Elmshorn . Thomas Kenntemich, Chef für die Kreise Pinneberg und Segeberg, hört auf. Wie sich der Arbeitsmarkt unter seiner Ägide geändert hat.
Genau 20 Jahre lang war er Chef der Arbeitsagentur in Elmshorn, die alle Erwerbslosen in den Kreisen Pinneberg und Segeberg betreut und versucht, sie rasch wieder in Arbeit zu bringen. Es ist für Thomas Kenntemich, der jetzt mit 66 Jahren in Ruhestand geht und private Pläne verfolgt, eine echte Erfolgsgeschichte gewesen.
Die Arbeitslosenquote hat sich seit 2004 von 9,3 auf 5,4 Prozent nahezu halbiert. Der Lehrstellenmarkt hat sich stark zu Gunsten der jungen Leute und Schulabgänger gedreht. Und auch die Bearbeitung der Anträge ist durch die Digitalisierung viel schneller geworden - trotz einer Halbierung des Personals von damals 450 auf jetzt etwa 200 Mitarbeitende in der Arbeitsagentur.
Auf einen Bewerber kommen derzeit 1,5 bis 1,8 unbesetzte Ausbildungsplätze
„Der Arbeitsmarkt hat sich komplett gewandelt“, erklärt der scheidende Agenturchef. „Damals hatten wir eine Massenarbeitslosigkeit. Nun herrscht überall Fachkräftemangel.“ Wer heute einen Job oder einen Ausbildungsplatz sucht, hat viel bessere Chancen als noch vor 20 Jahren.
Das gilt vor allem für Lehrstellen-Suchende. Aktuell haben 555 Bewerber im Kreis Pinneberg beinahe die freie Auswahl bei noch 838 unbesetzten Ausbildungsplätzen, vor allem im kaufmännischen Bereich. Im Kreis Segeberg ist das Verhältnis noch besser für die Jugendlichen: Hier sind zurzeit 330 Schulabgänger noch auf der Suche nach einer Lehrstelle bei 612 freien Plätzen, insbesondere im Einzelhandel. Ein Grund dafür könnte sein, dass der öffentliche Nahverkehr im Kreis Pinneberg besser ausgebaut ist als im ländlich geprägten Kreis Segeberg, glaubt Kenntemich.
Diese komfortable Situation sollten die jungen Leute ausnutzen, rät Kenntemich. „Ich möchte ihnen Mut machen, nach der Schule eine Berufsausbildung oder ein Studium zu beginnen.“ Die Sorge vieler junger Menschen, sie würden sich damit ein Leben lang an einen Arbeitsplatz binden, sei unnötig. „Wer eine abgeschlossene Ausbildung vorweisen kann, hat viele Chancen, sich weiter zu entwickeln. Danach stehen ihnen viele Türen offen – ob im Ausbildungsbetrieb, bei einem anderen Arbeitgeber oder in einer anderen Branche.“ Der sich immer weiter zuspitzende Fachkräftemangel spiele ihnen in die Karten.
Agenturchef über seine Berufspläne: „Eigentlich wollte ich etwas im Garten machen“
Er selbst sei ein gutes Beispiel dafür, wie sich der beruflicher Werdegang und der ursprüngliche Berufswunsch nicht decken müssen. Er wollte eigentlich etwas machen, wo er im Garten hätte arbeiten können, sagt der scheidende Arbeitsagenturchef und gibt zu: „Ich kann eigentlich nichts besonders gut.“ Darum rate er Kindern und Jugendlichen: „Bleibt immer neugierig und fantasievoll. Das ist hilfreich im Leben.“
Zu dieser guten Perspektive auf dem Ausbildungsmarkt habe auch die vor zehn Jahren geschaffene Jugendberufsagentur beigetragen. Die Arbeitsagentur, das Jobcenter und die Jugendämter arbeiten seitdem gezielt zusammen, um junge Leute, die bis 25 noch keinen Job gefunden haben, eine bezahlte Beschäftigung oder eine Lehrstelle zu vermitteln. Auch mit den Schulen werde seitdem viel enger zusammengearbeitet mit Hilfe von Ausbildungsmessen und Talentförderungen. „Unser Ziel war und ist es, dass kein Jugendlicher bei der Berufswahl verloren geht“, erklärt Kenntemich.
