Wedel. Die Wedeler Irmgard und Wolfram Jasker kämpfen seit 50 Jahren für eine bessere Welt. Was die beiden zum Dranblieben motiviert.
Manchmal geschehen einfach merkwürdige Dinge. Markus (55), Sohn von Irmgard Jasker (78), den sie in die Ehe mit Wolfram Jasker mitbrachte, wollte einst zur Bundeswehr. Problematisch: Die Eltern sind quasi seit ihrer Geburt Friedensaktivisten und haben das Herz – politisch gesehen – am linken Fleck.
„Diese Geschichte ist schon mehr als ein Vierteljahrhundert her. Aber immer noch stimmt, dass er sagen konnte: Alles, was meine Eltern tun und vertreten, ist öffentlich und wird sonnabends vor der Post verteilt“, sagt die Wedelerin. Markus habe im Gespräch mit dem Militär gesagt: „Mein Vater gibt der Polizei immer gern zwei aktuelle Flugblätter, eines für das Revier in Wedel und eines für den Verfassungsschutz.“
Wedeler Friedensaktivisten sind seit 50 Jahren im Einsatz
Pazifismus und eine Bundeswehr, die mit Waffen hantiert, schließen sich eigentlich aus. „Er hat sich sehr wohl distanziert von unserer Meinung. Wie es halt bei Jugendlichen so ist, denen die Eltern peinlich sind“, sagt sie. „Natürlich wurde er intensiv befragt, auch über vergangene Teilnahmen an Friedensdemos oder DDR-Besuche. Der Militärische Abschirmdienst hatte stets ein Auge auf uns“, so Jasker.
Der Sohn konnte zum Militär, schwenkte nach dem Grundwehrdienst aber zurück auf die Jasker-Linie und gestaltete Plakate. Bei der Bundeswehr durfte er ohnehin meist nur den Schreibdienst auf der Stube verrichten.
Zu dieser Zeit waren seine Eltern, die Ende des Jahres ihre Goldene Hochzeit feiern, in ihrem favorisierten Metier deutlich aktiver. Der Einsatz für eine friedliche Welt wurde beiden quasi in die Wiege gelegt. „Ich bin 1944 in Danzig geboren und habe das Thema mit der Muttermilch aufgesogen. Wir sind geflohen. Und dann wollte ich alles tun, damit sich so etwas nicht wiederholt“, sagt Irmgard Jasker über den 2. Weltkrieg und dessen grausame Aus- und Nachwirkungen. Die Familie floh nach Dänemark, verbrachte dort drei Jahre, ehe es nach Lübeck weiterging.
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Wie die Wedeler Friedensaktivisten einander kennenlernten
Und da zwei Stimmen für den Frieden immer lauter sind als nur eine allein, schlossen sich Irmgard und Wolfgang später privat zusammen. „Ich bin in der Bahn Richtung Wedel eingeschlafen und plötzlich hochgeschreckt, weil ich dachte, ich hätte die Station verpasst. Da rief ein Mann, dass wir noch nicht in Wedel seien“, erinnert sie sich an den Januar 1969.
Der Werkzeugmacher Wolfram arbeitete bei AEG in Wedel und studierte Ingenieurwesen in Hamburg. Seine Zukünftige war Lehrerin in der Rolandstadt an der Schule an der ABC-Straße. Bei einem weiteren Treffen in der Bahn – diesmal an der Holstenstraße – kam es zum Gespräch. Und eines kam zum anderen. Geredet wird heute noch gern und intensiv im Hause Jasker.
Beide gründeten im Frühjahr 1981 die Wedeler Friedenswerkstätten. Im Kreis wuchs die Friedensbewegung von 1978 an auf mehr als 400 Aktive. Da die räumlichen Kapazitäten erschöpft waren, sollten diese sich auf kleinere Vereine in den Gemeinden aufteilen. Zu Beginn waren es etwa 50 Wedeler Friedensaktivisten, mittlerweile sind es noch etwa die Hälfte. Durch Umzüge -- und ja, auch den Tod.
