Halstenbek/Itzehoe. Er fährt Beamte über den Haufen, flüchtet filmreif und versteckt sich. Doch Schüler in Halstenbek enttarnen den Schwerstkriminellen.
Die Flucht von Radowslaw R. vor der Polizei – sie endete in einem Gebüsch auf dem Gelände der Grundschule Bickbargen in Halstenbek. Gar kein schlechtes Versteck, wäre der Autodieb nicht von Schülern der Einrichtung beobachtet worden. Die gaben den wenig später herbeieilenden Polizisten den entscheidenden Tipp zum Standort des Mannes. Zielsicherer als jeder Spürhund.
Das berichtete ein Beamter am dritten Prozesstag vor dem Landgericht Itzehoe. Dort muss sich der 25 Jahre alte Pole wegen versuchten Totschlags, gefährlicher Körperverletzung, gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sowie tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte verantworten. All das ist die Konsequenz seiner waghalsigen Flucht vor der Polizei am 21. September vorigen Jahres.
Drei Männer kommen aus Polen, um gestohlenen Toyota außer Landes zu bringen
Radowslaw R. war gemeinsam mit zwei Komplizen aus Polen angereist, um einen in Hamburg gestohlenen Toyota RAV in Halstenbek „aufzusammeln“ und in sein Heimatland zu transferieren. „Es kommt immer wieder vor, dass gestohlene Fahrzeuge irgendwo abgestellt werden und am Folgetag, teilweise auch von anderen Personen, abgeholt werden“, so Polizist Rico S. (33).
Er war an diesem Tag Einsatzleiter der verdeckten Operation der Polizei, die vier Zivilbeamte in zwei zivilen Fahrzeugen in der Nähe des entwendeten Toyota postiert hatte. Vorausgegangen war am Morgen des 21. September ein Anruf des Hamburger Landeskriminalamtes. „Die hatten das Fahrzeug mittels der Geodaten in Halstenbek geortet.“
Polizei observiert gestohlenes Fahrzeug mit vier Zivilbeamten
Rico S. schickte zwei Kolleginnen an den möglichen Abstellort. Die fanden das gestohlene Fahrzeug nach längerer Suche, abgestellt auf einem Parkstreifen an der Altonaer Straße schräg gegenüber dem Parkplatz vom Krupunder See. „Der Wagen stand entgegen der Fahrtrichtung, trug noch die originalen Kennzeichen“, so der Polizist. Das Fenster der Beifahrerseite sei geöffnet gewesen.
Kurz nach dem Auffinden des Fahrzeugs beginnt gegen 8.30 Uhr dessen Observation. Rico S. und ein Kollege postierten sich in einem Opel Signa auf dem Parkplatz des Sees und überwachten das abgestellte Fahrzeug sowie den aus Richtung der A23 kommenden Verkehr. Die beiden Kolleginnen saßen in einem zweiten zivilen Fahrzeug, etwa 400 Meter hinter dem Toyota an der Altonaer Straße und beobachten die aus Richtung Hamburg ankommenden Fahrzeuge.
Audi mit polnischen Kennzeichen hält direkt vor Zivilfahrzeug der Polizei
„Lange Zeit hat sich nichts getan“, berichtet der Polizist. Doch um kurz nach 12 Uhr sei ein schwarzer, mit drei Personen besetzter Audi A6 mit polnischen Kennzeichen aus Richtung A23 gekommen und auf den Parkplatz des Sees eingebogen. „Das Fahrzeug hielt vielleicht 30 Zentimeter von unserem entfernt an“, berichtet Rico S., der sich zu diesem Zeitpunkt allein auf der Rückbank des Opel mit getönten Scheiben befand.
„Mein Kollege sah sich gerade draußen um.“ Dieser sei schnell auf das Geschehen aufmerksam geworden und habe sich, um keinen Verdacht zu erregen, ein stückweit entfernt an der Seestraße postiert. „Hinten rechts aus dem Audi stieg eine Person aus, ging um den Wagen herum und nahm eine Tasche heraus.“ Kurz darauf sei auch der Beifahrer ausgestiegen.
Motor heult auf, die Reifen des Audi drehen durch
Als Nächstes habe der Fahrer kurz den Audi verlassen, sei einmal um den Wagen herumgegangen und habe dem Beifahrer etwas übergeben („Ein handgroßer Gegenstand, vermutlich ein Handy.“). Dann sei der Mann wieder eingestiegen und habe begonnen, den Audi zu wenden, um die einzige Zu- und Ausfahrt des Parkplatzes anzusteuern. Die anderen Personen seien zu dem gestohlenen Toyota gegangen, einer habe sich hinter das Steuer gesetzt. Rico S.: „In dem Moment habe ich den Zugriff befohlen.“
Der Beamte stieg nach eigenen Angaben aus und lief auf den ihm entgegenkommenden Audi zu. „Ich habe mehrfach ‚Halt Polizei‘ gerufen, hatte ein T-Shirt an, auf dem der Aufdruck Polizei stand“, so der Beamte. Er sei sich sicher, dass ihn der Fahrer als Polizist identifiziert habe. Auf seine Anhaltesignale reagierte der jedoch nicht. „Er hat Gas gegeben, der Motor heulte lautstark auf, die Reifen drehten durch.“
Audi beschleunigt immer weiter und fährt schnurgerade auf die Ausfahrt zu
Der Audi habe immer weiter beschleunigt und sei schnurgerade auf die Ausfahrt zugefahren, in deren Mitte sich inzwischen sein Kollege postiert habe. „Er stand da mit erhobenen Armen, hat klare Anhaltesignale gegeben. Aber der hat weiter Vollgas gegeben, Bremslichter habe ich keine gesehen.“
Rico S. versuchte noch, durch das geöffnete Fahrerfenster in den Wagen zu greifen, stieß dabei schmerzhaft mit dem Ellenbogen gegen den Seitenspiegel. „Ich habe schnell gemerkt, dass das keine gute Idee ist und habe losgelassen.“ Ihm sei es dabei auch darum gegangen, seine DNA an dem Fahrzeug zu hinterlassen, damit dieses später identifizierbar gewesen wäre, so der Beamte.
