Wedel. Der US-Amerikaner Tucker Haymond möchte das Schlusslicht der Pro B auf Kurs bringen. Dafür wählt er eine ungewöhnliche Trikotnummer
Auf die Frage, welches deutsche Wort für ihn als US-Amerikaner besonders komisch klingt, weiß Tucker Haymond auf die Schnelle keine passende Antwort. Den Ausdruck „Boah“ als Ausruf der Verärgerung, einer allgemeinen Reaktion oder einfach als gewöhnliches Startwort einer eloquenten Kommunikation habe er bei seinen bisherigen zwei Deutschland-Aufenthalten regelmäßig vernommen.
Vermutlich wird es dem Neu-Wedeler, der fortan für die Zweitliga-Basketballer des SC Rist in der Pro B aufläuft, im Norden der Republik verdammt selten entgegenschallen. Das passt eher nach Nordrhein-Westfalen – dort spielte er zuletzt ein halbes Jahr beim FC Schalke 04 in der Pro A und zuvor bei den Köln Rheinstars (Saison 2018/19).
Wahre Ruhrpott-Romantik ist in Wedel dagegen weniger zu erwarten. Neben der sprachlichen Herausforderung steht dem 26 Jahre alten, 1,96 Meter großen und 96 Kilogramm schweren Haymond auch sportlich eine nicht ganz leichte Hürde bevor. Aus den ersten sechs Spielen der von Corona-Maßnahmen geprägten Pro B-Saison 2020/21 haben die Wedeler bisher nur einen Sieg geholt.
Tucker Haymond war bester Pro B-Scorer
Allerdings wäre es ebenso verfrüht, bereits jetzt das Weltuntergangsszenario zu predigen – die Play-off-Plätze für das Team von Cheftrainer Benka Barloschky waren schon vor dem mit 85:74 gewonnenen Heimspiel am 29. November in der Steinberghalle gegen den SSV Lok Bernau bislang nur einen Sieg entfernt. Und nun noch dichter dran. Die Leistungsdichte in der Nordstaffel ist traditionell eng, es geht in beide Richtungen schnell auf- beziehungsweise abwärts.
Nun soll Haymond helfen, die sportliche Trendwende der „Risters“ einzuläuten. Am 25. November war erstes Teamtraining. Und rechtzeitig vor seinem ersten Einsatz hat der US-Amerikaner auch die Zustimmung der Ausländerbehörde erhalten, seine Arbeitserlaubnis lag zum Match gegen Bernau; seinem erfolgreichen Einsatr mit 27 Punkten stand nichts mehr im Weg.
Inwiefern glaubt der Rist-Neuzugang, dem Team helfen zu können? „Meine Vielseitigkeit ist wohl meine größte Stärke. Was der Coach von mir verlangt, versuche ich zu erledigen. Und meine Erfahrung ist ein großer Vorteil, den ich anführen kann“, so Haymond, der in Seattle (US-Bundesstaat Washington) geboren und aufgewachsen ist.
Mit den Austin Spurs gewinnt Tucker in den USA sogar einen renommierten Titel
Mit den Austin Spurs, Kooperationspartner des NBA-Vereins San Antonio Spurs (Texas), gewann er 2018 den Titel in der renommierten G-League. „Ich habe quasi schon alle Rollen innerhalb eines Teams bekleidet. Ich war Bankspieler, der für bestimmte Dinge gebraucht wurde und war auch schon der wichtigste Akteur. Ich weiß, wie sich gewisse Aspekte anfühlen und habe einen Erfahrungsschatz, mit dem ich den jungen Spielern auch helfen kann. Ich habe viele Höhen und Tiefen erlebt“, meint Haymond, der einen College-Abschluss im Bereich Marketing hat.
