Halstenbek/Itzehoe. Autodiebe hätten Stefan M. fast überfahren. Ein Hechtsprung rettete ihn. Doch der Einsatz hatte trotzdem Folgen, sagt er vor Gericht.
Der Fluchtwagen der Autodiebe schoss direkt auf ihn zu, als Polizist Stefan M. kurz vor der Kollision absprang, auf der Motorhaube aufkam, sich wieder abstieß und seitlich neben dem Fahrzeug landete. „Das ist sehr vielen glücklichen Faktoren geschuldet, dass ich da heil wieder rauskam“, so der Beamte am Dienstag vor dem Landgericht Itzehoe.
Vor der Schwurgerichtskammer muss sich seit Mitte März Radowslaw R. (25) verantworten. Er saß an diesem 21. September 2023 am Steuer des hochmotorisierten Audi, der den 52-jährigen Polizeibeamten erfasst hatte. Einige Straßen weiter hatten Unterstützungskräfte das Fahrzeug gestellt. Versuchten Totschlag, gefährliche Körperverletzung, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr und tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte: Das wirft die Anklageschrift dem in Haft sitzenden Polen vor.
Polizist auf Flucht fast überfahren: Hauptopfer hat vor dem Landgericht Itzehoe das Wort
Am mittlerweile fünften Prozesstag hatte das Hauptopfer das Wort. Stefan M., ein 1,91 Meter großer, sehr erfahrener Polizeibeamter vom Revier Pinneberg, der auch als Ausbilder eingesetzt wird. „Eigentlich habe ich einen Bürojob mit wenigen Außendienstanteilen“, so der 52-Jährige. Am Tattag sei er gefragt worden, ob er kurzfristig bei der Oberservation eines gestohlenen Pkw aushelfen könne, der in der Nähe des Krupunder Sees lokalisiert worden war.
„In den allerseltensten Fällen passiert da was“, so der Polizist. Meistens warte man stundenlang vergeblich, dass sich an dem Fahrzeug etwas tut. „In der Regel werden die dann von uns eingeschleppt.“ Doch an diesem Tag war alles anders. Stefan M. hatte kurz nach 12 Uhr den zivilen Streifenwagen verlassen, um die Umgebung zu erkunden. Zu diesem Zeitpunkt lagen die Beamten bereits vier Stunden auf der Lauer. „Meine Kollege meinte schon, jetzt wird das aber zäh.“
Spektakuläre Flucht: Wagen der Autodiebe parkte das zivile Polizeifahrzeug zu
Als der 52-Jährige von seiner Runde zurückkehrte, sah er den Audi mit polnischen Kennzeichen auf dem Parkplatz stehen – direkt vor dem Zivilfahrzeug der Polizei., das auf diese Weise zugestellt war. „Ich habe so getan, als würde ich telefonieren und bin weitergegangen.“ Stefan M. beobachtete, wie eine Person aus dem Audi zu dem gestohlenen Fahrzeug ging. Der Audi wiederum fuhr langsam an und startete auf dem Parkplatz ein Wendemanöver.
„In diesem Moment hat mein Kollege, der hinten rechts saß, den Zugriff angeordnet, unser Fahrzeug verlassen und sich auf das Fahrzeug zubewegt.“ Er selbst, so Stefan M., habe sich mittig in der einzigen Zufahrt des Parkplatzes postiert. Sein Kollege sei an den Audi herangetreten und habe „Stopp Polizei“ gerufen. „Plötzlich hat der Audi auf dem Sandparkplatz extrem beschleunigt, die Räder drehten durch, der Motor heulte auf.“ Sein Kollege habe noch durch das geöffnete Seitenfenster ins Fahrzeug gegriffen, sei dann einige Meter mitgeschleift worden.
Polizist erhob die Arme, machte sich in der Ausfahrt „möglichst groß“
Er habe die Arme erhoben, sich möglichst groß gemacht, um auf sich aufmerksam zu machen und „etwas blauäugig“ gedacht, der werde schon stoppen. Irgendwann in der kurzen Zeitspanne habe er realisiert, dass dies nicht passieren wird. „Ich überlegte noch, dass ich einen Plan haben muss.“ Den legte sich Stefan M. in Sekundenbruchteilen zurecht: Kurz vor der Kollision hochspringen, auf der Motorhaube landen und dann seitlich vom Fahrzeug runterspringen.
