Kreis Pinneberg. Ausbildung im Kreis Pinneberg: Wo Schulabgänger wichtige Infos erhalten und wie Unternehmen Mitarbeiter für sich begeistern können.
Der Ausbildungsmarkt ist weiterhin ein Bewerbermarkt. Zum Ausbildungsstart im August gab es 387 Lehrstellen mehr als interessierte Schulabgänger, zog Thomas Kenntemich von der Arbeitsagentur jetzt Bilanz. 1674 Lehrstellen standen 1287 Bewerberinnen und Bewerbern gegenüber.
Die Lücke ist zum Vorjahr noch mal um 50 zusätzliche Ausbildungsplätze zu Gunsten der Bewerber gestiegen. Dennoch seien aktuell noch 103 junge Menschen ohne Ausbildungsplatz im Kreis Pinneberg, während 256 ausbildende Betriebe noch keine Nachwuchskräfte gefunden hätten.
Agenturchef: Beide Seiten sollten die Erwartungen nicht zu hoch stecken
Darum plädiert der Agenturchef an beide Gruppen, Abstriche in ihren Vorstellungen zu machen. Wer eine dreijährige Lehre absolviere, binde sich noch keineswegs für sein ganzes Leben an diesen Beruf. Sie oder er könnte sich danach weiterbilden und die Ausbildung als Grundlage oder Sprungbrett für einen anderen Berufsweg nutzen.
Wichtig sei für die Schülerinnen und Schüler, die kurz vor ihrem Abschluss stünden, nur, dass sie sich frühzeitig informierten und in eine Richtung entscheiden mögen – nicht erst, wenn sie aus der Schule heraus sind. Vorherige Praktika seien ein guter Weg, in einen Betrieb hineinzuschnuppern. Und auch jetzt böte die Agentur suchenden jungen Leuten assistierende Hilfe an, um doch noch eine geeignete Lehrstelle zu finden.
Arbeitgeber sollten die Arbeit für junge Leute interessant gestalten
An die Arbeitgeber appelliert Kenntemich, ihre Erwartungen nicht zu hoch zu hängen, um nicht irgendwann einen gravierenden Fachkräftemangel im eigenen Betrieb zu riskieren. Zudem sollten sie versuchen, ihren Nachwuchskräften den Sinn ihrer Aufgaben genau zu erklären, sie nicht zu hart ranzunehmen und vor allem nicht zu langweilen.
„Die Abbrecherquote liegt im Durchschnitt bei 30 Prozent“, warnt der Agenturchef. „Gerade kleinere Betriebe haben es hier besonders schwer.“ Darum sollten diese weniger auf die Zeugnisnoten achten und sich stattdessen fragen, ob nicht auch ältere Bewerber, Migranten, Geflüchtete oder Mütter, die eine Teilzeitausbildung wünschten, infrage kämen.
Elmshorner Industriebetrieb bildet erstmals junge Mutter in Teilzeit aus
Genau solche neuen Wege bei der Suche nach Nachwuchskräften schlägt jetzt die Elmshorner Elektrotechnikbetrieb Zoller ein, wie Juniorchef Johannes Zoller (30) berichtet, der die Firma mit 140 Mitarbeitenden, wovon 34 Auszubildende sind, in fünfter Generation leitet.
Erstmals sei jetzt eine junge Mutter eingestellt worden, die ihre Ausbildung zur Elektronikerin in 34 statt in 40 Stunden Arbeitszeit pro Woche absolviert. So habe sie Zeit, ihr Kind zur Kita zu bringen und es wieder abzuholen.
Soziale Talente der Bewerber sind heute wichtiger als die Zeugnisnoten
Für den Jungunternehmer Zoller stünden längst nicht mehr die Schulnoten an erster Stelle, wenn er seine Nachwuchskräfte auswählt. Ihm gehe es um die weicheren, sozialen Faktoren, wie sie in den Charaktereigenschaften und in den Hobbys beschrieben würden. Wer sich da etwa für technische Dinge interessiere, Projekte gemeistert und sich als Teamplayer erwiesen habe oder ehrenamtlich bei der Feuerwehr oder im Sportverein engagiere, steche schon mal heraus.
Besonders wichtig seien aber die Berufspraktika – für beide Seiten. Der junge Mensch erkenne auf diese Weise am besten, ob ihm diese Aufgabe liege und der Ausbilder ebenfalls, ob er oder sie die Ausbildung gut durchstehen könnten.
Auszubildenden ist Verantwortung und Vielfalt der Aufgaben wichtig
Dabei könne sein Betrieb eine große Vielfalt an technischen Berufszweigen anbieten, von der Bürokauffrau bis zum Elektroniker für Anlagentechnik, vom Fahrzeuglackierer bis zum Technischen Systemplaner. Wenn es in einer Richtung nicht klappe, könne der junge Mensch auch in die anderen Berufsgruppen hineinschauen, ob ihm oder ihr das nicht besser liege, erklärt Zoller.
