Barmstedt. Nach aufwendiger Evakuierung des Sperrgebietes hatten es die Spezialisten des Kampfmittelräumdienstes nicht leicht. Die Geschehnisse.
Sechs Männer, eine Bombe: In Barmstedt haben Spezialisten des Kampfmittelräumdienstes am Freitag eine fünf Zentner schwere Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft. 950 Häuser mit insgesamt 2115 Anwohnern waren vorher in einem Großeinsatz evakuiert worden. „Diese Bombe war etwas Besonderes“, sagt Oliver Kinast, Leiter des Kampfmittelräumdienstes.
Er hatte gemeinsam mit seinem Kollegen Mirko Haack um kurz nach 10 Uhr damit begonnen, den Zünder der 250 Kilogramm schweren Bombe – sie enthält 70 Kilogramm Sprengstoff – zu entfernen. Den Beginn markierte eine abgeschossene, rote Signalrakete. Schnell kam es zu jedoch zu Problemen: „Der Zünder war abgeschert“, so Kinast. Das bedeute, dass er beim Aufschlag zum Teil zerstört wurde. „Wir kamen daher mit normalem Werkzeug nicht weiter.“
Entschärfung in Barmstedt: Bombe wurde Montag bei Baggerarbeiten entdeckt
Zum Einsatz kam daraufhin eine sogenannte Wasserstrahlschneidanlage. „Wir stellen eine Kamera auf und steuern das Gerät aus sicherer Entfernung mit einer Fernbedienung“, so Kinast. Es wurde ein Gemisch aus Wasser und Sand mit hohem Druck durch eine spezielle Düse gespritzt, um den Zünder von der Bombe zu trennen.
Sie verfügt über einen Zünder am Heck sowie vorne und hinten über je eine Übertragungsladung. Die vordere Übertragungsladung konnte zuvor schnell entfernt werden. Um 12.34 Uhr war das Herausschneiden des Heckzünders erfolgreich beendet, die Bombe wurde mit Abfeuern einer grünen Signalrakete als als „entschärft“ gemeldet.
Auf dem Zünder, den Kinast im Anschluss präsentiert, ist noch das Herstellungsdatum ablesbar: August 1939. „Es muss sich um einen sehr frühen Angriff gehandelt haben“, so der Chef des Kampfmittelräumdienstes. Er gehe davon aus, dass die Bombe bereits Ende 1939 oder Anfang 1940 abgeworfen wurde.
Keine Hinweise für Barmstedt auf Bombentreffer
Kinast: „Wir hatten keine Hinweise, dass Barmstedt ein Angriffspunkt war.“ Er habe nach dem Fund Luftbilder des Gebietes ausgewertet. „Die Bombe war nicht zu sehen.“ Sie habe in zweieinhalb Meter Tiefe gelegen. Kinast: „Die meisten Bomben finden wir in vier bis sechs Meter Tiefe. Sie werden in fünf Kilometer Höhe abgeworfen und schlagen mit 300 Kilometer pro Stunde auf dem Boden auf, dringen aufgrund ihres Gewichts in der Regel tief ein.“
Er tippe auf einen Notabwurf – entweder infolge von technischen Problemen oder um mit dem noch vorhandenen Sprit zurück zur Basis zu gelangen. „Warum die Bombe nicht explodiert ist, dafür gibt es mehrere Gründe.“ Sie könne infolge des Notabwurfs nicht richtig entsichert worden sein – oder sie sei zu flach aufgeschlagen und daher nicht hochgegangen.
„Wir haben es hier mit einem Zufallsfund zu tun“, sagt Kinast, der seit 16 Jahren Bomben entschärft. Er gehe davon fest, dass sich keine weiteren Blindgänger im Umkreis befinden. Weder müssten die Anwohner ihre Grundstücke entsprechend untersuchen lassen, noch werde sich die Einstufung der Stadt Barmstedt, die nicht als verdächtige Kommune von Bombenabwürfen gilt, verändern.