Wedel: Die Jaskers organisieren Ostermärsche und Demonstrationen
Die Jaskers sind seit 50 Jahren auf unendlich vielen Demonstrationen in der Bundesrepublik und auch den Ostermärschen in Wedel oder an Hiroshima-Gedenktagen organisatorisch und aktiv dabei, um ein Zeichen für eine bessere Welt zu setzen. Genug Gründe gab und gibt es immer: den Vietnamkrieg, Atomwaffen oder Rassismus. Auch heute noch sprechen größtenteils die Waffen – und nicht die Menschen miteinander.
Ist es nicht frustrierend, dass das eigene Handeln gefühlt wenig bis nichts bringt? „Man darf sich einfach nicht frustrieren lassen“, so Wolfram Jasker. Seine Frau zitiert Martin Luther: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Und auch Dietrich Bonhoeffer: „Mag sein, dass der Jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.“
Außerdem fängt der Frieden immer auf kleiner Ebene an. „Ein ganz wichtiges Ergebnis ist unser Beitrag zu einem guten Klima hier in Wedel, man könnte fast von einer Art menschenfreundlicher „Meinungshoheit“ hier bei uns reden. Dafür zu arbeiten lohnt sich! Wedel war und ist wirklich eine „weltoffene Gemeinde“, nicht erst seit 1990“, sagt Irmgard Jasker und meint die offizielle Auszeichnung der Stadt. Frieden fange eben „auch vor der eigenen Tür an. Das zeigt sich am Umgang mit Geflüchteten und anderen Neubürgern aus vielen Ländern ebenso wie im Einsatz für die Menschen in den städtischen Notunterkünften“, so die rüstige Wedelerin. Und dann folgt ein Satz, der keinerlei Zweifel lässt: „Friedensarbeit ist nie vergeblich. Sie hilft und heilt und tut gut.“
Wie die Wedeler Friedensaktivisten motiviert bleiben
Diese unerschütterliche Gewissheit, das komplett Richtige zu tun, hält das Ehepaar jung – und auf Zack. Als 1973 in Chile das Militär den Präsidenten Salvador Allende stürzte, flohen viele junge Chilenen nach Hamburg. Und konnten auch auf die Hilfe der Jaskers setzen. Bis heute ist noch der Kontakt zwischen Nachfahren jener und der Familie Jasker vorhanden. Wer sich in den 1970er und 1980er-Jahren leidenschaftlich für Frieden und Abrüstung einsetzte, kam zwangsläufig auch regelmäßig mit der Polizei in Kontakt.
Wolfram Jasker erinnert sich grinsend. „Wir waren auf dem Weg zu einer Veranstaltung in den Hunsrück und stellten die Autos für eine Pause ab. Als wir zurückkamen, hatte die Polizei unsere Reifenventile geklaut und die Reifen waren platt. Aber die Theologin Dorothee Sölle hatte mit so etwas gerechnet und eine Handvoll Ersatzventile dabei. Und der Lada hatte damals eine Luftpumpe an Bord. Also konnten wir unsere Tour fortsetzen.“
Wedeler Familie ständig im Einsatz für den Frieden
Festgesetzt und erst wieder von Rechtsanwälten befreit zu werden, kennen die beiden auch. Oft war die gesamte Familie unterwegs: Auch der zweite Sohn Martin (heute 47) und Adoptivtochter Dilek (43) sind von klein auf für den guten Zweck mitmarschiert – oder eben getragen worden. Sie waren zum Teil auch 1979 dabei, als in Brüssel gegen den Nato-Doppelbeschluss protestiert wurde. Die Einsatzbereitschaft der Jaskers kannte kaum Grenzen: Über einen Zeitraum von zehn Jahren stand Wolfram Jasker zwischenzeitlich jeden Sonnabend an der Bahnhofstraße, um sich mit einem sogenannten „Fluchblatt“ Gehör zu verschaffen.
Die Waffenlieferungen in die Ukraine sehen die beiden kritisch. Mehr Waffen bedeuteten auch immer mehr Tote und eine Eskalation der Gewalt. „Es gibt keinen gerechten Krieg. Ein Gebot ist: Du sollst nicht töten“, so die Wedelerin.
Was braucht man eigentlich, um sein Leben lang für Frieden zu kämpfen? „Leidenschaft, Idealismus, wenig Schlaf und Freude“, sagt Irmgard Jasker.