Diese große Bandbreite und Vielseitigkeit in der Ausbildung ist es, was auch Gino Müller (20) aus Uetersen besonders gut an seiner Ausbildung in dem Elmshorner Betrieb gefällt. Er könne selbstständig Projekte planen und konstruieren, in der Fertigungshalle oder auf der Baustelle arbeiten, sagt der angehende Elektroniker für Anlagentechnik. Und manchmal seien sie auch vor Ort bei den Windkraftanlagen, auf den Schiffen oder Luxusyachten, wo die Schaltschränke eingebaut würden.
Imagefilme mit authentischen Aussagen der Mitarbeitenden sind der Renner
Ganz neu bei der Auszubildenden-Akquise ist der Einsatz moderner Medien bei der Firma Zoller. Der Juniorchef hat mehrere Imagefilme drehen und diese in den sozialen Medien (Instagram) oder Internetplattformen (YouTube) hochladen lassen. Dazu seien bereits professionelle Filmteams engagiert worden.
Aber auch Auszubildende selbst filmten ihren Alltag an einem typischen Ausbildungstag, berichtet Johannes Zoller. Das sei der absolute Renner, und dabei würden weniger seine gefilmten Aussagen angeklickt als die der Auszubildenden, auch wenn diese mal wegen ihres migrantischen Hintergrundes nicht so gut der deutschen Sprache mächtig seien. „Aber das wirkt bei den potenziellen Bewerbern am authentischsten“, hat Zoller festgestellt. „Mit lebendigen Bildern kann man heutzutage viel besser vermitteln, was hier bei uns gemacht wird.“
Agenturchef: Der Einsatz von KI spricht junge Leute an
Diese ungewöhnlichen Wege der Selbstdarstellung seien zurzeit noch Einzelfälle, sagt Kenntemich. „Es fängt an und nimmt stark zu.“ Der Agenturchef empfiehlt den Betrieben, auch digitale Medien und künstliche Intelligenz einzusetzen. Pfiffige Bäcker könnten auf die Idee kommen, ihre Auszubildenden mithilfe von KI ausrechnen zu lassen, zu welchen Wetterlagen welche Brötchen gekauft würden, nennt er ein Beispiel.
Andere Betriebe passten ihre Arbeitszeiten an, Einzelhändler böten Fünf-Tage-Wochen an. Zoller und andere schenkten ihren Auszubildenden die Mitgliedschaft in Fitnessclubs. Auch kostenlose Bahn- und Bustickets, Tablets, Mopeds und E-Bikes zum Ausleihen oder Zuschüsse für den Führerschein seien heutzutage gang und gäbe, um den betrieblichen Nachwuchs bei der Stange zu halten.
Unternehmer: Wer gute Leistung gut bezahlt, hält seine Leute bei Laune
Aber auch die Aufstiegschancen innerhalb des Betriebes seien wichtig, erklärt Johannes Zoller. Die Ausbildungsvergütung, die je nach Lehrjahr und Ausbildungsberuf bei ihm zwischen 915 und 1145 Euro im Monat liege (bei 24 bis 30 Tagen Urlaub), sei nicht unbedingt der Faktor, der zähle. Vielmehr würde es die leistungsgerechte Bezahlung sein, die unabhängig von der Länge der Betriebszugehörigkeit die Arbeit und Wertschätzung des Mitarbeitenden angemessen honoriert.
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So hätten alle seine Führungskräfte im Betrieb gelernt; und gerade erst sei einer Fertigungsleiter geworden, der vor zehn Jahren bei der Firma Zoller angefangen habe. „Ein Guter muss auch entsprechend bezahlt werden, sonst ist er gleich weg“, sagt Johannes Zoller.
Vor allem den Handwerksbetrieben fehlt es an Nachwuchskräften
Die größte Not, Auszubildende zu finden, hätten zurzeit die Handwerksbetriebe, weiß Beraterin Katja Pockelwald. In diesem Bereich sind auch noch die meisten freien Ausbildungsplätze zu finden. Betriebe in der Region suchten beispielsweise Mechatroniker (12), Baumschulgärtner (14), Lagerlogistiker (9), Feinwerkmechaniker (7) und Bäcker (7). Auch 17 Zahnärzten, 12 kaufmännischen Betrieben und 11 Automobilhändlern im Kreis Pinneberg fehlten noch Auszubildende. Im IT- und Immobiliensektor dagegen sei noch kein Fachkräftemangel feststellbar.
Jungen wollen am Auto schrauben, Mädchen medizinische Fachkraft werden
Die beliebtesten Ausbildungsplätze sind bei den jungen Leuten je nach Geschlecht unterschiedlich. Die Jungen wollten nach wie vor am liebsten Autos mechanisch und elektronisch auseinandernehmen (65 Bewerber). Danach komme die kaufmännische Ausbildung im Einzelhandel (42), Verkäufer (33), Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik (32), Fachkraft für Lagerlogistik und Fachinformatiker in Anwendungsentwicklung (jeweils 30).
Junge Frauen bewerben sich am häufigsten als medizinische Fachangestellte (71), Kauffrau im Büromanagement (44), Zahnmedizinische Fachangestellte (30), Kauffrau im Einzelhandel und Verkäuferin (beide 28).