Polizist sprang auf die Motorhaube und wird zu Boden geschleudert
Rico S. erlebte dann mit, wie sein in der Ausfahrt postierter Kollege über die Motorhaube rutschte und zu Boden ging. Vermutlich sei dieser zuvor auf die Motorhaube gesprungen, um schwereren Verletzungen zu entgehen. „Er stand zum Glück relativ schnell wieder auf.“ Der Audi sei dann mit quietschenden Reifen nach rechts in die Seestraße eingebogen („Der hatte Mühe, die Kurve zu kriegen“) und in Richtung S-Bahnhof Krupunder verschwunden.
Etwa zu diesem Zeitpunkt trafen Jana S. (36) und Svenja B. (39) mit dem zweiten Zivilfahrzeug am gestohlenen Toyota ein. „Eine Person stieg aus, griff sich eine Sporttasche und rannte quer über die Fahrbahn“, berichtete Jana S., die genau wie ihre Kollegin zu Fuß die Verfolgung aufnahm. Die Person sei dann genau Rico S. in die Arme gelaufen, der den Mann zu Boden brachte und überwältigte.
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Das Geschehen auf dem Parkplatz, das gaben die beiden Beamtinnen unisono zu Protokoll, hätten sie nicht wahrgenommen. Beide waren sich jedoch ebenso wie Rico S. sicher: Ihr vierter Kollege, der von dem flüchtenden Audi erfasst worden war, sei von dem Geschehen massiv beeinflusst gewesen. „Ich kenne ihn mehr als zehn Jahre, da war eine Wesensveränderung spürbar. Er hat sich schon Gedanken gemacht, was alles hätte passieren können“, so Rico S..
Der vierte Beamte, der sich zum Glück nicht ernsthaft verletzt hat, wird am 23. April vor Gericht aussagen. Dann hat auch Gutachter Muhammed Jusufi das Wort. Er hat vor Ort die Fahrzeugspuren ausgewertet und das Geschehen auf dem Parkplatz rekonstruiert. Von seinem Gutachten wird maßgeblich abhängen, wie gefährlich das Fahrmanöver des Angeklagten war und ob es eine Verurteilung wegen eines versuchten Tötungsdeliktes rechtfertigt.
Angeklagter lässt jeglichen Tötungsvorsatz bestreiten
Radowslaw R. hatte in einer von seinem Verteidiger verlesenen Erklärung jeglichen Tötungsvorsatz bestritten. Er sei in Panik geraten und habe nur flüchten, jedoch niemanden ernsthaft verletzen wollen. Aus seiner Sicht sei die Ausfahrt breit genug gewesen, um an dem dort postierten Beamten vorbeizufahren, so der Angeklagte.
Die Flucht von Radowslaw R. endete bereits wenige Hundert Meter vom Krupunder See entfernt – dank Polizist Jörn L. (26), der zum damaligen Zeitpunkt auf der Polizeiwache Schenefeld tätig war. „Wir sind von dort aus mit Sirene über den Siebentunnelweg in Richtung Tatort gefahren“, erinnerte sich der Beamte. Kurz zuvor habe Rico S. eine Beschreibung des flüchtenden Fahrzeugs durchgegeben.
Polizist entdeckt Audi mit polnischem Kennzeichen auf Parkplatz des Edeka-Marktes
Sein Kollege habe den gesuchten Audi mit polnischen Kennzeichen auf einem der Parkplätze des Edeka-Marktes am Bahnhof Krupunder entdeckt. „Der hat uns möglicherweise gehört und sich dort vor uns versteckt“, mutmaßte der Beamte. Nach Entdeckung des Wagens habe der Fahrer „das Gaspedal durchgetreten“ und sei geradeaus in die Straße Bickbargen geflüchtet.
„Es handelt sich um eine Sackgasse. Bis zu den Pollern am Ende der Straße ist er gekommen, dann zu Fuß weggelaufen“, erinnerte sich Jörn L., der hinterherrannte. An der Zufahrt zur Grundschule Bickbargen habe er den Flüchtenden aus den Augen verloren.
Halstenbek: Autodieb ließ sich letztlich widerstandslos festnehmen
„Da standen mehrere Kinder am Zaun, waren nervös“, so der Beamte. Sie hätten ihn darauf hingewiesen, dass wenige Meter weiter ein Mann im Gebüsch liege. Es war Radowslaw R.. „Wir haben ihn dort rausgeholt, er hat sich widerstandslos festnehmen lassen.“