Moorrege. Erste Bagger für die Gasleitung vom LNG-Terminal Brunsbüttel rollen bereits im Kreis Pinneberg. Die Kritik ebbt nicht ab.
Seit einigen Tagen rollen die Bagger, aber nicht alle in der Marsch sind glücklich darüber: Eine insgesamt 54 Kilometer lange Gaspipeline wird durch den Kreis Pinneberg gebaut, damit bereits Ende des Jahres Flüssigerdgas vom LNG-Terminal in Brunsbüttel bis zur Verteilerstation nach Hetlingen fließen kann. LNG steht für Liquefied Natural Gas. Spätestens seit dem Ukraine-Krieg gilt es als wichtiger Energiebaustein – und Streitpunkt.
Um die Energieversorgung zu sichern, setzt die Bundesregierung auf diese Technik. Ausbleibende Gaslieferungen aus Russland sollen kompensiert werden. Per Schiff kommt das Gas aus Ländern wie Katar – und wird dann verflüssigt in die Rohre geleitet. Die umstrittene Technik soll zukunftssicher sein. Später soll nach Betreiberangaben auch das Durchleiten von umweltfreundlicherem Wasserstoff möglich sein.
LNG: „Wütend und traurig“ – Bauer in Sorge wegen XXL-Pipeline
In der Marsch gibt es massive Bedenken hinsichtlich des Projekts der Gasunie Deutschland. Hans-Peter Stegert ist einer der Landwirte aus dem Kreis, über dessen Acker-Flächen die Trasse laufen wird. Weitere betroffene Gemeinden im Kreis sind Raa-Besenbek, Seester, Seestermühe, Groß-Nordende, Moorrege, Haselau, Haseldorf, Heist und Hetlingen.
Er befürchtet massive Schäden an seinen Böden – und dem gesamten sensiblen Moorgebiet der Region. Wie auch die Besitzer der umliegenden Höfe, mit denen sich Stegert in regem Austausch befindet.
Landwirt unterschreibt Vertrag mit Gasunie „zähneknirschend“
Lange Zeit hat er sich gegen das Projekt gewehrt, doch letztlich unterschrieb er einen Nutzungsvertrag. Sein Anwalt habe ihm zu diesem Schritt geraten. Mitarbeiter der Gasunie Transport Deutschland GmbH dürfen nun die Pipeline auf seinen Flächen verlegen.
1,20 Euro pro Quadratmeter zahlt der Pipelinebetreiber als Entschädigung. Ein Teilstück der Leitung verläuft rechtwinklig um seinen Hof herum. Stegert hat „zähneknirschend“ unterschrieben.
Besitzeinweisung bei Härten – eine Landwirtin lässt es darauf ankommen
„Sonst hätte eine sogenannte Besitzeinweisung gedroht. Und dann hätte ich gar keine Rechte mehr gehabt“, sagt der Moorreger, der auf dem Hof Früchtenicht ökologische Landwirtschaft betreibt. Mindestens eine Hofbesitzerin im Kreis Pinneberg lässt diese Besitzeinweisung über sich ergehen.
Bei Besitzeinweisungen geht der Besitz auf den Projektträger vorläufig über, damit die Arbeiten ausgeführt werden können. Dafür müssen Umstände vorliegen, die dem Allgemeinwohl dienen. Eine drohende Energieknappheit und das LNG-Beschleunigungsgesetz der Bundesregierung reichen für dieses Hoheitsrecht aus.
Rohre der LNG-Pipeline haben Durchmesser von 80 Zentimetern
Die Rohre haben einen Durchmesser von 80 Zentimetern und sind in 1,20 Meter Bodentiefe verlegt. Gebaut wird die Leitung in Teilstücken von 200-Meter-Rohren. Diese Stücke werden dann zusammengeschweißt. Der Arbeitskorridor beträgt gut 35 Meter.
„Die Moorschicht ist im Kreis durchschnittlich 1,70 Meter tief. Bei mir sind nur die ersten zehn Zentimeter nicht wassergesättigt und können für die Landwirtschaft genutzt werden. Und genau diese Schicht ist lockere Blumenerde – und wird durch die Last zu einer einzigen großen Knetmasse zusammengepresst“, ärgert sich der Landwirt. Aus fruchtbarem Marschboden werde nun ein sandiger Geestboden, um überhaupt bauen zu können, so der Landwirt.