„Nach meiner Erinnerung hat das alles auch so geklappt“, so der 52-Jährige. Er habe auf diese Weise auch einen Fußabdruck auf dem Fluchtfahrzeug hinterlassen wollen, um dieses später identifizierbar zu machen. Seine Hose sei zwar zerrissen, er habe jedoch keine Wunden oder blaue Flecke davongetragen.
Autodiebe in Halstenbek: Fluchtfahrzeug raste auf zwei Reifen durch die Kurve
„Laut meinem Kollegen bin ich über das Auto geflogen und seitlich liegen geblieben.“ Er habe jedoch eine andere Wahrnehmung. Im Anschluss habe er noch mitbekommen, wie der Audi „gefühlt auf zwei Reifen“ mit hohem Tempo nach rechts auf die Seestraße eingebogen und in Richtung Bahnhof Krupunder davongerast sei.
Im Anschluss beteiligte sich Stefan M. noch an der Verfolgung der zwei Mittäter, die aus dem Audi ausgestiegen und zum gestohlenen Toyota gegangen waren. Mit einem der Männer lieferte sich der 52-Jährige noch eine Rangelei, letztlich war der Täter jedoch kräftiger und konnte zunächst entkommen.
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Später habe er dann starke Rückenschmerzen verspürt, auch die Wade habe furchtbar weh getan. „Mein Chef hat mich ins Krankenhaus geschickt.“ Festgestellt worden sei jedoch nichts, lediglich seine Muskulatur sei überdehnt und verspannt gewesen. Er habe sich nach dem Vorfall nicht krank schreiben lassen, so der Beamte.
Die Aktion habe jedoch familiäre Folgen gehabt. „Zunächst war ich für meine beiden kleinen Söhne der Held, der Papa, der über Autos springen kann.“ Dann habe jedoch sein Jüngster Verlustängste und eine Angststörung entwickelt, sich in kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung begeben müssen.
Der gefährliche Einsatz hatte für den Beamten innerfamiliäre Folgen
Er selbst habe das Geschehen gut verarbeitet, so Stefan M. Zumindest so lange, bis er in der Zeitung vom Prozess gelesen und wenig später seine Ladung als Zeuge bekommen habe. „Seitdem ist der Vorfall wieder omnipräsent, ich befasse mich Tag und Nacht damit.“
Links von ihm in der Zufahrt sei ein Zaun gewesen, rechts eine Hecke. Den Versuch, zur Seite auszuweichen, „hätte ich unternehmen können, kam für mich aber nicht in Frage“, so Stefan M. auf Frage des Verteidigers. Ihm sei sein Plan erfolgversprechender vorgekommen.
Fahrzeug fuhr laut Gutachten mit Tempo 40 bis 45 auf den Beamten zu
Und offenbar war er das auch: Laut Muhammed Jusufi, Sachverständiger für Unfallanalyse und Fahrzeugtechnik, hätte für den Beamten die verbliebene Zeit nicht ausgereicht, um sich in Sicherheit zu bringen. Der Sachverständige hat das Fluchtfahrzeug untersucht und das Geschehen detailliert rekonstruiert.
Demnach schoss der Audi mit Tempo 40 bis 45 auf den in der Ausfahrt postierten Polizeibeamten zu. Der hätte 5,2 Meter nach links oder 6,1 Meter nach rechts zurücklegen müssen, um sich aus dem Gefahrenbereich in Sicherheit zu bringen. Das hätte 2,5 beziehungsweise 2,7 Sekunden gedauert. Laut den Berechnungen standen Stefan M. jedoch nur 2,2 Sekunden zur Verfügung.
Sachverständiger: Polizist hatte keine Zeit, sich in Sicherheit zu bringen
„Er hatte keine Möglichkeit, komplett aus dem Gefahrenbereich herauszulaufen“, so der Sachverständige. Verteidiger Gregor Jezierski sieht dies dennoch anders. Für ihn hat der Polizeibeamte die Kollision gezielt herbeigeführt, in dem er auf die Motorhaube sprang, um dort Spuren zu hinterlassen. „Es wäre ihm möglich gewesen, den Gefahrenbereich zu verlassen.“
Wie das Gericht sich in dieser Frage positioniert, könnte schon bald offenbar werden. Aktuell sind noch drei Verhandlungstage angesetzt – am 6., 21. und 24. Mai. Spannend bleibt, ob die Kammer die Aktion tätsächlich als versuchten Totschlag wertet oder letztlich auf eine gefährliche Körperverletzung erkennt.