Bombe in Barmstedt: Einsatzleitung hat die Bürgermeisterin
Ganz Barmstedt schien Freitagmorgen auf den Beinen zu sein. Sirenengeheul, Polizei- und Feuerwehrfahrzeuge an jeder Straßenecke. 217 Einsatzkräfte waren für die Evakuierung eingesetzt, von der 2115 Einwohner betroffen waren. Nicht alle Einwohner hätten ihre Häuser freiwillig verlassen, sagt Polizeisprecherin Sandra Firsching von der Polizeidirektion Bad Segeberg, die mit 21 Polizeibeamten vor Ort war.
Die Verbliebenen wurden noch mal angesprochen. Die Einsatzkräfte gingen von Tür zur Tür, um sie herauszuholen. Einige seien auch bettlägerig oder so krank, dass sie ihre Häuser nicht verlassen müssten, sagte Firsching. Für die Segeberger und Pinneberger Polizei sei dies der erste Einsatz dieser Art überhaupt, sagte sie.
Die Einsatzleitung hatte Barmstedts Bürgermeister Heike Döpke inne. In der Barmstedter Feuerwache hatte sie mit den 69 Feuerwehrleuten alles noch in der Nacht vorbereitet.
Die Einsatzkräfte wurden mit belegten Brötchen, Kaffee und Tee versorgt. „Barmstedt ist einmal im Krieg angegriffen worden, ganz am Ende“, sagte sie. Aber das sei am Marktplatz gewesen. Wie die am Montag bei Bauarbeiten im Neubaugebiet Bei den alten Eichen entdeckte Fliegerbombe dorthin gekommen sei, wisse keiner.
Im Rathaus war nur noch das Bürgerbüro geöffnet. Alle anderen 60 Mitarbeiter seien wegen der Bombenentschärfung und Evakuierung der Häuser im Einsatz, sagte Döpke. „Ich bin richtig begeistert, wie das alles klappt. Alle arbeiten zusammen, dafür sage ich allen herzlichen Dank. Die Hilfsbereitschaft ist groß.“
Das sah man auch an der Jugendbildungsstätte, die sich sofort bereit erklärt hatte, Menschen aufzunehmen und zu betreuen. Anja Thesdorf aus dem Weidkamp hatte kurzerhand ihre 92 Jahre alte Nachbarin Gisela Walter ins Auto gepackt und zur Bildungsstätte gefahren. „Eigentlich sollte sie vom THW abgeholt werden. Als die nicht kamen, habe ich das schnell selbst erledigt.“
Bildungsstätten-Vizeleiterin Nina Goodeve versorgte mit ihren Leuten und Hilfskräften vom DRK das Dutzend Menschen, die hier bis halb 9 Uhr eingetrudelt war, mit heißem Kaffee und Tee. Die Stimmung war gelassen. Einer füllte sogar in Ruhe Kreuzworträtsel aus.
Evakuierung: Auch eine 92-Jährige muss ihr Haus verlassen
„Da sind Experten am Start. Das dürfte nicht allzu gefährlich werden“, sagte Klaus-Dieter Hansen aus dem Kreutzkamp und hoffte, bald wieder wohlbehalten in sein Haus zurückkehren zu können. Nur Katharina Draber aus dem Weidkamp war etwas nervös. „Eigentlich habe ich heute Urlaub“, sagt die Altenpflegerin und seufzt. „Hoffentlich passiert nichts.
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Alle Evakuierten mussten sich gedulden. Die Hoffnung, dass die Entschärfung innerhalb von einer Stunde abgeschlossen werden kann, erfüllte sich nicht. „Das kann man nie vorhersagen“, sagt Sprengmeister Kinast. Zwar sei es eine Standardbombe gewesen. „Aber der Zustand jeder Bombe, die wir finden, ist anders.“
Schon nach der ersten Inspektion am Montag habe man entschieden, sicherheitshalber die Wasserstrahlschneidanlage mitzuführen. Von der Bombe, die 85 Jahre unentdeckt im Boden lag, ist laut Kinast keine unmittelbare Gefahr ausgegangen.
Sprengmeister: Bombe hätte von alleine nicht explodieren können
„Von alleine wäre die nicht explodiert.“ Dies hätte jedoch passieren können, wenn Energie auf sie ausgeübt worden wäre – etwa durch die Baggerschaufel. Bürgermeisterin Döpke zeigte sich nach der geglückten Entschärfung „erleichtert“ – und bedankte sich bei den „absoluten Profis“.