LNG-Bau: „Ein intakter und gesunder Boden ist für uns überlebenswichtig“
Der 62-Jährige sagt: „Ich als Bauer lebe vom Boden, wir Menschen leben vom Boden, ein intakter und gesunder Boden ist für uns überlebenswichtig. Wenn wir aus unserem Boden eine Wüste oder auch nur Knetmasse machen, haben wir unsere Lebensgrundlage zerstört. Dieses passiert gerade auf den mir anvertrauten Flächen auf denen diese Gasleitung gebaut wird“, so der Moorreger.
Welcher Regenwurm könne ohne Luft unter „diesen Massen von Sand und Kies und den schweren Baumaschinen auch nur einen Tag überleben?“, meint er. Diese Gedanken machen ihn „wütend, traurig und sehr betroffen.“
LNG-Bau: In der Marsch-Region laufen die ersten Vorbereitungen
33 Hektar Land hat Stegert. Aktuell laufen die ersten Vorbereitungen für eine Baustraße, am Heister Feld entsteht ein Lager. Zudem werden Fahnen und Pfähle in den Boden gesteckt, Sand und Kies aufgeschüttet, Probebohrungen gemacht, Bäume wie etwa Pappeln mussten zuletzt weichen. Mit schweren Fahrzeugen wird auch auf Ackerflächen rangiert, wenn die Bagger auf den engen Feldstraßen fahren.
Die Gasunie hat sich verpflichtet, das erarbeitete Bodenschutzkonzept einzuhalten. Die Firma habe ihm versichert, dass etwaige Schäden nach dem Ende der Bauarbeiten wieder komplett rückgängig gemacht werden. Stegert sieht nun jedoch schon zu Beginn erste tiefe Reifenspuren, die hinterlassen werden. Gerade bei nassem Wetter auf Moorgebiet dürfte nicht gearbeitet werden – eigentlich.
Hans-Peter Stegert: „25 Jahre gebraucht, um den Acker so hinzubekommen“
„Ich habe 25 Jahre gebraucht, um den Acker so hinzubekommen, wie er gerade ist“, sagt Stegert, der zusätzlich noch für den landwirtschaftlichen Buchführungsverband tätig ist.
Er baut Klee, Weizen, Dinkel, Hafer, Bohnen und Erbsen für die Futtermittel-Produktion oder Bäckereien an. Die Flächen befährt er mit Bedacht und möglichst leichten Traktoren mit Zwillingsreifen, um den Druck auf den Boden zu minimieren. Stegert besitzt auch Schafe und Schweine für die Fleischproduktion.
XXL-Trasse am Elbdeich scheiterte wegen Vogelarten
Seit 2019 waren immer wieder Alternativrouten für die bereits seit langem geplante LNG-Trasse vorgeschlagen worden, eine Route entlang des Elbdeiches hatte beispielsweise wegen dort lebender Vogelarten nicht geklappt. Nun verläuft sie eben einfach direkt durch ein Moorgebiet.
Und weil die von Gasunie getroffenen Vergrämungsmaßnahmen aktuell nicht funktionieren, ruhen sich unter anderem auch Schwäne entlang der geplanten Trasse aus. „Sie können anscheinend auch keine Schilder lesen“, sagt Stegert mit einer guten Portion Galgenhumor.
Moorrege, Königsmoor und Altenmoor: Indikator für sensible Ökosysteme
Schon Ortsnamen entlang der Trasse sind ein Indikator, dass sensible Öko-Systeme durchschnitten werden – Beispiele sind Königsmoor, Seester-Kurzenmoor oder auch Altenmoor. „Meiner Kenntnis nach werden die Böden in drei Metern Tiefe für die Bauarbeiten entwässert. Das Moor ist dann zumindest temporär tot. Wir haben den Klimawandel, überall werden Moorflächen wieder vernässt, weil sie gute CO2-Speicher sind und hier wird so ein Vorhaben politisch begrüßt und für gut befunden?“, sagt Stegert.
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Er ist sichtlich schwer genervt, auch wenn er daran nichts mehr ändern kann. Es gehe ihm aber auch um die kommenden Generationen, die die langfristigen Folgen dieses streitbaren Energieprojektes spüren werden.
Auch zu den LNG-Terminals wie in Brunsbüttel oder aber dem Plan, eines vor der Insel Rügen zu bauen, hat er eine klare Meinung: „Das wäre eine echte Schweinerei für die Insel Rügen. Nicht nur wegen der Heringe. Die Insel lebt hauptsächlich vom Tourismus. Und wer möchte gern Urlaub dort machen, wo ein mit Diesel betriebenes Schiff dauerhaft brummt und Gestank verbreitet?“, sagt der Landwirt.