsehtechnik in Deutschland. De Wall: „Für seine außerordentlichen Leistungen erhielt er sowohl im In- als auch im Ausland zahlreiche Ehrungen.“

Zweiter Weltkrieg: Möller-Technik in jeder Waffe

Und das, obwohl die Möller Werke auch im Zweiten Weltkrieg aufgrund ihres optischen Know-Hows, etwa in der Zielfernrohr-Optik – das schwach sichtbare Fadenkreuz im Schussfeld ist beispielsweise eine Erfindung dieser Firma – auch im militärischen Bereich riesige Spuren hinterließen. „Es gab wohl keine Waffe im Zweiten Weltkrieg, in der kein Teil von Möller verbaut war“, meint de Wall.

Und zur traurigen Wahrheit in der Firmengeschichte gehört auch: Es gab Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Noch heute existieren Listen darüber. Die Männer und Frauen kamen beispielsweise aus Frankreich, Russland oder Polen. „Das ist bitter, man kann es aber auch nicht verschweigen oder leugnen“, sagt der Holmer.

Kurz nach Kriegsende wurde weitergearbeitet

Nach dem Kriegsende wurde unter Aufsicht der Besatzung schon im August 1945 wieder gearbeitet. Doch der Schwerpunkt der Tätigkeiten verlagerte sich in die Medizintechnik – speziell Augendiagnostik.

„Hierfür wurden zahlreiche Geräte und Ausstattungen entwickelt und weltweit verkauft. Wie immer mit höchster Qualität“, so Rudolf de Wall. Zum Beispiel sind Handgeräte zur Messung des Augeninnendrucks in Wedel entwickelt worden.

Helmut Walter entwickelte U-Boot-Antriebe

Ebenfalls in die Riege der bedeutenden Wedeler Forscher einzuordnen ist Helmut Walter, der 1900 in Wedel geboren wurde. Er studierte Ingenieurwissenschaften und entwickelte Schiffsantriebe, vor allem für U–Boote. „Er gründete die Walter Werke 1935 in Kiel und war zu der Zeit schon ein bedeutender Spezialist auf dem Gebiet der Raketenantriebe. Schon 1936 beschäftigte er mehr als 300 Mitarbeiter“, erklärt der leidenschaftliche Hobby-Historiker aus Holm.

Streng geheimes Versuchslabor auf dem Firmengelände

In Wedel richtete er auf dem Gelände der Möller Werke ein streng geheimes Versuchslabor ein, das bis Kriegsende dort angesiedelt war. Nach dem Krieg war Walter verhaftet worden, aufgrund seiner Expertise erhielt er jedoch schnell Job-Angebote und war zunächst in England und später in den USA aktiv.

Mehr aus Wedel

„Dort erreichte er in politischen und in beruflichen Fachkreisen große Anerkennung und Popularität durch diverse Auszeichnungen“, erwähnt de Wall. 1956 besuchte Helmut Walter Hamburg und wurde dort auch geehrt. Dass in diesem Zuge nie Wedel erwähnt worden war, ärgert den Holmer schon ein wenig

1954 erhielt Hugo Möller das Bundesverdienstkreuz

1954 erhielt Geschäftsführer Hugo Möller das Bundesverdienstkreuz zum Anlass des 90-jährigen Firmenjubiläums. Vier Jahre später verstarb er. Im Alter von 72 Jahren verstarb 1976 Eduard Schüller in Wedel.

Im Möller Technicon gibt es viele technischen Errungenschaften, wie etwa aus dem Tonband-Bereich, zu entdecken.
Im Möller Technicon gibt es viele technischen Errungenschaften, wie etwa aus dem Tonband-Bereich, zu entdecken. © Frederik Büll | Frederik Büll

Er war in den 1950er-Jahren beruflich zu AEG-Telefunken gewechselt und trieb als Tonband-Experte maßgeblich die Entwicklung des VHS-Rekorders voran.

In einem VHS-Rekorder steckt auch das Wissen eines klugen Kopfes aus Wedel.
In einem VHS-Rekorder steckt auch das Wissen eines klugen Kopfes aus Wedel. © Frederik Büll | Frederik Büll

Es gebe laut Rudolf de Wall noch viele weitere Beispiele für wichtige Persönlichkeiten aus Wedel. Etwa den emeritierten Professor Dr. Mergenhagen, der in Wedel wohnt. Er erforschte einst für das Desy-Institut das Verhalten von Algen in der Schwerelosigkeit.

Auf dem Möller-Areal, das schon bald umgebaut werden soll, wird ebenfalls noch gearbeitet : Die mittlerweile zur Haag-Streit-Gruppe gehörende traditionsreiche Firma am Rosengarten produziert als Möller-Wedel Optical GmbH weiterhin Messgeräte.

Möller Technicon ist einmal im Monat geöffnet

Wie viele Exponate und Dokumente es im Wedeler Industriemuseum aus der Vergangenheit insgesamt gibt, könne de Wall nicht genau sagen, die Sichtung laufe noch. Und es kämen stets neue Schätze hinzu.

Wer mehr erfahren möchte: Das Möller Technicon (Rosengarten 10) – Außenstelle des Stadtmuseums Wedel – ist jeden ersten Sonnabend im Monat zwischen 14 und 18 Uhr geöffnet. Führungen, etwa für Schulklassen, sind auch zu anderen Zeiten möglich. Regelmäßig gibt es auch in den Ferien Aktionen des Möller Technicons. Kontakt: technicon-stadtmuseum@wedel.de