Arbeitsamt Elmshorn: Arbeitgeber sollten Anforderungen besser auf Bewerber abstimmen
Aber auch die Unternehmer und Betriebschefs müssten umdenken, erklärt Kenntemich. Dass sich der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zugunsten der Bewerberinnen und Bewerber gedreht hat, hätten noch nicht alle richtig begriffen. Früher konnten sie bei einer großen Zahl an Bewerbungen solange suchen, bis sie den-oder diejenige gefunden hatten, die ganz genau auf diese Stelle passte. „Das hat sich grundlegend geändert“, sagt Kenntemich.
Arbeitgeber, die sich heute noch so unflexibel verhielten und nicht versuchten, den Arbeitsplatz auch auf die geringe Zahl und Qualifikation der Bewerber anzupassen, sei auf verlorenem Posten. Die Stelle werde dann lange unbesetzt bleiben, warnt er.
An die Arbeitgeber appelliert Kenntemich, ihre Erwartungen nicht zu hoch zu hängen, um nicht irgendwann vor einem gravierenden Fachkräftemangel im eigenen Betrieb dazustehen. Und sie sollten versuchen, ihren Nachwuchskräften den Sinn ihrer Aufgaben genau zu erklären, sie nicht zu hart ranzunehmen und vor allem nicht zu langweilen.
„Die Abbrecher-Quote liegt im Durchschnitt bei 30 Prozent“, warnt der scheidende Agenturchef. „Gerade kleinere Betriebe haben es hier besonders schwer.“ Darum sollten diese weniger auf die Zeugnisnoten achten und sich fragen, ob nicht auch ältere Bewerber, Migranten oder Geflüchtete oder Mütter in Frage kämen, die eine Teilzeitausbildung wünschten.
Weitsichtige Unternehmer locken ihre Fachkräfte mit Zugeständnissen an
Erfolgreiche Firmenchefs würden sich heutzutage darauf einstellen. Sie passten ihre Arbeitszeiten an, böten Vier- oder Fünf-Tage-Wochen an, lockten ihre Nachwuchskräfte mit Mitgliedschaften oder kostenlosen Bahn- und Bustickets. Manche versorgten sie mit Tablets, Mopeds und E-Bikes zum Ausleihen oder gewährten Zuschüsse für den Führerschein, um den betrieblichen Nachwuchs bei der Stange zu halten.
Dabei gab es hierzulande noch nie so viel Beschäftigung wie heute, erklärt Kenntemich. Als er vor 20 Jahren anfing, die Arbeitsagentur in Elmshorn zu leiten, gab es in den Kreisen Pinneberg und Segeberg zusammen rund 20.000 arbeitslose Menschen. Heute sind es mit genau 10.000 Erwerbslosen im Kreis Pinneberg und 8050 im Kreis Segeberg fast ebenso viele.
- Charaktertests und Youtube: So finden Einsteiger einen Job
- Gleichstellung: Zu wenig Frauen in Führung und Technik im Kreis Pinneberg
- Wechsel der Geschäftsführerin im Jobcenter Kreis Pinneberg
Aber mit 100.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten jeweils in beiden Kreisen hat sich deren Zahl um ein Viertel (Pinneberg) bis ein Drittel (Segeberg) vergrößert. „Wir haben so viele Beschäftigte wie noch nie“, sagt Thomas Kenntemich. Und dennoch grassiere in fast allen Branchen ein großer Fachkräftebedarf, was paradox wirkt.
Durch die Digitalisierung werden Anträge viel schneller bearbeitet
Aber auch die Arbeitsberater und –vermittlerinnen hätten sich an diese Entwicklung anpassen müssen. Sie gingen verstärkt in Schulen und Betriebe, um Schulabgänger und Arbeitgeber besser zu beraten. Früher mussten sie „ins Amt“ kommen. Heute könnten sich die Kundinnen und Kunden per App bequem von zu Hause aus elektronisch arbeitslos oder –suchend melden oder ihre Jobangebote einreichen.
Die Digitalisierung habe auch für die Arbeitsvermittlung vieles einfacher gemacht. Anträge auf Arbeitslosengeld würden heute viel schneller innerhalb von ein, zwei Wochen bearbeitet werden können. Wenn ein Nachweis fehle, werde das sofort per Mail an den Antragsteller übermittelt. „Das merkt man. Wir sind erheblich schneller geworden.“