Für reichlich Punkte sorgen kann Tucker Haymond ebenfalls; Mit 22,1 Punkten im Schnitt war er in der Saison 2018/19 bester Scorer der Pro B. Er wechselte im Januar 2020 nach Gelsenkirchen, um eine Liga höher in der Pro A anzutreten. In fünf Spielen lag sein Punkteschnitt bei 16,2. Starke 41,2 Prozent seiner Drei-Punkte-Würfe landeten im Korb des Gegners. Weil die hoch verschuldeten Gelsenkirchener ihr Geld lieber im Bereich des Fußballs erfolgreich verbrennen und Sparzwänge zum Rückzug der Basketballer in die Oberliga führten, kehrte Haymond zunächst nach dem Corona-bedingten Ende der Spielzeit 2019/20 zurück in die USA.
Das Leben in deutschen Städte empfindet Tucker als praktisch
Nun ist er am vergangenen Freitag nach Wedel geflogen und wohnt bis zum Ende der Spielzeit in der Rolandstadt. Die ersten Eindrücke seiner neuen Umgebung hat Haymond nach einer fünftägigen Quarantäne – unter anderem genutzt für die Anpassung an die Zeitumstellung – und negativen Corona-Tests bereits sammeln können. „An Deutschland mag ich einfach diese Begebenheiten in den Städten. Du gehst aus der Tür und hast sofort einen Supermarkt in der Nähe oder kannst mit dem Zug überall schnell hin. Das ist in den USA oft nicht der Fall. Man kommt hier einfach unkomplizierter von A nach B. Und ich mag die Kultur auch“, sagt die Wedeler Soforthilfe, die auch familiäre Wurzeln über seinen Ur-Ur-Großvater mütterlicherseits im Süden Deutschlands hat.
Ist es ihm schwergefallen, seine Heimat in ungewissen Zeiten einer Pandemie zu verlassen? Haymond: „Natürlich gehe ich damit auch ein gewisses Risiko ein. Ich hatte die Wahl, entweder zu Hause zu bleiben und vielleicht nie wieder auf höherem Level Basketball zu spielen oder hierherzukommen und dabei Basketball zu spielen. Das war schon ein Vorteil. Also habe ich mich nach Rücksprache mit meiner Familie dazu entschieden, nach Wedel zu kommen.“ Mitte Dezember soll zudem seine Frau Melondy zu ihm nach Wedel ziehen.
Deutsch lernt der US-Bürger mit einer App auf dem Handy
Als Trikotnummer hat der US-Amerikaner, der im Alter von vier Jahren mit seinem Sport begonnen hatte und es mit Elf dann ernster nahm, sich die Null ausgesucht. Früher hat er eher die 1 genommen, sofern sie frei war. „Das ist quasi ein Neustart für mich. Ich habe im Sommer intensiv an einigen basketballerischen Dingen wie zum Beispiel dem Ball-Handling gearbeitet und zudem etwa zehn Kilo abgenommen. Ich fühle mich sozusagen wie neugeboren und stärker als je zuvor. Das soll die Null neben einer gewissen Art des Understatements bedeuten. Ich möchte etwas beweisen“, erklärt er. Bislang hat er sein Leben mit Basketball-Spielen und dem Veranstalten von Camps für Nachwuchs-Akteure bestritten. Zudem war Haymond, der sich auch als regelmäßiger Trainingsgast der Towers Wettkampfhärte für die Spiele mit dem SC Rist holen soll, in der Immobilien-Branche beruflich tätig.
„Tucker ist ein echter Allrounder, der von der Position 2 bis 4 alles spielen kann“, sagt Christoph Roquette, sportlicher Leiter der Wedeler. Er ist zufrieden mit der Verpflichtung. Nach dem Kreuzbandriss von Doppellizenzspieler Hendrik Drescher Anfang des Monats habe man den Markt sondiert und die wegen der Corona-Situation nicht unbedingt leichte transatlantische Aktion – „aber die beste Option“ mit Tucker Haymond, der vor seinem Engagement beim FC Schalke 04 bis zur Vertragsauflösung vier Monate auf Zypern Basketball spielte – gewagt.
Jetzt wagt Haymond sein drittes Deutschland-Abenteuer. Auch sprachlich: „Ich übe mit einer App, ein paar Worte kommen auch wieder aus der Erinnerung.“ Vielleicht hört er in Wedel das ihm wohlbekannte „Boah“.